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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)


Diese Schwierigkeit des Treibens hat aber dem treuen Gestütswächter mehr als einmal zum Mittel gedient, das Gestüt vor Verlusten zu bewahren, ja dasselbe in seinem Bestande zu retten, wenn, wie oben schon gesagt, Freund oder Feind ihm die besten Thiere zu entführen gedachte. So kamen z. B. eines Tages feindliche deutsche Officiere in der Zeit des napoleonischen Krieges und verlangten die vorhandenen Pferde. „Gabt hen un halt se!“ war die in solchen Fällen übliche Antwort des Gestütswächters. Mit dem „Halen“ hatte es bei der Unkenntniß des Terrains natürlich seinen Haken. Zum Eintreiben gezwungen, ging er nach Norden, wo das Gebirge den buntesten Wechsel von Schluchten und Bergen aufweist; nachdem man tief in das Gebirge vorgedrungen, entdeckte man ein Rudel Senner, welches arglos weidete – vom Anblick der edeln Thiere entzückt, sprengten die Fremden darauf los; das Klirren der Säbelscheiden scheuchte die Senner auf und, den Schwanz in die Höhe geworfen, ging es im Sturm den nächsten Abhang hinan, daß das herunterpolternde Steingeröll den Verfolgern um die Ohren sauste. Als es aber an der andern Seite den Berg hinunter in eine tiefe Schlucht, drüben wieder in die Höhe und wieder hinunter und dann immer so fort ging durch Dickichte und Unterholz, das mit seinen Aesten förmlich nach den fremden Eindringlingen schlug und ihnen die Uniform zerfetzte, als endlich Senner um Senner, wie von Federn geschnellt, in halsbrechendem Sprunge über eine breite tiefe Wasserrinne setzte, da wurden die Herren kleinlaut, hielten es für das Beste, wieder umzukehren und waren froh, als der Gestütswächter sie aus den vermaledeiten Schluchten glücklich wieder herausführte. Der aber lachte in sich hinein, als er vor ihnen hertrabte; hatte er ihnen doch gezeigt, was es heiße, Senner einfangen zu wollen.

In dieses im Vorstehenden geschilderte Thierleben griff der Mensch nun insofern ein, als er neben der natürlichen Zuchtwahl, wie schon angegeben, die künstliche einführte. Zu diesem Zwecke wurden die Thiere Ende April nach Lopshorn getrieben; es geschah dies erst so spät, damit die Füllen nicht im zeitigen Frühjahr geworfen wurden, weil dann erstens die Mutterstute wegen der erbärmlichen Winternahrung nicht genügende Nahrung für das Füllen hatte, und ferner weil dieses in den morastigen Wegen der Mutter nicht folgen konnte und in den rauhen Wetter sehr leicht umkam. Welche Kraft solch ein Füllen mit sich auf die Welt bringt, zeigt die erstaunliche Thatsache, daß es unmittelbar nach seinem Eintritt in dieses Dasein neben der Mutter ein bis zwei Meilen weit einherläuft. Später, als die Thiere in den Wintermonaten eingestellt wurden, fiel diese Rücksicht weg. Keine Sennstute wurde vor dem vierten Jahre zur Zucht herangezogen, sie konnte aber dann auch noch im dreißigsten Jahre tragend werden; wie denn der Senner auch zum Dienst zwar erst mit dem sechsten oder siebenten Jahre tauglich wurde, dafür aber auch noch bis zum dreißigsten, ja weit über dieses Jahr hinaus brauchbar blieb. Eine eigenthümliche Beobachtung, die freilich nicht ausnahmslos galt, war auch die, daß der Senner vor dem fünften Jahre oft häßlich und ungestalt ist, dann aber sich schnell zu außerordentlicher Schönheit entwickelt; um nun diesen Entwickelungsproceß im Voraus einigermaßen beurtheilen zu können, beobachtete man die Beschaffenheit des Füllens, wenn es sechs Wochen alt geworden; war es in diesem Alter schön, so wurde es auch nach dem fünften Jahre schön.

Nach Ablauf des ersten Jahres erhielt das Füllen auf der linken Lende den altberühmten Sennergestüts- oder Kronensennerbrand, die lippische Rose mit der Krone und dem Namenszuge des jedesmal regierenden Fürsten darüber.

Früher fand jährlich im Sommer zu Lopshorn (später im Frühjahr in Detmold) eine Versteigerung von Sennern unter Bedingungen statt, auf die jetzt wohl schwerlich noch Jemand einginge. Nachdem aus dem Gestütsbuche ein Protokoll über das jedesmal an die Reihe kommende Pferd, über besondere Eigenschaften oder Fehler desselben verlesen war, wurde das Thier in den Hof gelassen, den es mit ein paar wilden Sprüngen betrat; dann aber blieb es im ersten Schrecken vor so viel Menschen scheu stehen. Der Käufer mußte den Preis in Gold bezahlen; unter Trompetenschall wurde ihm dann der Senner zugesprochen und diesem ein Lasso über den Hals geworfen, wobei es sich manchmal ereignete, daß das wilde Thier, das noch keines Menschen Hand berührt hatte, vor Entsetzen über die fremde Umgebung und den plötzlichen Zwang sich rücklings überschlug und auf der Stelle todt war; den Schaden aber mußte der Käufer tragen. Während der Auction spielte die fürstliche Capelle, und nach Schluß derselben fand in dem mit dem Gestüt verbundenen Jagdschlosse Hoftafel statt.

