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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)


wird nicht gern die bittere Arznei schlucken, um einer Krankheit ledig zu werden? Wer wird sich scheuen, Kleid und Schuhe naß zu machen, um ein Kind aus dem Wasser zu retten? Aber andere ernste Lebensfragen treten oft an uns heran, wo beide „Uebel“ so gleich groß scheinen, daß die Entscheidung zugleich eine schwere Verantwortung in sich birgt und von unserm „Wählen“ Glück oder Unglück für uns oder unsere Lieben abhängt. Da gilt es mit fester, klarer Erkenntniß wählen und entscheiden.

Ich behaupte aber, wer es gelernt hat, rasch und sicher zwischen zwei kleinen Uebeln zu wählen, dem wird auch die Entscheidung minder schwer fallen, wenn es heißt: Soll ich die Quälerei eines ungerechten Vorgesetzten noch länger dulden oder eine sichere Stellung aufgeben? Soll ich mich in die Ehe meiner Tochter einmischen oder einen Rath unterdrücken, der vielleicht viel Unheil verhüten könnte? Soll ich mein Kind den Gefahren fremder Erziehung aussetzen oder denen einer mangelhaften im Hause? Soll ich einen Fehltritt meines Sohnes mit der vollen Strenge auffassen, die mir möglicherweise sein Vertrauen entzieht, oder mit der Milde, die seinen Leichtsinn bestärken würde?

O, wer vermöchte es, die Legion der großen und kleinen Uebel aufzuzählen, zwischen denen jeder Mensch immer und immerfort zu wählen hat, von der ersten „Wahl“ des Säuglings zwischen Hunger und der aufgedrungenen Nahrung an bis zu jener letzten schrecklichsten Wahl des Selbstmörders zwischen Tod und Weiterleben!

(Schluß folgt.)




Blätter und Blüthen.


Das Megaphon, eine vermuthlich deutsche Erfindung des siebenzehnten Jahrhunderts. Die Tagesblätter Amerikas und der übrigen Welt treiben gegenwärtig den größten Mißbrauch mit dem Namen Edison. Bald soll er erfunden haben, wie man dem Niagarafall alle Handarbeit der Vereinigten Staaten aufbürden könne, bald die Vertheilung des elektrischen Lichtes auf beliebig viele Lämpchen – ein, nebenbei gesagt, bis zu einem gewissen Grade längst gelöstes Problem –, dann wieder eine neue Blindenschrift, die, mit einer chemischen Auflösung hergestellt, reliefartig aus dem Papiere emporwächst, und sonstige wünschenswerthe Dinge. So hatte man denn auch in Betreff des Megaphons, des „schallenden Opernglases“, noch ehe man wußte, wie es construirt sei, einen ungeheueren Lärm gemacht (vgl. „Gartenlaube“ Nr. 34, 1878), und nun zeigt es sich, daß dasselbe gar nichts weiter als ein gewöhnliches, in etwas größeren Dimensionen ausgeführtes Höhrrohr vorstellt. Dasselbe besteht einfach aus zwei gegen sieben Fuß langen und am offenen Ende siebenundzwanzig Zoll weiten Trichtern aus starkem Papier, die auf einem drehbaren Stativ befestigt sind und den Schall mittelst eines biegsamen, engen Kautschukröhrchens in je ein Ohr leiten. Man hat sich einfach mit zwei riesigen Ohrmuscheln versehen, die sich beide direct nach derselben Richtung stellen lassen, um damit leises Flüstern auf etwa tausend Schritt, lautes Sprechen auf eine viertel Meile verstehen zu können. Es ist also von keiner Verstärkung des Schalles, wie beim Mikrophon, die Rede. Allem Anscheine nach hat schon der berühmte Verfasser des „Simplicissimus“, Christoph von Grimmelshausen, sich ein solches Hörrohr hergestellt gehabt, und das ist in keiner Weise zu verwundern, denn gerade im siebenzehnten Jahrhundert hat man unzählige Versuche über die beste Form der Sprach- und Hörrohre angestellt. Der abenteuerliche „Simplicissimus“ erzählt im ersten Capitel des dritten Buches seiner Lebensbeschreibung:

