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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878)

Die Wäsche sonst und jetzt.
Von J. von Sydow.

In alter Zeit hüteten Königssöhne der Heerden, dieweil Königstöchter des Hauses warteten. Liebliche Sagen haben die Frau verherrlicht, die unter ihren Mägden saß, Spindel und Webstuhl regierend; hier vernimmt Andromache den Tod Hector’s; dort sorgt Krimhild „webend das Gewand, doppelt und purpurhell“, darinnen Sigfried den Tod findet. Homer erzählt von den Frauen, die mit „rasselnder Mühle zermalmen gelbes Getreide“, daß sie bei ihrem häuslichen Wirken emsig seien, „wie die Blätter der lustigen Zitterpappel“, und unvergeßlich ist die reizende Erzählung der Geschäftigkeit der Nausikaa, die Wäsche zum Bleichen und Waschen zu fahren hat, und das Bild der Gudrun die am Strande das Linnen Gerlinde’s wäscht.

So lehnen sich an die Arbeit der Frau im Hause die schönsten unserer Märchen an. Jenes Dornröschen, das sich mit der Spindel sticht, und alle die verwunschenen Prinzessinnen, die am Rade sitzen und das Schiffchen werfen, die feinen Hände, die in dunkler Nacht das Leinen waschen, das der Geliebte auf dem Herzen getragen – und bluten die Finger darunter, dann bleibt er treu – bleiben die lieblichsten Gestalten unserer Kinderzeit. Auch Hunderte freundlicher Erzählungen jener Tage, die der Volksmund „die gute alte Zeit“ nennt, überliefern das Wirken der alten deutschen Hausfrau vom Vater auf den Sohn und pflanzen es mit jedem Jahrzehnt sagenhafter fort. Das Bild der rührigen Hausfrau, die das schäumende Hausbier selbst bereitet, die allabendlich sorgt, daß für den nächsten Morgen Zünder genug vorhanden, den Schwefelfaden anzuzünden, deren Hände selbst das dünne Talglicht ziehen, die gar ängstlich die Räucherkammer bewacht, trotz des beißenden Qualmes, die sich unsere Phantasie nicht anders denken mag, als mit dem mächtigen Bunde von Schlüsseln, deren jeder von Sorge, Mühe und Last erzählt, ist eine Gestalt, uns nicht minder fern und nicht weniger vertraut, als jene Frau aus dem Märchen.

Solches Wirken der Frau und seine Poesie ist vergangen, seitdem der Dampf, dieser starke Sohn des 19. Jahrhunderts, in nimmersattem Ehrgeiz Sorg’ auf Sorge, Last auf Last uns abnimmt und mehr und mehr der Frau das Heft aus den Händen windet, das unsere Ahninnen und Aeltermütter so absolut und unbestritten führten. Wie es nur wenige liebliche Landschaften noch giebt, deren Poesie er nicht unter den eisernen Schienen begraben, die sich heute durch unser Land ziehen wie die Gitterstäbe eines großen Gefängnisses, so hat er auch in dem Bereiche der Freuden und Leiden des Hauses gewaltige Veränderungen hervorgebracht. Nicht mehr an das stille Walten zweier Hände ist das Bedürfniß und Wohlbehagen des Hauses gebunden; von dem Gerassel von hundert und aberhundert Fabrikrädern hängt es ab.

Den Nahrungs- und Genußmitteln des täglichen Lebens treten darin alle anderen Factoren des häuslichen Wohlbehagens an die Seite. Klappernde Räder wanden den Frauen das Schiffchen, die mechanische Kraft der Maschinen nahm ihnen die Nadel aus der Hand – und die Hofleute Frotho’s des Ersten, die den Entschluß faßten, dem Könige zur Vermählung zu rathen, „damit seine zerrissene Kleidung in Ordnung käme“, wären im Stande, diesen wünschenswerthen Zustand ihres Gebieters auch auf anderem Wege zu erreichen. Auch Hrolf’s Unmuth, in dem er ausruft, als er seine Mutter nicht mit den Mädchen an den Fluß ziehen sieht: „Was Wunder, daß echte Freundschaft nicht mehr in der Welt angetroffen wird, da selbst die Mutter dem Sohne das Linnen nicht mehr bleichen mag“, hätte sich allmählich gewöhnen müssen, weniger nachdenklich zu werden.

Denn auch die Wäsche, in ihrem ehrwürdigen Begriff alter Tage, steht heute nicht mehr in dem Sorgenregister der Frau, und die große Truhe „schwarzen Zeuges“, das Grauen und die Angst des Hausherrn, die ihm auf volle acht Tage den Begriff seiner vollkommensten Machtlosigkeit prophezeite, ihm das alte Wort zurückrief: „Du bist ein Mensch – das bedenke stets!“ läßt unsere Männer heute kalt. Seit die Waschmaschinen und Dampfwäschereien der großen Städte sich dieser unheimlichen Frage des Hauses bemächtigt, lebt die Qual eines echten, rechten Waschtages für einen Theil des Publicums nur noch in der Sage fort, die, dem Kinde auf dem Bettrande erzählt, sogar von freundlichem Schimmer verklärt wird. Nur der Duft der köstlichen Milchreisschüssel blieb zurück, das historische Mittagsmahl, das unabänderlich war, wie das Verhängniß.

