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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)

sein mögen – ich zähle jetzt neunzig Arten in dreißig Gattungen vertheilt. Aber damit sind die Fragen, welche sich an sie knüpfen, nicht gelöst.

Ich sagte in der Ueberschrift: Gäste oder Schmarotzer? Gäste, welche Wohnung und Kost haben, welche sich zwar nicht, wie echte Schmarotzer, auf Kosten des Leibes ihres Wohnherrn nähren, die aber vielleicht auf dem besten Wege sind, es zu werden. Alle diese Gattungen und Arten zeigen eine stufenweise Rückbildung der Sinnesorgane und der Bewegungswerkzeuge. Die Jungen haben ausgebildete Schwimmfüße und große Augen – alle bis jetzt beobachteten Nauplius schwimmen lebhaft umher. Die Alten kriechen oder hüpfen höchstens – die Schwimmbeine, wenn auch zahlreicher und nach demselben Plane gebildet, taugen dennoch nur zum Kriechen und Krabbeln; bei dem Weibchen namentlich wird der Körper durch die Entwickelung der zahlreichen Eier zu schwer. Die Augen der Alten verschwinden zuweilen ganz; bei den meisten sind sie auffallend kleiner, als bei dem Nauplius. Dieses Schwinden der Bewegungs- und Sinnesorgane ist aber charakteristisch für festsitzende und schmarotzende Thiere, bei denen sie schließlich vollkommen zu Grunde gehen.

So stehen denn diese kleinen Krebsthiere mitten inne zwischen den beiden Endpolen der Bildung: hier Freiheit, dort Schmarotzerthum. Sie leben in der dunklen Eingangshöhle des Wirthes, wo sie weder viel zu sehen brauchen, noch große Bewegungen ausführen können, aber sie haben noch so viel Bewegungsfähigkeit, um in dem wechselnden Wasserstrome, der sie umspült, sich ihre mit eingespülte Nahrung verschaffen und sie der Seescheide vor dem Munde wegschnappen zu können. Gerade dieses Verhältniß aber, dieses Schwanken zwischen zwei Extremen verleiht dem Studium der seltsamen Sackbewohner einen erhöhten Reiz; denn es handelt sich jetzt nicht mehr darum, theoretische Gebäude auf einigen wenigen Thatsachen aufzurichten und mit einigen Schlagwörtern ganze Entwickelungsprocesse abzuthun, es handelt sich vielmehr darum, im Einzelnen die Wirkungen zu verfolgen, welche die Anpassung an gewisse Lebensbedingungen hervorgerufen hat. Hier hat man es mit Thieren zu thun, die eine bleibende Wohnstätte gefunden haben, welche sie nicht mehr verlassen, aber die Wohnstätte ist eine Dunkelkammer, von heftigen Wasserstrudeln durchströmt, welche ihnen zwar Nahrung zuführen, aber zugleich auch sie fortzureißen drohen. Das schwächere Männchen klammert sich an das stärkere Weibchen an – es ist auf dem besten Wege, dessen ewiger Beisasse zu werden, wie dies bei vielen anderen Schmarotzerkrebsen der Fall ist; die drei Schwimmfüße des Nauplius sind Fühlhörner, Klammerhaken und Kauwerkzeuge bei beiden Geschlechtern geworden; die später gesproßten vier Beinpaare gestatten nur humpelndes Kriechen und Festhalten; die Augen stehen auf dem Punkte zu verschwinden – alle diese im Zuge befindlichen Veränderungen können wir bei anderen Gattungen, die aus Insassen wirkliche Schmarotzer geworden sind, verwirklicht sehen.



Blätter und Blüthen.
Storchschnabel.[1]


Du reizende Maus!
Wie gefällt Dir’s hier im Haus
Hast Du schon den Jacob gesehn?
Gelt, die Mama ist wunderschön?
Habt wohl tüchtig fliegen müssen?
Hat Dich der Storch denn nicht gebissen? –
Guck’, die rothen Bäckchen und Ohren!
Hast unterwegs wohl arg gefroren,
In der Luft, auf der langen Reise,
Immerfort über Schnee und Eise!
Ach die Händchen! Du liebe Güte!
Damit hieltst Du die Zuckerdüte?

  1. Wir entnehmen dieses reizende kleine Bild mit Genehmigung des Verlegers der soeben bei Alphons Dürr in Leipzig unter dem Titel „Unser Hausgarten“ erschienenen neuen Sammlung von Zeichnungen von Oscar Pletsch, zu denen Victor Blüthgen die Reime verfaßt hat. Das ansprechende Bilderwerkchen möge allen unseren Lesern für den Weihnachtstisch warm empfohlen sein.
    D. Red.

