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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


hin, daß auch die Kraft, mit welcher unser Planet sich um die Sonne bewegt, einst aufgezehrt werden wird und dann eine Wiedervereinigung desselben mit dem Centralkörper, von dem er einst ausgegangen, eine Nothwendigkeit wird. Ist dann mit dem Sturze in die Sonne die Todesstunde unserer Erde gekommen – oder wird das ganze All mit Zeit und Raum zurückgeschleudert werden in „das Ueberseiende, welches alles Seiende ist“ – wer vermöchte es zu sagen?!

S.




Aus den letzten Tagen Kurhessens.


Nachstehende Mittheilungen sind nach den Erzählungen eines Verstorbenen niedergeschrieben, welcher früher als Officier in dem Husarenregimente diente, das zum Theil in Grebenstein, zum Theil in Hofgeismar bei Kassel in Garnison lag.

Man konnte wohl sagen, begann die Erzählung des genannten Gewährsmannes, daß der erste Agitator für die Einverleibung Kurhessens in den preußischen Staat der Kurfürst selbst war. Die kurhessische Armee war im Grunde nur eine Division des westphälischen oder rheinischen Armeecorps. Uniformirung, Reglement, alle Militäreinrichtungen waren fast dieselben, wie in Preußen, und hier war kein Knopf angesetzt worden, der nicht bei den Truppen des Kurfürsten seine Nachahmung gefunden hätte. In seinem Innern – darauf deuteten mannigfache Aeußerungen hin – hatte der Kurfürst sich bereits in den Gedanken ergeben, daß er der Letzte sein würde, der über das Kattenland herrsche. Die künftigen Ereignisse waren solchergestalt angebahnt, als ein Umschlag eintrat. Das war die Sendung des preußischen Feldjägers an den Kurfürsten. Mit seinem Fürsten empfand das Volk diese Herabwürdigung sehr tief – Preußen hatte, was Verfassungskämpfe anbelangte, genug vor seiner eigenen Thür zu kehren. Gesetzt aber auch, daß man ihm eine Berechtigung, sich in die inneren Verhältnisse des Nachbarstaates zu mischen, zuerkennen wollte, so war die Form doch eine so wenig den diplomatischen Gebräuchen entsprechende, daß darüber namentlich in der Armee sich eine offenkundige Mißstimmung gegen Preußen fühlbar machte.

Es gab damals in Kassel um den Kurfürsten eine Partei, welche diese Verstimmung für ihre Zwecke auszubeuten suchte. Diese bestand aus den Leuten, welche sich um die Fürstin von Hanau und deren Descendenz gruppirten und zu Oesterreich hinneigten. Durch den Kaiser von Oesterreich war die frühere Gattin des Postmeisters Lehmann in den Fürstenstand erhoben worden; der Kurfürst hatte aus seinen Mitteln in Bosnien große Güterankäufe gemacht, um daraus einen Familienbesitz für seine nicht successionsfähigen Söhne zu bilden; Oesterreich war zudem nie eine Gefahr für den politischen Fortbestand von Kurhessen, während diese Gefahr von Seite Preußens eine durch die Verhältnisse gegebene war – kurz, der österreichische Gesandte in Kassel, Graf Karnicki, wußte diese Situation zu Gunsten seines Staates sehr wohl auszubeuten und behielt seine Fühlung mit seinem Collegen in Hannover, dem Grafen von Ingelheim. So standen in Kassel die Dinge, als die Gewitterwolken zwischen Berlin und Wien im Heraufziehen waren.

Man wußte, daß die erste Entladung vom Sitze des Bundestages geschehen würde, und wie nahe wir dem ersten Zusammenstoße waren, davon überzeugte mich der Auftrag eines bei den Bonner Husaren stehenden preußischen Cameraden, der dahin ging, ihm zwei feldtüchtige Pferde anzukaufen. Das war ein Symptom. Einige Wochen darauf erhielt ich von demselben Officier eine telegraphische Depesche, deren Inhalt noch vielsagender war, als der erste Auftrag. Das Regiment, auf der westphälischen Bahn nach dem Südosten der Monarchie dirigirt, passirte Hofgeismar; hier wollten die Officiere ein Frühstück finden für sich und auch für die Mannschaften. Das der Inhalt der Depesche, der denn doch zu überlegen – zu bedenken gab. Commandeur des Regiments war der spätere Generalmajor v. B. Mit diesem ging der Empfänger der Depesche und mit ihm das gesammte Officiercorps in Berathung ein, was zu thun sei. Die Cameraden wie Freunde zu behandeln, war das Resultat. Denn noch war politisch nichts geschehen, was Kurhessen von Preußen schied. Im Gegentheile, wir Alle waren überzeugt, daß im Falle eines Bruches zwischen Preußen und Oesterreich der Kurfürst sich für den ihm durch Nachbarschaft wie durch Familienbande eng verbündeten Staat erklären würde. „Ihr kommt bald nach!“ rief mir mein braver Camerad, Prinz W., bei der Abfahrt des Regiments, sich aus dem Waggonfenster legend, zu. Ich glaube, es war unter uns kein Einziger, der Dem nicht zugestimmt hätte – das Zusammensein mit den preußischen Cameraden war das herzlichste gewesen; das Frühstück, das wir ihnen gaben, war zudem vortrefflich, die Stimmung die gehobenste. Wie hätte es anders sein können, als daß wir sie sehr natürlich fanden, diese Andeutung: Ihr kommt bald nach.