Die Fortschritte der Technik in der Reinigung und Erhaltung unserer Bekleidungsgegenstände hatten sich bis vor wenigen Jahren ausschließlich auf das Gebiet der Bett-, Tisch- und Leibwäsche des Hauses beschränkt und für einen Theil unserer modernen Bedürfnisse eine Lücke gelassen. Die mechanische Anwendung des Wassers in Verbindung mit Seife, Soda oder anderen fettlösenden Körpern, die natürlichen und geeigneten Waschmittel für jene Waschgegenstände, die von den ersten Dampfwäschereien in wachsender Vervollkommnung vertreten wurde, erwies sich nur ausnahmsweise verwendbar, wo buntfarbige Wollen- oder Seidenstoffe in Frage kommen, und war ganz unbrauchbar zarten oder unechten Farben gegenüber.

Die Fabrikation der sogenannten Fleckenwasser, welche in keinem Hause fehlen durften, suchte diese Lücke auszufüllen; immer gehörte die Handhabung derselben zu den Pflichten und Aufgaben der guten Hausfrau, und kein betäubender Geruch der geheimnißvollen Flüssigkeiten durfte sie abhalten, zu Nutz und Frommen der Familie ihres säuberlichen Amtes zu warten.

Die sorgliche Gattin, die, in eine Brönner’sche Duftwolke gehüllt, den Rothweinfleck aus dem Sonntagsstaat des Gatten reibt oder mit den unaufklärbaren Schatten ringt, die den Werkelanzug ihrer Buben verdüstern, ist uns Allen ein vertrautes Bild. Der wichtige Fortschritt der chemischen Wäsche, der auch dieses Bad uns selten und seltener macht, ist erst wenige Jahre alt. Wenn es aber ein Maßstab für die Wichtigkeit und den Werth einer Erfindung ist, daß sie alles Andere verdrängt, was vor ihr in ähnlicher Art vorhanden war, so ist die Erfindung der chemischen Reinigung für die Interessen des Hauses eine epochemachende. In ihren Anfängen auf die Zeit der Fünfziger Jahre zurückzuführen, ist sie heut zu einer Vervollkommnung gediehen, die sie zu einem der interessantesten Groß-Industriezweige macht. Worin das Wesen der chemischen Reinigung besteht, ist heute wohl Keinem mehr fremd. Den Schwierigkeiten gegenüber, welche die Wasserwäsche nicht zu überwinden vermag, verwendet sie solche flüssige chemische Körper, welche die Eigenschaften besitzen, die ursprüngliche Farbe, Haltbarkeit und Appretur der verschiedenartigsten Stoffe nicht anzugreifen, sondern nur das Unreine aufzulösen, soweit es sich an unseren Kleidern, Röcken, Hüten, Bändern etc. befindet und aus Fettstoffen besteht, die den überall vorhandenen pulverigen Staub aufnahmen und auf und in den Zeugstoffen festkitteten. Zu den dazu verwandten flüssig-chemischen Körpern gehören Steinkohlenbenzol, Petroleumbenzin, Terpentinöl, Schwefeläther, Schwefelkohlenstoff, Amylalkohol und andere, von denen die letzteren drei indessen nur ausnahmsweise für die chemische Reinigung von Bekleidungsgegenständen, dagegen in großartigem Maßstabe zu ähnlichen Zwecken, zum Entfetten der rohen Schafwolle, der Tuche etc. in Anwendung kommen.

Die Hausfrauen hatten das Steinkohlenbenzin bisher in den verschiedenen Präparaten der Fleckenwasser nur im Kleinen consumirt. Der hohe Preis desselben schreckte unternehmende Köpfe von dem Versuch, diese Flüssigkeit an Stelle des Wassers im Großen zu verwenden, lange zurück, und als Judlin, der eigentliche Vater der chemischen Reinigung, zuerst in Warschau, dann in Berlin eine chemische Waschanstalt in großartigem Umfange einzurichten sich entschloß, machte dieser Umstand das Unternehmen zu einem nicht geringen Wagniß.

Der Erfolg desselben ließ im Laufe der Jahre eine Reihe gleicher Unternehmungen in’s Leben treten, und die chemische Wäsche als das bedeutsame Moment der Reinigung, Wiederherstellung und Erhaltung eines ganz bestimmten Theils unserer Bekleidungsgegenstände ist heute eine Frage von nationalökonomischer Bedeutung. Wir sind mit ihrer Anwendung auf Sachen unseres Haushaltes, die aus Tuch, Seide, Wolle etc. bestehen, gegenwärtig in das Stadium der Periodicität getreten, wie mit der Reinigung unserer Leibwäsche oder unseres Körpers selbst. Wie wir diese Letzteren periodisch zu gewissen Zeiten besorgen, so giebt es auch für die chemische Wäsche alljährlich

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1878). Leipzig: Ernst Keil, 1878, Seite 278. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1878)_278.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)