„Darneben erdachte ich ein Instrument, mit welchem ich bei Nacht, wann es Windstill war, eine Trompete auf drey Stundwegs[WS 1] von mir blasen, ein Pferd auf zwo Stund schreyen oder Hunde bellen, und auf eine Stunde weit die Menschen reden hören konte, welche Kunst ich sehr geheim hielt und mir damit ein Ansehen machte, weil es bey jedermann unmöglich zu seyn schien. Bei Tag war mir besagtes Instrument (welches ich gemeiniglich neben einem Perspektiv im Hosensack trug) nicht viel nutz, es wäre dann an einem einsamen stillen Ort gewesen; dann man mußte von den Pferden und dem Rindvieh an bis auf den geringsten Vogel in der Luft oder Frosch im Wasser alles hören, was sich in der gantzen Gegend nur regte und eine Stimme von sich gab. … Ich wil einen Menschen bei Nacht, der nur so laut redet, als seine Gewohnheit ist, durch ein solches Instrument erkennen, er sey gleich so weit von mir als ihn einer durch ein Perspektiv bei Tag an den Kleidern erkennen mag. Ich kan aber keinen verdenken, wenn er mir nicht glaubet, was ich jetzund schreibe, dann es wollte mir keiner glauben von denjenigen, die mit ihren Augen sahen, als ich mehrbedeut Instrument gebrauchte und ihnen sagte: Ich höre Reuter reiten, dann die Pferde seyn beschlagen; ich höre Bauern kommen, dann die Pferde gehen barfuß … es ist ein Dorff um diese oder jene Gegend, ich höre die Hanen krähen u. s. w. … Meine eigenen Cameraden hielten anfangs diese Reden vor Bossen, Thorheften und Aufschneyderey, und als sie im Werck befanden, daß ich jeder Zeit waarsagte, muste alles Zauberey, und mir, was ich ihnen gesaget, vom Teuffel und seiner Mutter offenbaret worden seyn.“

Ohne Zweifel ist also das Megaphon schon im Dreißigjährigen Kriege gebraucht worden. Auch Edison hebt hervor, daß man vermittelst desselben eine tausend und mehr Schritt entfernte Person im Grase gehen höre. Um sich gegenseitig mit diesem Instrumente auf größere Entfernungen, z. B. für Seezwecke, mündlich verständigen zu können, hat Edison noch ein in der Mitte auf dem Stativ befindliches Sprachrohr von ähnlichen Dimensionen, aber mit weiterem Mundstück hinzugefügt; die Correspondenten müssen beide diese drei Trichter zur Verfügung haben.




Die Louise-Büchner-Stiftung. Der letzte in Wiesbaden unter großer Theilnahme abgehaltene Congreß der deutschen Frauen-Vereine hat sich durch die einstimmige Annahme eines von dem Berliner Lette-Verein ausgegangenen Antrags auf Errichtung einer Louise-Büchner-Stiftung um das Wohl des weiblichen Geschlechts, namentlich der unteren Volksclassen, ein besonderes Verdienst erworben; diese Stiftung soll durch ihren Namen zugleich das Andenken an die leider zu früh dahingegangene Vicepräsidentin des „Alice-Vereins für Frauenbildung und -Erwerb“, Louise Büchner von Darmstadt, wach erhalten, welche bekanntlich mit seltener Energie und Ausdauer die letzten zehn Jahre ihres Lebens fast ausschließlich den Bestrebungen für Verbesserung des Looses ihres Geschlechts gewidmet hat. Die Berichterstatterin Fräulein Jenny Hirsch aus Berlin wählte als Grundlage für den zu stellenden Antrag einen der zweiunddreißig Aufsätze, welche vor Kurzem, aus dem Nachlasse der verstorbenen Louise Büchner gesammelt, unter dem Titel „Die Frau. Hinterlassene Aufsätze, Abhandlungen und Berichte zur Frauenfrage“ (Halle, Gesenius 1878) an die Oeffentlichkeit gebracht worden sind. In diesem, den Frauen-Verein für Gesundheitspflege in England besprechenden Aufsatze theilt die Verfasserin mit, welche großen Erfolge dieser Verein durch Verbreitung kleiner, populär geschriebener Schriften über Gesundheitspflege, Reinlichkeit, häusliche Oekonomie, Kindererziehung, bürgerliche Kochkunst etc., namentlich bei den Frauen der unteren Stände, erzielt habe.