Aber dann kam die Abstimmung beim Bundestage in Frankfurt am Main vom 14. Juni, die Kurhessen, Hannover, Sachsen etc. in den Strudel des Verderbens riß, der Antrag Oesterreichs auf Mobilisirung des Bundesheeres mit Ausnahme der zur preußischen Armee gehörigen Armeecorps. Das war der Krieg zwischen den beiden größten deutschen Staaten. Wir bekamen noch an demselben Abende davon Kenntniß. Die preußischen Truppenzüge von Westphalen her hatten immer fortgedauert; jeder Tag brachte Infanterie, Cavallerie, Artillerie, Munition. Alles ging nach dem Südosten der preußischen Monarchie. Mit jedem Tage wurde unter uns die Spannung größer – die Unruhe merkbarer. Wir bewillkommneten die preußischen Cameraden; wir sprachen von den künftigen Eventualitäten mit ihnen, aber so ganz geheuer war es uns doch nicht – wir ahnten ein Verhängniß – und dieses kündigte sich in einem Extrablatt der „Hessischen Morgenzeitung“, wenn ich nicht irre, an. Durch dieses wurde uns die Nachricht von der Frankfurter Abstimmung zuerst bekannt. Ein preußischer Artilleriehauptmann reichte es mir aus dem Waggon.

Der Kurfürst hatte sich für Oesterreich erklärt, die österreichische Partei am Hofe gesiegt oder vielmehr das Hanau-Schoburg’sche Familieninteresse über den gesunden politischen Gedanken den Sieg davongetragen. Wie man sich erzählt, habe man den Kurfürsten durch Drohung mit Requisition gegen seine böhmischen Besitzungen Seitens der österreichischen Regierung eingeschüchtert. An seinen Herrschaften Horowitz und Jinec war ihm mehr gelegen, als an dem uralten Besitze seines Hauses, an einem Volke, das stets mit blinder Treue zu ihm und seinen Vorfahren gehalten hatte. Freilich, Land und Volk gingen auf seinen Geschlechtsvetter, den jetzigen Landgrafen Friedrich Wilhelm über, nicht an seine nur morganatischer Ehe entsprossenen Söhne. Durch diese Abstimmung hatte der Kurfürst sein Schicksal besiegelt, mit dem seinen auch das seines Landes. „Wenn er springt,“ habe Herr von Bismarck geäußert, eines seiner beliebten Gleichnisse aus dem Jagdleben und speciell vom Fuchse gebrauchend, „wenn er springt, ist er verloren.“ Er kannte vielleicht besser als der Kurfürst die Verblendung der Umgebung desselben. Vor der Abstimmung soll der Kurfürst noch einmal beim damaligen preußischen Gesandten in Kassel, dem General von Röder, vorgefahren sein. Vielleicht wäre dieser Besuch im Stande gewesen, noch in der elften Stunde den Dingen eine andere Wendung zu geben – möglich. Aber Herr von Röder war nicht zu Hause. Er hatte von seinem Vorgesetzten in der Berliner Wilhelmstraße Weisung erhalten, sich an den Tagen unmittelbar vor dem 14. Juni nicht mehr sehen zu lassen – der Antrag Oesterreichs war vom 11. Juni. – So erzählte man sich damals, und wenn es wahr ist, so beweist es eben nur wieder den diplomatischen Blick des späteren Reichskanzlers – kurz, der Kurfürst sprang, und der kühne Jäger war seiner Beute gewiß.

Wir standen vom 14. Juni an mit Preußen auf dem Kriegsfuße.

Hofgeismar lag dicht an der preußischen Grenze; unser Regiment war die Truppe, die am meisten exponirt war.

In Anbetracht dieser Verhältnisse entsandte der Commandeur am andern Morgen einen jüngern Officier, den Lieutenant von G., nach Wilhelmshöhe. Hier hielt der Kurfürst seine Sommerresidenz. Von ihm erbat sich der Commandeur Verhaltungsbefehle.

Aus der Meldung, die der dazu commandirte Officier dem

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 364. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_364.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)