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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


bekanntlich seine Dichtung damit beginnt, mit dem Original im Wortlaut übereinstimmend –

And I’ll tell you a story, a story so merry etc.

Eine genaue Uebersetzung dieses ganzen Verspaares, in welchem für merry das Wort Canterbury das Reimwort bildet, ist nicht gut zu geben. Auch wollen wir darauf verzichten, die Vergleichung der Bürger’schen Ballade mit dem Original Zug für Zug fortzusetzen. Es möge hier genügen, da das englische Gedicht überdies durch Percy’s Sammlung bekannt ist, auf den Kernpunkt des Ganzen einzugehen: auf die drei Fragen. Auch diese Fragen lauten im Englischen übereinstimmend. „Erstens: wenn ich in meinem Staate, die goldene Krone auf dem Haupt, unter meinen Vasallen stehe, so sage mir, wie viel ich bis auf den Penny werth bin? Zum Zweiten sage mir, mit zweifelloser Genauigkeit, wie bald ich rund um die Welt reiten möge? Und drittens sage mir wahrhaft, was ich denke.“ Nur für die dritte dieser Fragen hat der deutsche Dichter den sinnreichen Zusatz gemacht, daß dieser Gedanke zugleich ein falscher sein solle.

Auch im Englischen wird dem bedrängten Abte die Rettung durch seinen Schäfer zu Theil, und die Antworten auf die drei Fragen lauten ebenso wie in unserm deutschen Gedichte. Bürger’s Verdienst ist dabei, daß er für den fremden Stoff einen echt deutschen und nur ihm zu Gebote stehenden wahrhaft volksthümlichen Ton fand; daß er auch sonst der Form der Erzählung noch mancherlei Ausschmückung gab, kann man schon daraus entnehmen, daß das Bürger’sche Gedicht zwölf Strophen mehr enthält, als das Original.

Es ist nicht der Zweck dieser Mittheilung, auf diese eigentliche Quelle der Bürger’schen Ballade hinzuweisen, da dieselbe, wie gesagt, längst bekannt ist. Weniger bekannt ist es aber, daß auch der englische Balladendichter seinen Stoff nicht erfunden hat, sondern daß er die Idee des Gedichts der italienischen Novellen-Literatur des vierzehnten Jahrhunderts entlehnte. Der italienische Novellist Franco Sacchetti berichtet seine Geschichte aus Mailand, dessen Herr, Messer Bernabo, einen reichen Abt wegen einer Vernachlässigung zu einer hohen Geldbuße verurtheilt hatte. Da der Abt um Gnade bat, versprach der Herzog, ihm die Buße zu erlassen, wenn er ihm vier Fragen beantworten würde. Von den drei Fragen der englischen und der Bürger’schen Ballade ist in der alten italienischen Erzählung nur eine enthalten, während die anderen drei unbenutzt geblieben und durch zwei andere ersetzt worden sind. Die vier Fragen des italienischen Erzählers lauten nämlich:

Wie weit ist es von hier bis zum Himmel? Wie viel Wasser ist im Meere? Was geschieht in der Hölle? Und wie viel ist meine (des Herzogs) Person werth?

Auch schon beim Italiener übernimmt der pfiffige Müller die Lösung der Fragen, indem er sich als Abt verkleidet.

Die Beantwortung der vier Fragen geben wir hier im Wortlaute nach der italienischen Quelle wieder:

„Ihr fragt mich, Herr, wie weit es von hier bis zum Himmel ist? Nachdem ich nun Alles wohl ermessen, so ist es von hier bis da oben sechsunddreißig Millionen achthundertvierundfünfzigtausendzweiundsiebenzig und eine halbe Meile und zweiundzwanzig Schritte.“

Der Herr sprach: „Du hast es sehr genau angesehen. Aber wie beweisest Du das?“

„Laßt es ausmessen,“ antwortete er; „und wenn dem nicht so ist, so hängt mich an den Galgen! Zum Andern fragt Ihr mich, wie viel Wasser das Meer enthält? Dies ist mir sehr sauer geworden, herauszubringen, denn es steht nicht fest und es kommt immer neues hinzu. Aber ich habe doch ermittelt, daß im Meere fünfundzwanzigtausendneunhundertzweiundachtzig Millionen Fuder, sieben Eimer, zwölf Imi, zwei Maß sind.“

Da sprach der Herr: „Wie beweisest Du das?“

Er antwortete: „Ich habe es nach bestem Vermögen untersucht. Wenn Ihr es nicht glaubt, so laßt Eimer holen und es nachmessen! Befindet Ihr es anders, so laßt mich viertheilen! Drittens fragtet Ihr mich, was sie in der Hölle machen? In der Hölle köpfen, viertheilen, zwicken und hängen sie nicht mehr und nicht minder, als Ihr hier auf der Erde thut.“

