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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877)


vor das Thor, wo er die Post erwartete. Wohin er kommen mochte, auch im Auslande, erlebte er diese Wirkung seiner Bücher.

Campe sah noch die glorreiche Befreiung des Vaterlandes aus der Schmach der Franzosenherrschaft, als aber diese Ketten gebrochen waren, neigte sein Stern sich zum Untergange. Ein traumhaftes Dämmerleben umwob einige Jahre hindurch seine lichte Seele, und am 22. October 1818 ist er zu der Freiheit erlöst worden, die er hienieden nicht sollte erstehen sehen. Unter dem Hügel, den er selber so lieblich sich in seinem Garten errichtet, hat er den letzten Ruheplatz gefunden. Ohne Glockengeläute, ohne großes Trauergefolge, ohne Begleitung eines Geistlichen wurde er in der Frühe des Morgens dort in das Grab gesenkt.

Aus allen Ständen und Classen Deutschlands bis tief in die untern Schichten hinein erklang ein Ruf schmerzlicher Klage über den Hingang des theuren Mannes, der Jahrzehnte hindurch wahrhaft ein Vater der gesammten Jugend, ein leuchtender Führer der aufstrebenden Lehrerwelt und zweifellos einer der ersten Helden und Propheten im anbrechenden Kampfe für das Recht des Volkes und die Freiheit des Geistes gewesen ist. Nicht Alles, was er gedacht, gewollt und erstrebt hat, war frei von Irrthum und Einseitigkeit, auch nicht von den Schroffheiten zorniger Aufwallungen. Aber vom festen Mittelpunkte innerster Erkenntniß aus beherrschte ein erhabener Gedanke und ein gewaltiger Glaube jede Faser und jeden Nerv seiner reinen Seele: der Gedanke des Fortschrittes zur Humanität und Freiheit, und der Glaube, daß es ohne humane Freiheit kein Heil giebt für den Einzelnen wie für die Gesammtheit. Und wie ihn selber jeder Moment seines langen Kampfes unerschüttert gefunden, ohne Menschenfurcht, ohne gleißendes Scheinwesen und selbstisches Zagen, so widmete er rückhaltslos seine Theilnahme allen Denen, die auf demselben Wege Schmach und Verfolgung zu erdulden hatten.

Als die Kerkeröde des Hohenasperg den Dichter Schubart umfing, da hat Campe in einer warm geschriebenen Bittschrift die Losgebung des Mißhandelten gefordert. Und als im Sommer 1794 das Gerücht ging, daß Immanuel Kant durch das Wöllner’sche Pietistenregiment seiner Stelle enthoben sei, da bot Campe dem großen Philosophen ein Asyl in seinem Hause an. An keinem Märtyrer der Freiheit ist er vorübergegangen, ohne sein Haupt zu bekränzen. Wie er selber über sich und sein Wirken gedacht, das hat er in seiner von ihm selbst verfaßten Grabschrift ausgedrückt. Sie lautet: „Hier ruhet nach einem Leben voll Arbeit und Mühe zum ersten Male der Pflanzer Joachim Heinrich Campe. Er pflanzte – wenngleich nicht immer mit gleicher Einsicht und mit gleichem Glücke, doch immer mit gleichem Eifer und mit gleicher Treue – Bäume in Gärten und Wälder, Wörter in die Sprache und Tugenden in die Herzen der Jugend. Wanderer, hast Du ausgeruht unter seinen Bäumen, so gehe hin und thue desgleichen!“

A. Fr.




Skizzen aus Niederdeutschland.
1. Die Frühstücks-Verproviantirung Hamburgs.


Das Frühstück ist die erste grundlegende Mahlzeit des Tages, und da der Mensch zu keiner Zeit so auf die gewohnheitsmäßige Ordnung hält wie gerade am Morgen, so mag es sich hieraus erklären, daß das Frühstück einen conservativen Charakter besitzt und vom ethnographischen Standpunkte aus zu den scharf ausgeprägten Eigenthümlichkeiten eines Landes gehört. Unsere heutige Schilderung gilt dem Hamburger Frühstück, jedoch nicht seiner Zusammensetzung, sondern der Art und Weise seiner Zufuhr und Beschaffenheit. Die Zusammensetzung ist die nämliche wie in den andern deutschen Städten. Die Zufuhr dagegen ist für Hamburg überaus charakteristisch und bis in das kleinste Detail originell. Am wenigsten läßt sich im Ganzen vom Kaffee sagen, wenn man nicht besonders den Umstand hervorheben will, daß Hamburg als Hafenplatz zu jenen Städten gehört, welche gewissermaßen an der Quelle sitzen. Wir brauchen nur zu den Quais hinauszugehen, um den Kaffeeballen, wie er aus den Händen des Brasilianers oder Javanen hervorgegangen, durch den eisernen Arm eines riesigen Dampfkrahnes auf europäischen Boden schwingen zu sehen. Von hier durch Schuten in die Speicher der Großhändler transportirt, kommt er sodann durch den „Krämer“ im Kleinhandel zur Vertheilung, und zwar zu so niedrigen Preisen, daß sie gewiß den Neid der Hausfrauen im Binnenland erregen müssen.

