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um mein Schicksal zu theilen.“ Und nun, nachdem der Magen befriedigt und das Herz mittheilsam geworden war, erzählte er, in köstlichem Durcheinander von Französisch und Türkisch, wie es für das Verständniß G.’s sich nothwendig machte – eine Unterhaltung; deren Niederschrift eine herrliche Arbeit für einen Stenographen gewesen wäre – das Geschichtchen, das wir in möglichster Kürze mittheilen.

Der Türke bezeichnete den Mann gleich im Voraus als seinen Lebensretter und bestätigte, daß er ein Bulgare sei. Asan – so nannte er ihn – hatte in einem der zerstörten Dörfer bei Plewna Haus und Hof besessen. Weib und Kind hatten bei der Zerstörung den Tod gefunden, aber mit seinem alten Mütterchen war’s ihm gelungen, nach Plewna zu flüchten; als Osman Pascha heranzog, und als dieser die Stadt besetzte, war er in seinem Versteck geblieben, bis ihn der Hunger hervortrieb. Tapfer und listig, wagte er für seine Mutter Alles, als in der Stadt der Preis der Lebensmittel für ihn nicht mehr zu erschwingen war. Manche Nacht schlich er hinaus, oft Stunden weit, um Nahrung zu schaffen. Wie es wohl oft im Kriege geht, hielten die Türken ihn für einen der Ihrigen, und bei den Russen wußte er als einer ihrer Spione zu gelten, ohne ihnen je zu dienen. – „Ist es so, Bruder Asan?“ Der Bulgare hielt die Hand auf’s Herz, nickte und sprach: „So ist es, Bruder Ibrahim!“

So trieb er’s lange, auch als die Russen die Stadt schon vollständig eingeschlossen hatten. Da begab sich’s, daß Ibrahim, unser Türke, bei einem nächtlichen Ausfall verwundet wurde, und dies führte die Beiden zuerst zusammen. Die Türken flohen; die Russen ließen Ibrahim für todt liegen. In der kalten Nacht erwachte der Verwundete aus tiefer Ohnmacht und versuchte, da er nicht gehen konnte, fortzukriechen. Diese Bewegung war sein Glück, denn eben schlich Asan der Bulgare, wieder seinen alten Gang, als er den Verwundeten gewahrte. Er verband ihn nothdürftig, gab ihm einen Trunk und suchte ihn fortzuschleppen. Aber die Schmerzen desselben waren zu groß; er bat, ihn noch ein wenig ruhen zu lassen. Darüber brach der Morgen an, und der kluge Bulgare wußte, daß jetzt die größte Gefahr nahe. Eiligst spähte er nach Waffen, Todte lagen genug umher, er suchte ihre Gewehre zusammen und lud alle. Und da kam’s, wie er gewußt. Einige Kosaken schwärmten heran offenbar um die Todten zu plündern, was sie in der Nacht nicht gewagt hatten. Und da kämpfte der eine Mann wie ein Löwe für den Türken, bis aus der Festung Hülfe kam. Die Kosaken flohen – und nun war kein Säumen mehr; er trug den ächzenden Mann fort, bis er in Sicherheit war. „So,“ sprach der Türke, „ist Asan mein Bruder geworden.“ Er reichte ihm die Hand, die dieser demüthig küßte.

Von da an wagte der Bulgare sich nicht mehr von dieser Seite zu den Russen. Er fürchtete, erkannt zu werden. Auch sorgte der Türke für ihn und seine Mutter, bis er selbst nichts mehr zu theilen hatte. Da trieb’s den Bulgaren, um bei den Rumänen zu versuchen, was ihm bei den Russen so lange gelungen war. „Das verrieth er seiner Mutter,“ erzählte Ibrahim, „und diese mir noch in derselben Stunde, wo er weggegangen war. Ich erschrak; mir wurde angst um ihn, denn wenn ihn auch bei meiner Truppe Jedermann als meinen Lebensretter kannte, so war er doch unseren gegen die Rumänen fechtenden Leuten unbekannt. Ich bat sofort um die Erlaubniß, ihm nacheilen zu dürfen, erhielt sie und jagte, wohin mein Pferd laufen wollte, nach der Seite der rumänischen Stellungen fort – und wär’ doch um eines Athems Länge fast zu spät gekommen.“ Er sah dabei den Bulgaren an – und dieser, der eine Aufforderung zum Erzählen darin zu erblicken schien, platzte mit einem Male los mit einem Redestrom, den nichts zu hemmen vermochte und den Alle geduldig über sich ergehen ließen. Obgleich wir kein Wort davon verstanden, verrieth uns doch sein Mienen- und Geberdenspiel, daß man ihn gefangen, ihm die Hände auf den Rücken und einen Strick um den Hals gebunden habe. Erschöpft schloß er und küßte Ibrahim die Hand.

