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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

hat der Meister im Auftrage der Verbindung für historische Kunst gemalt; es ist nächst dem „Zuge des Todes“ sein bedeutendstes Werk. Da Spangenberg erst im Anfange der fünfziger Jahre steht, also in einem Alter, wo der Künstlergeist sich erfahrungsmäßig erst zu vollster Blüthe entfaltet hat, dürfen wir noch manches reife Kunstwerk von seiner langsam, aber gewissenhaft arbeitenden Hand erwarten.

So ist denn die Museumsinsel der Reichshauptstadt wieder um einen glänzenden Schmuck reicher und dadurch die ihr zugetheilte schöne Bestimmung in erhöhtem Maße zur Wirklichkeit geworden. Ob es nicht möglich ist, dereinst, trotz der bestehenden Hindernisse, die volle Verwirklichung herbeizuführen? Wir können nicht von dem Gegenstande scheiden, ohne eines neuerdings aufgetauchten Projectes zu gedenken, welches diese Möglichkeit ernstlich in’s Auge faßt.

Ein genialer Architekt, Baurath Orth in Berlin, hat vor Kurzem einen kühn erfundenen Plan ausgearbeitet, der darauf hinausläuft, die ganze Insel wieder für Kunstzwecke zurück zu gewinnen. Die Gemäldegallerie im alten Museum hat sich längst zu klein erwiesen, das alte Gebäude der Kunstakademie entspricht den Bedürfnissen nicht mehr, und überdies fehlt es an einer Localität für die alljährlich in Berlin stattfindenden akademischen Kunstausstellungen. Nachdem sich den vorhandenen Hindernissen noch ein neues hinzu gesellt hat, die in der Anlage begriffene Stadtbahn, welche die Insel quer durchschneidet, ist der Architekt auf den Gedanken gekommen, einen großartigen Terrassenbau zu errichten, der in seinem Kerne die Räumlichkeiten für den Packhof und den Tunnel für die Stadtbahn und auf der Plattform die vereinigten Gebäude der Kunstakademie, Gemäldegalerie und Kunstausstellung aufnehmen soll. Es würde also eine Anlage im Großen entstehen, wie sie die Brühlsche Terrasse im Kleinen präsentirt.

Noch ist über diese Pläne keine Entscheidung erfolgt. Wie alle großen und genialen Gedanken, die in kleinen Hirnen keinen Platz finden, hat auch dieser lebhafte Anfeindungen erfahren müssen. Bei dem lebhaften Interesse jedoch, welches der Kronprinz dieser Angelegenheit zuwenden soll, ist die Hoffnung noch nicht ausgeschlossen, daß Berlin durch eine Bau-Anlage verschönert werden wird, die, ein Nachklang der hängenden Gärten der Semiramis, in Europa nicht ihres Gleichen finden würde. Dann erst hätte das Wort des Königs, das wir an die Spitze unserer Schilderung gesetzt haben, in seinem ganzen Sinne eine glänzende Verwirklichung gefunden, und eine Stätte für die edelsten Güter der Menschheit wäre geschaffen, deren sich sonst keine Großstadt der Welt rühmen könnte.

Adolf Rosenberg.




Ein Traum.
Paraphrase zu Spangenberg’s „Zug des Todes“.