Es läßt sich denken, daß eine solche Verbindung natürlicher und künstlicher Zuchtwahl, wie die geschilderte, ungewöhnlich edle Thiere hervorbringen mußte, und in der That ist der Senner als das Ideal eines Campagnepferdes weithin berühmt gewesen. Gewöhnt, jedes Wetter, den Wechsel der Jahreszeiten und die damit verbundenen Entbehrungen zu ertragen, war er von der zähesten Ausdauer. General von Loßberg erzählt, daß er seine Rettung beim Rückzuge der napoleonischen Armee aus Rußland lediglich der Ausdauer seines Senners verdankte, der alle winterlichen Strapazen dieses trostlosen Feldzuges siegreich überwand. Ebenso groß war die Sicherheit des Senners, selbst auf dem coupirtesten Terrain; mit dem Hirsche um die Wette lief er auf dem schmalsten Gebirgspfad, erkletterte die steilsten Berge und strich unverletzt durch den dichtesten Wald. Als Zugpferd zwei bis drei Meilen in einem Trabe zurückzulegen, und zwar in einem Zeitraum von ein paar Stunden, war für den Senner nichts Besonderes.

Seine Gestalt ist von großer Schönheit und den edelsten Formen, der Kopf fein und orientalisches Blut verrathend, der Hals lang und schön, der Rücken gerade, Croupe und Brust vortrefflich; die Schenkel sind wahre Modelle, stark, trocken; die Sehne liegt fast frei. Besonders charakteristisch für den Senner ist der breite Halsansatz, der prächtige Schweif und die ebenso prächtige Mähne, welch letztere, vielfach gelockt, bis auf die Sprunggelenke herabwallt. Die schwächste Partie des Senners sind die Schultern, welche nicht die Stärke besitzen, um ihn auch durch Schnelligkeit sich auszeichnen zu lassen – sein Sprung dagegen ist unübertrefflich. Den edlen Eigenschaften seines Baues entsprach auch sein Charakter; er ward fromm, lenksam und den Menschen treu. Für die Lenksamkeit des Thieres spricht schon bezeichnend die Thatsache, daß der Fürst stets mit sechs Hengsten fuhr, überhaupt nur solche in Dienst stellte. Nur durfte von vornherein keine falsche Behandlung angewandt werden; das Thier wurde als völlig wildes eingefangen und in den Stall gebracht, wo ihm Alles, selbst der Wassereimer, Entsetzen erregte. Mit Geduld und Güte mußte es erst gewöhnt und mit der Gewöhnung auch fortgefahren werden, wenn es in Thätigkeit trat. Mit Güte erreichte man Alles beim Senner; mit einer einzigen Strafe dagegen konnte man ihn auf Monate, ja bei wiederholt schlechter Behandlung für immer verderben. Denn einmal verdorben, zeigte das Thier seine ganze Wildheit; Schlagen, Beißen, Steigen, sich Ueberschlagen und auf dem Boden wälzen – Alles wandte der Senner dann an und womöglich toller als andere Pferde, ja er wurde sogar lebensgefährlich, denn, wild geworden rückte er nicht selten mit offenem Maul, funkelnden Augen, auf den Hinterbeinen gegen den Menschen los. Es verging auch selten ein Jahr, daß nicht beim Einfangen der Hengste, wenn diese den Lasso spürten, einer der Betheiligten zu Schaden gekommen wäre, ja manchmal, um mit Prizelius zu reden, „wurde ein Kerl so zugerichtet, daß er vor tod nach Hause gebracht wurde.“

Wir schließen hier unsere Darstellung, welche, wenn sie kein anderes Verdienst hat, zum Mindesten den Zweck erfüllt haben dürfte, dem großen Publicum eine ebenso unbekannte wie eigenartige Erscheinung auf dem Gebiete der deutschen Pferdezüchtung nahe gebracht zu haben.

F. Lindner.




Palmsonntag in Corfu.

Nach dem Kalender der griechischen Kirche war es Palmsonntag, als ich in Corfu landete, auf der „Phäakeninsel“ Homer’s, deren Inneres, von gewaltigen Höhenzügen gegen jeden rauhen Luftstrom geschützt, wie ein großer Garten hinüberlacht zu dem festländischen Epirus. Drüben hat die Stunde der Befreiung von der Fremdherrschaft noch nicht geschlagen, während Corfu mit den anderen ionischen Inseln, welche einst unter englischem Protectorate gestanden haben, bekanntlich die Morgengabe bildete, mit welcher König Georgios die ihm angetraute Graecia erfreute.

Hier wiederholen sich dem Nordländer die Wunder Siciliens, die Orangenhaine, Olivenwälder, die überall wuchernden Reben und eine blendende, das Auge verwirrende Farbenpracht von Blumen aller Art.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 242. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_242.jpg&oldid=- (Version vom 9.8.2020)