„Welchen Beweis hast Du dafür?“

Er antwortete: „Ich habe einmal Einen gesprochen, der dagewesen war, und von dem hatte der Florentiner Dante, was er über die Dinge in der Hölle geschrieben. Aber jetzt ist er todt. Wenn Ihr es also nicht glauben wollt, so schickt hin und laßt nachsehen. Viertens endlich fragtet Ihr mich, wieviel Ihr wert seid? Und ich sage: neunundzwanzig Silberlinge.“

Als Messer Bernabo dies hörte, wandte er sich von Wuth zu ihm und sagte:

„Daß Dich der Donner und das Wetter! Bin ich nicht mehr wert, als ein Topf?“

Der Müller gab nicht ohne große Furcht zur Antwort:

„Gnädiger Herr, vernehmet den Grund! Ihr wißt, daß unser Herr Jesus Christus um dreißig Silberlinge verkauft wurde; ich rechne, daß Ihr einen Silberling weniger wert seid, als er.“

So weit die italienische Geschichte, insofern sie die vier Fragen und ihre Beantwortung betrifft. Man wird zugestehen müssen, daß dieser Kernpunkt des Ganzen durch den englischen Balladendichter eine Verbesserung erfahren hat. Denn wenn auch bei dem Italiener die Antworten auf die drei ersten Fragen ganz spaßhaft sind, so kommt es doch bei allen auf dieselbe Pointe hinaus: daß nämlich etwas behauptet wird, wofür ein Gegenbeweis nicht aufzubringen ist. Im Uebrigen ist, trotz der Variationen, welche die Geschichte im Laufe der Zeit erfahren hat, doch über vier Jahrhunderte hindurch die eigentliche Tendenz des Ganzen unverändert geblieben: daß der weltliche Herr einmal an dem Pfaffen sein Müthchen kühlt. Auffallend muß dabei der in allen drei Berichten ebenfalls unverändert gebliebene Umstand sein, daß die so sprüchwörtlich gewordene pfäffische Schlauheit hier gänzlich mangelt, und daß der Schäfer der Klügere ist. Daß der englische Balladendichter an Stelle des mailändischen Herzogs den König Johann gesetzt hat, ist hinreichend begründet. Bürger gab es in seiner Darstellung ganz auf, in dem weltlichen Herrscher eine bestimmte Persönlichkeit zu bezeichnen, und er begnügte sich, dem genußsüchtigen und unwissenden Abte ganz im Allgemeinen die Person eines kriegsgeübten und mannhaften Kaisers entgegenzustellen, und auch dies spricht wieder für Bürger’s so starkes Gefühl für das wahrhaft Volksthümliche.

Nach dieser Behandlung des Stoffes durch unsern deutschen Dichter dürfte die Geschichte wohl kaum eine weitere Umgestaltung oder Erneuerung der Form zu erwarten haben. Könnte dies aber dennoch der Fall sein, so müßten heute die drei Fragen ganz anders lauten, etwa so:

„Wie weit ist es nach Canossa?“ – „Was ist die Infallibilität werth?“ Und drittens: „Wer, denkst Du, wird der nächste Papst sein?“

Aber auf Vexirantworten würde es hierbei nicht abgesehen sein, und also auch der „Spaß“ dabei aufhören.

Rudolph Genée.




Blätter und Blüthen.


Das Testament eines Millionärs. In Paris starb vor wenigen Jahren Herr Dupont, ein liebenswürdiger alter Herr, dessen Baarvermögen auf mindestens zwei Millionen Franken geschätzt wurde, und welchem außerdem eine elegante Villa in Passy gehörte, die auf’s Reizendste mit Kunstgegenständen aller Art ausgestattet war. Da Herr Dupont seine Gattin schon vor langer Zeit verloren hatte und weder Kinder noch nahe Verwandte besaß, so waren seine zahlreichen Freunde auf den Inhalt seines Testaments sehr gespannt. Diese Spannung war noch dadurch erhöht worden, daß Herr Dupont in den letzten Monaten vor seinem Tode zu lieben Freunden, sowie zu entfernten Verwandten die Aeußerung gemacht hatte: sie würden dereinst erkennen, wie ängstlich er danach gestrebt habe, sich für eine ihm bewiesene wahre Zuneigung dankbar zu beweisen.

Herr Dupont war stets gastfrei gewesen und hatte für seine Freunde und Verwandten – in Fällen wirklicher, unverschuldeter Bedrängniß – jeder Zeit bereitwillig und auf’s Großmüthigste gesorgt. –

Vierzig Personen, Damen und Herren verschiedenen Alters, erhielten bald nach dem Heimgange des Herrn Dupont von dem Notar L., dessen vieljährigem Rechtsbeistande, die Einladung, sich zu ihm zu begeben, um, dem Wunsche des Testators gemäß, den Inhalt seines letzten Willens zu vernehmen. Nach dem letzteren waren die Armen der Stadt Paris Universalerbe geworden, und sie hatten, nach den in dem Testamente enthaltenen Bestimmungen, mehr als eine Million baar und den Erlös aus den zu verkaufenden Mobilien, so weit nicht darüber von dem Testator durch Errichtung von Legaten verfügt worden, zu erwarten.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 559. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_559.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)