   Es war ein Traum, schreckhaft zugleich und süß –
Den brachte mir die laue Frühlingsnacht.
   Auf öder Haide, wolkenüberhängt,
Schritt einsam ich im Dunst der Morgenfrühe –
Ich war nicht ich – –
Auf allen Wassern wehten meine Flaggen,
Und was der Sinn vermessen je begehrt,
Ein Schloß am Meer und duft’ge Wundergärten
Und Rosse, die in goldnes Zaumwerk schäumen –
Mein nannt’ ich alle Schätze dieser Welt.
Doch über alles meinem Herzen theuer
War mir ein liebes Weib und traute Kinder,
Die mir am Lebenspfad wie Blumen blühten.
   „O süße Lust des Athmens, holdes Leben,“
Rief ich in meines Glückes Ueberschwang,
„Wie schön bist du!“
   Da plötzlich bebt der Boden unter mir,
Und durch die Lüfte rollt’s wie ferner Donner.
Der Nebel quillt und kocht und braut und brodelt
Und ballt sich zu Gestalten wunderbar.
Die zieh’n, ein bunt Gemisch, in langem Zuge
Die wüste Flur entlang, fernher, fernher,
Und deutlicher, indem sie näher zieh’n,
Gewahrt sie mein erstaunter Blick. Die Reihen
Durchschweift er fragend, bis er festgebannt
Auf einer schrecklichen Gestalt verweilt;
Er reißt sich schaudernd los und fühlt sich schaudernd
Auf’s neu gefesselt mit Dämonenmacht.
Ein Knochenmann ist’s, hohl das Aug’ und grinsend
Das leere, fleischlos knöcherne Gesicht;
In leichtem Tanzschritt wirft er gräßlich klappernd
Das dürre Bein; ein Mönchsgewand umschlottert
Ihm weiß und faltenreich den Leib, indeß
Den Schädel, nackt und kahl, ein Tuch umhüllt,
Das rabenschwarz im Wind, gleich Flügeln, flattert.
In hagrer Hand schwingt eine Glocke er,
Die, schaurig durch die weite Oede hallend,
Mit gellem Ruf sie alle lockt und bannt,
Der Haidewandrer ungezählte Schaaren:
Die rüst’ge Jugend fühlt sich fortgerissen
Vom halbgeleerten Taumelkelch der Lust;
Der müde Greis ergreift den Stab noch einmal
Und schließt dem Zug sich an mit schwankem Schritt;
Der König läßt sein Reich und seine Kronen
und folgt des beinernen Gesellen Spur;
Der Lahme trägt ihm ächzend seine Krücken
und seine Lumpen ihm der Bettler nach,
Und jede Zone sendet ihre Kinder –
Zum großen Heerbann stellen Alle sich,
So jung, wie alt.
Und dort – Entsetzen faßt mich eisig an – –
Der Bursche dort trägt meiner Jugend Züge –
So wehten mir um’s Knabenhaupt die Locken.
Und – jäh im Herzen stockt des Blutes Welle –
Mit meines Weibes Blick sieht jenes Weib
Mich an – so lächelte mir einst die Traute,
Als sie das erste Du mir sprach – und ach!
In dieses Kindes unschuldvollen Mienen
Find’ ich das eig’ne Kind, das theure, wieder.
Horch nun! beschleicht der flüchtg’e Haidewind
Mit Menschenstimme seufzend nicht mein Ohr?
„Das End’ ist Scheiden“ klingt es, „Tod die Summe
Von allem holden Erdenglück, und leben
Heißt leiden müssen.“
   Ich schaudere – in’s feuchte Haidekraut
Knie’ bebend ich und berg’ das Haupt im Sande
Und weine laut.
Still ist’s ringsum, und leise, kaum vernehmbar
Hör’ ich des Todes Zug vorübergleiten
Und fern verhallen seiner Glocke Schall.
Dann schweigt die Haide – Schweigen auch in mir!
Und ausgelöscht, wie Sonnengluth am Abend,
Ist in der Brust mir das Gefühl des Lebens.
   Auf einmal welch ein neues Bild! Zwei Augen,
Zwei liebe Augen leuchten über mir,
Und „Vater!“ tönt es mir von Kindeslippen –
Und in die Arme schließ’ ich meinen Knaben.
   „Der Erde Höchstes,“ ruf ich, „ist die Liebe;
Sie söhnt uns aus mit jedem Lebensleid,
Selbst mit dem Tode.
Was liegt an mir und meinem armen Glück?
Nichts ist der Mensch, und Alles ist die Menschheit –
Den rafft der Tod, doch diese bleibt und blühet,
Und das Gefühl, das zwischen Kind und Vater
Mit heil’ger Inbrunst seine Brücke schlägt,
Es schlingt den Liebesarm um die Geschlechter
Und eint Vergang’nes mit Zukünftigem.“
   Und wie ich’s denke, leuchtet durch’s Gewölk
Die Sonne auf – im Lichtglanz liegt die Haide,
Und eine mächt’ge Stimme ruft vom Himmel:
Der Menschheit Leben ist das ew’ge Leben.
Das war mein Traum, schreckhaft zugleich und süß –
Den brachte mir die laue Frühlingsnacht.

Ernst Ziel.




Blätter und Blüthen.

Adolf Strodtmann todt. Am 17. März, eine Woche vor seinem fünfzigsten Geburtstage, erlöste der Tod den in Steglitz bei Berlin lebenden Dichter von schwerem körperlichen Leiden, das ihm in kaum minder schmerzlicher Weise als Heinrich Heine, dessen Leben und Wirken er uns so vortrefflich geschildert, die letzten Jahre seines Lebens getrübt hat. Er erlag einem Nierenleiden. In Adolf Strodtmann ging wieder Einer hin von jenen opferfreudigen, kampfesfrohen Geistern, welche in trüber Zeit, meist unter Hingabe ihres Lebensglückes, mit der Feder und, als es galt, mit dem Schwerte für die Ideale politischer Freiheit und Einheit in Deutschland eintraten. Er war Einer von jenen Dichtern, die „den einsamen Botenläufern gleichen, welche des Morgens in aller Winterfrühe, wenn noch kaum die Hähne gekräht haben, auf den des Nachts

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 258. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_258.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)