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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

er stand im Feuilleton der „Nationalzeitung“ vom 24. und 25. December 1861 - „Nur ein Märchen“ nennt, soll er uns im Folgenden begleiten, um mit einigen Zügen, die mir der Wirklichkeit entnommen zu sein scheinen, das aus andern Quellen Geschöpfte zu ergänzen.

Zu jenen ersten Eindrücken, die dauernd auf sein Wesen einwirkten, gehörten die Empfindungen, die sich aus dem Umstande ergaben, daß er zu Cöslin, in einem der Orte im Küstenlande zwischen Oder und Weichsel aufwuchs, „die man deutsche Pfropfstädte nennen sollte. Der Deutsche hat sie nicht gegründet, auch nicht erobert, sondern ein Reis in einen slavischen Stamm gesetzt, davon allmählich der ganze Stamm deutsch geworden ist.“ Cöslin liegt, wie alle diese Städte, in der Krümmung eines Flusses und am westlichen Ufer desselben, damit dieser ein natürlicher Graben, eine Schutzwehr gegen die von Osten drohenden Feinde sei, und auch sonst ist die östliche Seite besonders gut verwahrt; „denn es war eine unangenehme Gesellschaft, die Nationalitäten die weiter nach Asien zu wohnten“. (Sic!) „Die Häuser kehrender Straße die schmale Seite, den spitz zulaufenden Giebel, zu, und sehen bei Nacht wie eine Reihe von Landsknechten aus, Schulter fest an Schulter gedrückt“.

Frühzeitig scheint sich bei unserm Knaben die Beobachtung der Dinge und das Nachdenken über sie geregt zu haben. Auch die Phantasie wird bald erwacht und lebhaft thätig gewesen sein. Besonderen Eindruck machte auf ihn die Campe’sche Erzählung von der Eroberung Perus durch Pizarro, die er einst als Weihnachtsgeschenk erhielt. Weniger Gefallen scheint er an dessen Robinson gefunden zu haben. Jenes Buch verwahrte er noch 1861 als Andenken an Empfindungen der Kindheit.

„Nur vertraute Freunde bekamen es zu sehen, und dabei in der Regel folgende Betrachtung zu hören. Die lange Reihe von Bänden, zu denen dieser gehört, erzählt die Verrichtungen und Abenteuer von Spaniern, Portugiesen, Engländern, Franzosen und Russen; nur der erste beschäftigt sich mit einem Deutschen, Robinson Crusoe. Und was thut dieses Hamburger Kind? Es hat allerdings den Wandertrieb, der die Germanen nach Europa geführt, und der immer in ihnen fortlebt, wo sie an großen Wassern wohnen, aber er muß heimlich davonlaufen; denn Mutter warnte ihn: ‚Bleibe im Lande und nähre Dich redlich!‘, und der Vater sagte: ‚Wenn Du in die Fremde gehen willst, mußt Du erst sehr, sehr viel lernen‘. Und was richtet er draußen aus? Er erobert kein Reich, gründet keine Stadt, erwirbt keinen Reichthum. Er läuft wie ein Hasenfuß vor den Fußstapfen der Wilden davon, schließt eine Freundschaft, die stark nach Monsieur Jean Jacques Rousseau schmeckt, stolpert über einen Goldklumpen, verliert ihn aber auf dem Heimwege und bringt für sich und sein Vaterland nichts mit, als eine Kindergeschichte. Er lebt, wie es scheint, in Hamburg als Chambregarnist und geht jeden Abend in die Kneipe.“

Lothar Bucher.
Nach einer Photographie.

Kehren wir von Pizarro und Robinson zum eigentlichen Gegenstande unserer Betrachtung zurück, und beeilen wir uns, mit Bucher’s Knabenjahren zu Ende zu kommen. Unter dem, was die Schule bot, fiel ihm nichts so leicht, als Mathematik und Naturwissenschaften. In freien Stunden schnitzelte und drechselte er, wenn er nicht im Walde umherlief. Als die Eltern es endlich für passend hielten, ihn zu fragen, was er werden wolle, wollte er erst Seemannn, dann, als die Mutter dagegen war, Baumeister werden. Auch darauf gingen die Eltern nicht ein. Er sollte studiren, und als er nun unter den vier Facultäten zu wählen hatte, entschloß er sich für die Jurisprudenz, „bei der man Referendarius wurde und alle hübschen Mädchen betanzte, und später Justizrath, Ressourcendirector, Ritter des rothen Adlerordens, Wolfsjäger und überhaupt ein großer Mann.“

Bucher verließ das Gymnasium an der Zeit der heftigsten Verfolgung der Burschenschaft. Viele seiner ehemaligen Mitschüler waren in die Umtriebe dieser studentischen Verbindungen verwickelt; einer hatte sich am Frankfurter Attentat betheiligt; in den kleinen Universitätsstädten war die mißliebige Verbindung noch immer nicht ganz ausgerottet, und so mußte der Abiturient gegen seinen Wunsch die Berliner Hochschule beziehen. Er kam hier mitten in den Streit hinein, der sich damals zwischen der historischen und philosophischen Schule der Juristen, Savigny und Gans, entsponnen hatte. Wenn ich nicht irre, schloß er sich zunächst den Philosophen an und studirte fleißig seinen Hegel. Später verlor er die Lust an der Philosophie und vergaß sie auf lange Zeit über der Rechtswissenschaft, die er ernstlich zu treiben und dann auszuüben hatte. Von 1838 an war er am Oberlandesgerichte in Cöslin thätig, und fünf Jahre nachher wurde er Assessor am Land- und Stadtgerichte zu Stolp. Hier verwaltete er gleichzeitig einige Patrimonialgerichte, was ihm Kenntniß von den ländlichen Zuständen verschaffte. In Stolp begann das Amt ihn nach einiger Zeit zu langweilen, weil der Richter damals mit einer Menge von Geschäften nicht juristischer Natur beladen war. Um etwas Anderes zu haben, las er, wie damals viele gute und in ihrer Art gescheidte Leute, Rotteck und Welcker, deren Ansichten von Geschichte und Politik er sich mit der ihm eigenen Gründlichkeit und Energie zu eigen machte. Eben war er damit fertig geworden, als die Berliner Märztage kamen und bald nachher die preußische Nationalversammlung zusammentrat.

Bucher erhielt von den Wählern Stolps 1848 ein Mandat für letztere, und das Jahr darauf sandte ihn dieselbe Stadt als ihren Vertreter in das inzwischen geschaffene Abgeordnetenhaus. Bis 1846 hatte in Preußen alles öffentliche Leben gemangelt; der neue Abgeordnete aus Hinterpommern war Jurist mit wesentlich privatrechtlicher Bildung; es fehlte ihm alle und jede Erfahrung in Staatsgeschäften. Zählen wir dazu noch den Einfluß der Rotteck- und Welckenschen Anschauung von den politischen und historischen Dingen und erinnern wir uns, daß Bucher ein junger Mann von energischem Verstand und Willen war, so werden wir uns nicht nur nicht wundern, sondern es natürlich, fast nothwendig finden, wenn er sich den Radicalen in der Kammer anschloß – allerdings nicht denen, die sich über gute Formen hinwegsetzten, und ebenso wenig denen, welche sich in der pathetischen Phrase gefielen.

„Ich habe nie Jemand,“ so heißt es in einem Bruchstücke

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 151. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_151.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)