Dieser berichtete nun kurz, daß sein armer „Bruder Asan“ den dummen Streich gemacht habe, einer türkischen Streifpatrouille, die seiner ansichtig geworden, entfliehen zu wollen. Er wurde gejagt und gefangen und trotz aller Betheuerungen als Spion behandelt. Schon stand er mit dem Stricke um den Hals unter einem Baume und sollte eben in die Höhe gezogen werden, als der Türke daher gesprengt kam. Sein Verzweiflungsruf: „Bruder, mein Bruder!“ hemmte die Execution. „Ich konnte nun ihn retten, wie er mich gerettet hatte. Als meinen Gefangenen führte ich ihn nach Plewna zurück – und nun ist er doppelt gefangen.“

„Ein wunderbares Schicksal!“ sprach ich ergriffen, und ruhig sagte der Türke darauf: „Wenn es nicht so wunderbar wäre, brauchte man es nicht zu erzählen.“ Aller Blicke richteten sich plötzlich erstaunt auf G., der sein Skizzenbuch hervorzog und den Türken portraitiren wollte. Dieser wehrte jedoch entrüstet ab und bat, die Gesetze seines Glaubens zu schonen. Dagegen sah er lächelnd zu, als G. nun den Bulgaren zeichnete, und zwar in dem Augenblicke, wo man ihm die Hände auf den Rücken band. Das Uebrige entwarf er nur flüchtig nach den Andeutungen unseres Türken, der schließlich wenigstens gestattete, daß er als Lebensretter im fernen Hintergrunde mit aufgeführt werde. Daß auch die Oertlichkeit nur nach der ziemlich unklaren Schilderung hingestellt ist, muß man freundlich berücksichtigen und entschuldigen.

K. M.




Das Geburtshaus der Mutter Mac Mahon’s in Fallersleben. Bereits in Nr. 47 des Jahrgangs 1870 der „Gartenlaube“ wurde in einer kurzen Notiz erwähnt, daß die Mutter Mac Mahon’s eine Deutsche und in Fallersleben (dem Geburtsorte des verstorbenen Dichters Hoffman von Fallersleben) geboren worden. Unter den gegenwärtigen Verhältnissen, wo der Sohn dieser deutschen Mutter an der Spitze von Frankreich steht, dürfte es von Interesse sein, zu erfahren, wie die Uebersiedelung unserer Landsmännin nach Frankreich und deren Verheirathung zu Stande gekommen. Die nachfolgenden Mittheilungen beruhen meistens auf mündlichen Ueberlieferungen.

Die Mutter Mac Mahon’s wurde am 15. Juli 1790 geboren, und laut dem Fallerslebener Kirchenbuche bereits am 19. Juli auf die Namen Johanne Marie Henriette getauft. Ihr Vater war der Lieutenant Johann Daniel Behne, ihre Mutter, Mathilde Behne, eine geborene Bennet. Die obigen Taufnamen waren den Vornamen der Gevattern entnommen, aber das Kind wurde später stets Emilie genannt. Die Eheleute Behne hatten nur diese eine Tochter als erstgeborenes Kind und drei später geborene Söhne. Der Vater wurde später zum Hauptmann ernannt und starb im Jahre 1807. Die Wittwe konnte in der damaligen bösen Franzosenzeit nichts Besseres thun, als das bedeutende in Fallersleben belegene Besitzthum zu verpachten. Sie zog nach Hannover, um den Kindern besseren Unterricht und eine sorgfältigere Erziehung angedeihen zu lassen, und hier lernte sie den aus Schottland nach Hannover übergesiedelten Kunstmaler und Sprachlehrer Ariechall kennen und verheiratete sich mit demselben. Aus dieser zweiten Ehe sind Kinder nicht hervorgegangen. Der erwachsenen Emilie mochte die Wiederverheirathung der Mutter unangenehm sein, denn sie besuchte oft auf längere Zeit einen Onkel in Hannover, einen berühmten Arzt. Dieser fand an der jungen, munteren Emilie, welche für eine wirkliche Schönheit galt, so viel Gefallen, daß er sie immer um sich haben wollte und schließlich ganz in sein Haus nahm. Dies war ein entscheidender Schritt für das ganze Leben des jungen Mädchens. Es kam französische Einquartierung nach Hannover. Das Haus des Onkels wurde mit einem jungen Kriegscommissar, Namens Mac Mahon, belegt, welcher, gewandt und fein gebildet, sich sehr höflich und rücksichtsvoll gegen seine Hausgenossen benahm. Es konnte nicht verhindert werden, daß der junge Kriegsmann die hübsche, blühende Emilie Behne häufig sah, nachdem schon der erste Eindruck für beide junge Leute entscheidend gewesen.