Abermals eine Flotte im Eismeere verloren. Im Jahrgang 1871, Nr. 52 der „Gartenlaube“ brachten wir eine Schilderung der Katastrophe, welche die amerikanische Walfängerflotte im Eismeere, nördlich von der Beringstraße, betroffen hatte. Unter Hinweisung auf einen anderen, in Nr. 5 und 6 desselben Jahrganges enthaltenen Aufsatz: „Eine Fahrt in das Eismeer“, zeigten wir, wie jene Flotte im Jahre 1871 an der Nordwestküste von Alaska (Amerika), auf der Höhe von Wainwright Julet (zwischen Cap Lisburne und der Barrowspitze), vom Eise besetzt wurde und zum größten Theile verunglückte. Dreiunddreißig Fahrzeuge wurden damals, Anfang September, theils vom Eise zertrümmert, theils unrettbar eingeschlossen, theils auf das Land gedrängt.

In dem gegenwärtigen Jahre hat sich, wenn auch in geringerem Maße, dieselbe Katastrophe wiederholt, und zwar an derselben Küstenstrecke und unter gleichen Verhältnissen. Alljährlich, wenn das Eis in der Beringstraße und in dem nördlich davon liegenden Meerestheile des Polarbeckens aufgebrochen ist, gewöhnlich im Mai und Juni, segeln viele Walfänger dorthin, um den reiche Erträge sichernden nordischen Bartenwal zu jagen. Da derselbe sich vorzugsweise in der Nähe des Eises, auch zwischen den Feldern aufhält, weil diese ihm Schutz vor Verfolgern gewähren, haben ihn die Fahrzeuge dort aufzusuchen. Die Größe und Lage der Eisfelder ist aber vielen Schwankungen unterworfen. Die Härte des vorangegangenen Winters hat das alte, übriggebliebene Eis entsprechend vermehrt; Strömungen und Winde wirken auf dasselbe ein, sodaß seine Vertheilung fast in jedem Jahre eine andere ist.

Das Packeis im Norden der Beringstraße ist das schwerste, welches wir kennen. Es besteht freilich im Durchschnitt nur aus sechs bis zehn Meter dicken Schollen und Flächen, diese sind aber außerdem durch Aufstauungen und Hebungen beim Zusammenstoß der von Wind und Strömungen getriebenen Eismassen, durch mächtige, nur theilweise abschmelzende Schneeschichten, welche die alten als neue Eislagen verdicken, in einem unbeschreiblich wilden Durcheinander zu Hügeln und Stücken von viel bedeutenderer Höhe aufgethürmt. Die geschlossene uralte Hauptmasse dieses Packeises liegt jenseits der Beringstraße von ungefähr siebzig Grad nördlicher Breite an zwischen der Nordwestküste von Alaska und Wrangel’s Land und dehnt sich nordwärts in unbekannte Ferne. Dieses „Mittelfeld“ ist nicht segelbar, als Ganzes auch nur in geringem Maße beweglich und kann namentlich nicht durch die Beringstraße nach Süden treiben und in wärmeren Gegenden abschmelzen, da der Meerestheil zwischen ihm und der Straße zu flach ist für seinen bedeutenden Tiefgang. Nur die diese Hauptmasse umgebenden weniger schweren Felder sind ein freies Spiel der Strömungen und Winde und werden, wenn sie sich zwischen jenem „Mitteleis“ und dem Lande eingekeilt haben und jenes sich innerhalb seines Spielraumes bewegt, mit ungeheuerer Gewalt gedrängt, zu wüstem Haufwerk aufgethürmt, in flaches Wasser und sogar auf das Land selbst geschoben. In Folge einer solchen, durch anhaltende starke Westwinde verursachten Bewegung des Eises verunglückten, wie schon erwähnt, die dreiunddreißig Schiffe im Norden von Cap Lisburne.

Auch im eben vergangenen Sommer, also fünf Jahre nach jener Katastrophe von 1871, waren viele Walfänger am Cap Lisburne vorüber, in dem Streifen freien Wassers zwischen Küste und Packeis, welches letztere durch Strömungen und östliche Winde nach Westen abgedrängt war, bis zur Barrowspitze vorgedrungen. Anfang August befanden sich vierzehn Fahrzeuge in jener Gegend. Schon am 7. August ereignete sich der erste Unglücksfall. Die Bark „Arctic“ hatte sich zu weit zwischen die Felder gewagt. Ein Westwind setzte ein – sie wurde vom Eise umschlossen und zerdrückt. Die Mannschaft entkam glücklich über das Eis zu andern Schiffen, welche ebenfalls mehr oder weniger hart bedrängt waren.

Mitte August traten nördliche und nordöstliche Winde ein und zertheilten die Eisfelder; Wale erschienen und die Boote begaben sich auf

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 813. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_813.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)