Ein Hauptzweck der Louise-Büchner-Stiftung soll nun in verwandter Weise die Verbreitung ähnlicher billiger Volksschriften sein. Zwar habe man von anderer Seite, in Anerkennung der zeitgemäßen Wichtigkeit dieses Gedankens, bereits derartige Versuche gemacht, aber hier sei der schöne Zweck mit Hülfe buchhändlerischer Speculation angestrebt worden, während die Stiftung beabsichtige, ihre Publicationen anfangs unentgeltlich oder nur zu den allerbilligsten Preisen zu verbreiten, auch durch Aufgabe passender Themata zur Bearbeitung und durch Preisausschreiben zu wirken.

Nach der Annahme des Vorschlags durch die allgemeine Versammlung wurde in der Delegirtenversammlung der geschäftsführende Ausschuß des deutschen Frauen-Congresses, welcher augenblicklich durch den Berliner Lette-Verein repräsentirt wird, beauftragt, die weiteren Schritte zur Ausführung des schönen Unternehmens zu thun, und wird derselbe wohl in Kürze einen öffentlichen Aufruf an die Frauen und Jungfrauen Deutschlands zur Betheiligung an der Stiftung ergehen lassen. Möchte der Erfolg nicht fehlen, und möchten die deutschen Frauen begreifen, wie wichtig ihre vereinigte Thätigkeit in dem angedeuteten Sinne für die Hebung ihres eignen Geschlechts und das Wohl der Nation werden kann!




Zur Frage der Farbenblindheit. Auf der einundfünfzigsten Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte zu Kassel kamen die interessanten Streitfragen über die Entstehung und die Verbreitung der Farbenblindheit, welche auch in den Spalten der „Gartenlaube“ im Laufe der jüngsten Jahre mannigfach berührt worden sind, zur Sprache und zum Austrag. Unsere Leser dürfte aus dem Vortrage, welchen der bekannte Augenarzt Dr. Stilling zu Kassel gehalten hat, der Nachweis interessiren, daß, im Gegensatz zu den Ansichten berühmter Sprachforscher, besonders Lazarus Geiger’s, das Auge der alten Völker keineswegs für die blaue Farbe unempfindlich gewesen, und besonders nach der Darwin’schen Theorie die Argumente der Philologen nicht stichhaltig seien. Der Genannte wies nach, daß die Art der Beweisführung jener Gelehrten auf der falschen Voraussetzung beruhe, die Entwickelung der Sprache habe mit der Empfindung gleichen Schritt gehalten; die tägliche Erfahrung am Menschen lehre dagegen deutlich genug, daß Empfindungen vorhanden seien, für welche es keinen sprachlichen Ausdruck gebe, oder, wie bei kleinen Kindern, erst das Wort für die Empfindung anerzogen werden müsse. Schlagend gegen die Theorien der Sprachforscher spreche das Verhalten der Farbenblinden, denen man heutzutage so massenhaft begegne. Wenn nämlich die Farbenblindheit ein zurückgebliebener Zustand aus früherer Entwickelung des Menschengeschlechts, ein sogenannter Atavismus wäre, so müßte, wenn die Wirklichkeit der Theorie entspräche, die Blaublindheit heutzutage am häufigsten vorkommen, dieselbe sei aber selten. Außerdem ist ihre Erblichkeit nicht nachgewiesen, während die Rothblindheit die gewöhnlichste Form und ihre Erblichkeit über alle Zweifel gestellt ist, und – gerade die Alten sollen die rothe Farbe gut unterschieden haben! Dieser einfache Widerspruch, meint Stilling, sei der beste Beweis gegen die Geiger’sche Theorie.

St.




Kleiner Briefkasten.

Abonnent in Hamburg. Aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Wir kommen in jedem Falle noch auf die Horstmann’sche Schwerkraft-Maschine, welche inzwischen eigenthümliche Schicksale gehabt hat, zurück. Ein neues Modell derselben hofft der Erfinder, zusammen mit dem rühmlich bekannten Mechaniker Fuchs in Bernburg, demnächst fertig zu stellen.

E. R. in Washington. Ungeeignet! Verfügen Sie über das Manuscript!

Ein alter Abonnent in Aachen. Ein Blick in Meyer’s Conversations-Lexikon lehrt, daß im wissenschaftlichen Sprachgebrauche „Stockfisch“ (Gadus) eine Fischgattung aus der Familie der Schellfische bezeichnet; zu dieser Gattung werden der Kabeljau mit seiner Jugendform, dem Dorsch, der eigentliche Schellfisch, der Merlau oder Wittling etc. gerechnet.



Verantwortlicher Redacteur: Dr. Ernst Ziel in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Stunbwegs
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 56. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_056.jpg&oldid=- (Version vom 17.4.2023)