Seite:Die Gartenlaube (1876) 837.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876)


von Dortmund unter Bernh. Thiersch, dem Verfasser des Preußenliedes und Bruder des Archäologen, eine solide classische Vorbildung. Wenn Lübke daneben Generalbaß und Compositionslehre studirte und anfangs die Idee hatte, die Musik zum Lebensberuf zu wählen, so wurde er doch, als er 1845 die Hochschule in Bonn bezog – wo er unter Ritschl und Welcker Philologie, unter Loebell und Diez, dem Meister romanischer Sprachforschung, Literaturgeschichte studirte – durch Gottfried Kinkels Vorträge über Kunstgeschichte und den Anblick der großartigen und interessanten Bauwerke, welche ihm in Bonn und Köln, an Rhein und Mosel, vor Augen traten, allmählich zu den Tönen und Harmonien der Schwesterkunst hinübergeführt, für die ihn eine am Schlusse seiner Bonner Studien (1846) ausgeführte Reise nach dem bilder- und denkmalreichen schönen Belgien vollends gewann. So mußten ihn in Berlin, wo er zunächst seine philologischen Studien unter Boeckh und Lachmann fortsetzte,


Wilhelm von Lübke.
Nach einer Photographie.


besonders die mannigfaltigen Sammlungen des Museums fesseln, für die er in Waagen und Gerhard bewährte Führer fand, während die dortigen geselligen und kunstwissenschaftlichen Kreise ihm weitere unmittelbare Anregung brachten. Hier begann er Entdeckungsreisen nach alten Denkmälern romanischen und germanischen Stils an Elbe und Weser, an welchen er zeichnend und messend sein künstlerisches Auge übte, während der Philologe, diese Arbeit ergänzend, die Inschriften zu deuten suchte.

Im Jahre 1849 sich das Recht der Lehrtätigkeit erwerbend, machte er am Werder’schen Gymnasium sein Probejahr als Lehramtscandidat durch, um sich hierdurch die Möglichkeit einer spätern akademischen Laufbahn zu sichern. Dann aber gab er sich ganz seinem Lieblingsstudium hin, bereicherte und befestigte seine Anschauungen auf Reisen in Mecklenburg, Schlesien, Sachsen, Ostpreußen und legte die Früchte seiner Studien zunächst in dem 1852 unter Eggers’ Redaction in Berlin erscheinenden „Deutschen Kunstblatte“ in einer Reihe von Aufsätzen und Kritiken nieder, welche die volle Anerkennung der bewährten Kunstforscher, in deren Kreise er sich bewegte, eines Kugler, Schnaase, Waagen etc., gewannen.

Eine Wanderung durch die engere Heimath gab ihm 1853 den Stoff zu seinem ersten größeren Werke, „Die mittelalterliche Kunst in Westphalen“, das er durch einen Atlas mit dreißig selbstgezeichneten Tafeln illustrirte. Diese Arbeit, welche die vollste Beherrschung des Gegenstandes und ein treffendes kritisches Urtheil bekundete und deshalb auch von Schnaase als das Muster einer Kunstmonographie bezeichnet wurde, brach für Lübke die Bahn, auf welcher er nun mit rastloser Thätigkeit weiter schritt. Sein nächstes Werk, „Die Vorschule zum Studiren der Kirchenbaukunst“, verfolgte den praktischen Zweck, die Laien, und zwar vornehmlich die Geistlichen, welche bei Erhaltung kirchlicher Kunstdenkmäler eine so schwerwiegende Rolle zu spielen berufen sind, für die mittelalterliche Kirchenbaukunst zu interessiren. Wie sehr er damit das Richtige getroffen, beweist der Umstand am besten, daß im Jahre 1873 bereits die sechste Auflage dieses Buches erscheinen mußte, dessen Bedeutung und Nutzen doch an den Auflagen allein weitaus nicht zu ermessen ist. – Vom Theil zum Ganzen aufsteigend, beschenkte Lübke im Jahre 1855 das Publicum mit seiner „Geschichte der Architectur“, welche, 1875 die fünfte Auflage erlebend und in’s Englische, Russische, Schwedische und Dänische übersetzt, dadurch auf’s Glänzendste bewies, daß ihr Erscheinen nicht nur ein Bedürfniß gewesen war, sondern auch, daß sie dasselbe in anregendster Weise zu befriedigen verstanden hatte.

Zunächst ward ihm nun die Aufgabe, die zweite Auflage von Kugler’s „Denkmälern der Kunst“ vorzubereiten, welche er durch eine neue Abtheilung über die Kunst der Gegenwart nach eigener Anschauung vervollständigte. Im Jahre 1857 ward Lübke berufen, seinen wissenschaftlichen Ueberzeugungen fortan nicht nur durch die Schrift, sondern auch durch das lebendige Wort Ausdruck zu geben, indem er an der Bauakademie den bekannten Architekten W. Stier als Lehrer zu ersetzen bestimmt ward. Doch hielt ihn dieses Lehramt von neuen Studien, Forschungen und Werken nicht ab.

In diese Zeit fällt auch seine wissenschaftliche Bereisung des Elsasses mit dem Architekten Lasius, deren Frucht, in Förster’s „Bauzeitung (Jahrgang 1860) niedergelegt, das Publicum mit den Denkmälern dieses schönen Strichs deutscher Erde und dem wesentlich deutschen Charakter derselben bekannt machte. Eine Reise nach Italien (1860) brachte den „Grundriß der Kunstgeschichte“ zur Reife, der, recht eigentlich bestimmt, weitere Laienkreise mit den Grenzen der kunstgeschichtlichen Entwickelung vertraut zu machen, diese schöne Bestimmung nun schon in sieben Auflagen (die letzte 1876) weiter und weiter verfolgt.

Hieran schlossen sich kunstgeschichtliche Texte zu photographischen Albums, welche Tizian’s, Paul Veronese’s und Michel Angelo’s Meisterwerke, sowie die Madonnen zum Gegenstande haben und in gleicher Weise bestimmt sind, der Kunst neue Freunde zu erobern wie die alten zu erfreuen. – Im Jahre 1861 gewann ihn Zürich als Lehrer für das eidgenössische Polytechnicum, an welchem er über die gesammte Kunstgeschichte zu lesen hatte. Hier ward er durch die besonderen localen Anregungen veranlaßt, die Glasmalerei in der Schweiz und die dortigen gemalten Oefen in den Bereich seiner Studien zu ziehen und Abhandlungen hierüber zu verfassen, in welchen er den Zusammenhang dieser Kleinkünste mit der großen Kunst erörterte und damit der zeitgemäßen Frage der Hebung des Kunstgewerbes näher trat.

Als ein neuer gewaltiger Schritt auf der Bahn seines Apostelthums auf dem Gebiete der Kunst erscheint aber die „Geschichte der Plastik“, welche sich würdig an seine „Geschichte der Architectur“ anreiht und 1871 in zweiter Auflage erschien. Hierher gehört der Zeitfolge nach ferner die Herausgabe des „Italienischen Tagebuchs“ von Max Nohl, sowie der „Geschichte der italienischen Renaissance“ von seinem Freunde Jac. Burckhardt.

Im Jahre 1866 erhielt Lübke den Ruf als Professor der Kunstgeschichte an das Polytechnicum und die Kunstschule in Stuttgart, wo er nun nicht nur vor dem zahlreichen Auditorium dieser Lehranstalten, sondern auch durch seine Vorlesungen für

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1876). Leipzig: Ernst Keil, 1876, Seite 837. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1876)_837.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)