Zwar zurückhaltend, aber doch eifrig, ergriff der junge Soldat jede Gelegenheit, sich mit der reizenden Emilie zu unterhalten und sie mit galanten französischen Artigkeiten zu überhäufen. Nun war aber in der Behne’schen Familie die Liebe zum Vaterlande immer ganz besonders groß und reichlich so groß der Haß gegen die französische Gewaltherrschaft gewesen; dieser Haß gegen Alles, was französisch war oder genannt wurde, war auch der Emilie Behne gleichsam angeboren und sie damit aufgewachsen; hatte doch ihr Vater gegen den Franzmann tapfer gefochten, und ihr ebenso tapferer Bruder stritt noch fortwährend gegen den Feind des Vaterlandes. Aber was vermochte das Alles gegen ein leidenschaftlich liebendes Mädchenherz? Der alte arglose, vielbeschäftigte Doctor und liebevolle Onkel hatte nicht im mindesten geahnt, was sich im Stillen hinter seinem Rücken entwickelt hatte, und durch schärfer sehende Hausgenossen mußte er erst darauf aufmerksam gemacht werden. Nun brach natürlich ein Sturm von Vorwürfen los, welcher besser gedacht, als beschrieben werden kann. Es war ja auch entsetzlich, einem leichtfertigen Franzosen, der nichts hatte als seinen Soldatenrock und jeden Tag todtgeschossen werden konnte, und noch dazu einem solchen Feind und Unterdrücker des Vaterlandes, der das deutsche Haus und den deutschen Herd schädigte, einem solchen Unwürdigen Herz und Hand zu geben. –

Mutter, Vormünder und wem sonst Einfluß zugetraut wurde, mußten abraten und abmahnen, ja es wurde mit allen Mitteln gedroht, welche auf ein junges Mädchen Wirkung ausüben konnten, aber vergeblich. Beide junge Leute hatten sich unwandelbare Liebe und Treue gelobt und blieben unerschütterlich in dem Entschlusse, diese Liebe und Treue sich gegenseitig erhalten zu wollen und nicht eher zu ruhen, bis der Ehebund ihre Gelobnisse und Schwüre besiegelt habe, sei es mit oder ohne Einwilligung der Verwandten. Doch diese Verwandten waren und blieben außer sich und gingen alsbald zu Gewaltmaßregeln über. Das junge Mädchen wurde aus dem Bereiche des Onkels entfernt und unter gehörig bewaffneter Begleitung, aber ganz im Stillen und möglichst heimlich, nach Rinteln an der Weser, in ein unter strenger Aufsicht stehendes Mädcheninstitut gebracht. Der verliebte Kriegscommissar mochte aber auch wohl Alles aufgeboten haben, über das Verbleiben der holden Braut Kunde zu erlangen; wir wissen, daß er Gelegenheit fand, die Geliebte in Rinteln zu sprechen, sie zur Flucht zu bereden und diese Flucht wirklich auszuführen, nach welcher sie dann in Frankreich durch den Segen der Kirche des Kriegscommissars Mac Mahon’s Gattin wurde. Unter den damaligen mangelhaften Verkehrsverhältnissen erhielten Mutter, Vormünder und sonstige Verwandte die Kunde von der Flucht ihrer Schutzbefohlenen erst, als dieselbe längst in Sicherheit und das Ehebündniß geschlossen worden war. Schreck, Entrüstung und Schmerz war bei Allen gleich groß und hat sich nie ganz verloren, denn diese Emilie wurde selten in der Familie erwähnt. Wohl mag der gewagte Schritt dem jungen Mädchen sehr schwer gefallen sein, da sie Vaterland, Verwandte und die sorgliche Mutter verlassen und einem ungewissen Schicksale sich anvertrauen mußte. Um so erfreulicher ist es aber, anführen zu können, daß sie diesen kühnen Schritt nie bereut, ihr treuer Gatte vielmehr alle gebrachten Opfer ihr vergolten hat. Der gegenwärtige Präsident der französischen Republik ist dieser Ehe am 10. Juli 1808 entsprossen.

Wir wollen noch anführen, daß Mac Mahon’s Vater Pair von Frankreich und mit Karl dem Zehnten persönlich befreundet gewesen sein soll. Die Mac Mahon’s stammen wahrscheinlich von schottischen Clans ab.

Der älteste Bruder der Emilie Mac Mahon, geborene Behne, Ludwig, trat als ganz junger Mann von fünfzehn bis sechszehn Jahren in die deutsch-englische Legion, machte den Feldzug in Spanien etc., dann die Schlacht von Waterloo mit und kehrte, mit Wunden und Ruhm bedeckt, als Major nach Fallersleben zurück, wo er bald nachher Commissair bei der Militär-Aushebungs-Commission wurde. Im Jahre 1845 gab er diese Stellung auf und ging, durch die damaligen pomphaften Schilderungen dazu verleitet, nach Texas, nachdem er seinen bedeutenden Grundbesitz, wozu auch das Geburtshaus der Emilie gehörte, verkauft hatte. In Texas waren die hochfliegenden Erwartungen nicht in Erfüllung gegangen; er kehrte nach drei Jahren kränklich zurück und starb bald darauf. Dieser Major Ludwig Behne hat – um dies nicht unerwähnt zu lassen – im

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