Viel interessanter aber gestaltet sich nun die Zufuhr und die Vertheilung der Milch, welche uns eine bunte Reihe lebendiger Bilder und zwar in einer Mannigfaltigkeit darbietet, die schon an sich auf eine sehr verschiedenartige Herbeischaffung und ganz besonders auf eine solche zu Wasser hindeutet. In der That ist auch diese die weit überwiegende, aus dem einfachen Grunde, weil die Hauptmilchproduction für die Stadt auf den Hamburg gegenüberliegenden, schlechthin unter dem Namen der „Inseln“ bekannten Gebieten stattfindet. Diese Inseln, ursprünglich Flußuntiefen, dann, und zwar noch im Mittelalter, als Sümpfe über dem Elbniveau während der trockenen Jahreszeit emporragend, später mit immer stärkerer Anschwemmung von Elbschlamm zu Marschboden umgestaltet und schließlich durch Deiche dem Strome definitiv abgewonnen, bieten einer großen Zahl stattlicher Rinderheerden den vortrefflichsten Weidegrund.

Im Sommer entwickelt sich hier während der fünften Morgenstunde ein reges Leben. Mit rothen Eimern ziehen die Bewohner aus ihren meist am Deiche belegenen Häusern nach den Wiesen, um das Melken der Kühe vorzunehmen. Im Winter geschieht dies im Stalle und zu einer spätern Stunde, aber schon zeitig im Frühjahre beginnen die Heerden im Freien zu übernachten. Ist die Morgenmilch gewonnen, so wird sie im Verein mit der am Abend zuvor gemolkenen über den Deich nach dem unterhalb desselben liegenden Schiffe, dem „Melk-Ewer“, geschafft. Hier haben sich inzwischen auch die Vertreter des zarten Geschlechts mit Körben voll Grünzeug eingefunden, unter ihnen besonders die für den Hamburger Marktverkehr typische Figur der „Oltschen“ mit ihrem einem japanesischen nicht unähnlichen flachen Strohhute und dem faltenschweren Umhange. Die den Männern gemeinsame Tracht besteht aus einer dunkeln Jacke und Hosen und grauwollenen langen Strümpfen und Schuhen; die Hosen werden, namentlich bei schmutzigem Wetter, in die Strümpfe gesteckt wie anderwärts in die Stiefeln. Als besonders charakteristisch tritt noch eine weite Leinenhose hinzu, welche bis über die Kniee reicht und meist nur während der Fahrt über-, bei der Ankunft in der Stadt aber ausgezogen wird.

Es beginnt nun die Anordnung der Waare im Ewer, wobei dem Grünzeug das Vordertheil eingeräumt wird, während die Milcheimer im „Achterdeel“, einer dicht neben dem andern, in einer festgefugten Pyramide aufgebaut werden. Ist dies geschehen, so wird die Gaffel, an welcher das große Segel befestigt ist, herabgelassen, das dreieckige Focksegel gehißt, und hinaus geht es, dem Strom und der Stadt entgegen, welche jetzt wie ein riesiges Ungethüm den Nahrungsstoff der Umgegend aufzusaugen beginnt.

Ein solcher Ewer befindet sich entweder im Besitze eines Einzelnen, der zugleich Steuermann ist und dem die Andern „Schipgeld“ zahlen, oder er ist Eigenthum einer Compagnie, die, je nach der Größe des Schiffes, die Zahl von einem halben bis anderthalb Dutzend Theilhaber umfaßt. Die Bedeutung des Steuermanns wird der Leser leicht zu unterschätzen geneigt sein. Der Binnenländer, welcher die Elbe in ihrem sittsamen Lebenswandel zwischen den Felsen der sächsischen Schweiz oder den flachen Ufern Magdeburgs kennt, meint jedenfalls, daß die Fahrt eines harmlosen Milchschiffes keiner besondern Steuermannskunst bedürfe. Aber er sollte diese nämliche Elbe in der Umarmung eines wilden Nordwests erblicken, wenn sie eine schäumende Brandung an’s Ufer wirft, Wellen thürmt, welche sogar die zwischen Hamburg und den Inseln verkehrenden Dampfschiffe mit förmlichen Sturzseen überschütten, Schiffe im Hafen von ihren Ankerketten reißt und sie, eines gegen das andere schleudernd, der Vernichtung weiht – dann würde er von einer solchen Ewerfahrt einen andern Begriff bekommen. Der Backbord des Ewers ist unter dem Drucke der Segel tief auf das Wasser geneigt,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1877). Leipzig: Ernst Keil, 1877, Seite 423. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1877)_423.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)