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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

schlechtes Zeichen für Syrien, und wenn dasselbe am 1. und 27. stattfindet, für das Land Elam. Wenn der Mars im Monat Ulul wohl sichtbar ist, wird die Ernte gut ausfallen und das Herz des Landes erfreut werden. Wenn der Mond in seinen Aspecten von Wolken bedeckt erscheint, so wird es Ueberschwemmungen geben etc.“ Wie der größte Theil des übrigen Aberglaubens der Chaldäer, der aus der Voraussetzung eines allgemeinen Zusammenhanges aller Naturerscheinungen unter einander hervorgegangen war, so ist ihre Astrometeorologie über Kleinasien und Rom in die alte Welt gedrungen und hat unsere Witterungskunde – es ist schrecklich, aber wahr – bis tief in’s neunzehnte Jahrhundert hinein beherrscht.

Ohne freilich diese Ursprungsstätte selbst zu berücksichtigen hat der Geschichtsschreiber der Chemie, Professor Hermann Kopp in Heidelberg, die ferneren Schicksale der Astrometeorologie in einem kürzlich erschienenen Buche geschildert[1], dem wir im Nachfolgenden manche Einzelheiten entnehmen werden und welches einem weiteren Leserkreise um so angelegentlicher zu empfehlen ist, als es auch die neueste Stufe der jungen Wissenschaft von der rationellen Vorausbestimmung des Wetters demselben ausführlicher zugänglich macht, als wir es hier versuchen können.

Wenn wir uns zunächst auf den historischen Standpunkt zurückbegeben, so sehen wir die Gelehrten des Alterthums völlig in den chaldäischen Ansichten befangen. Virgil in seinem Gedichte über den Landbau wiederholte in Bezug auf die Witterungsvorzeichen größtentheils dasselbe, was der macedonische Arzt Aratos einige hundert Jahre früher in einem astronomischen Gedichte darüber vorgetragen hatte. Der Vater der wissenschaftlichen Astronomie Ptolemäos, welcher in der Mitte des zweiten Jahrhunderts zu Alexandria lehrte, behandelte diesen Zweig der Astrologie in seinen Werken so ausführlich, daß wir uns nicht wundern können, auch noch Tycho de Brahe und Kepler[2] ihre Kalender mit den Einflüssen füllen zu sehen, die der kalte und feuchte Saturn, der warme und trockene Jupiter, der heiße Mars, die trockene Sonne und der kühle Mond, die heitere Venus und der neblige Mercur auf jede Woche und jeden Monat zusammen ausüben sollten: wie, weil man damals nur fünf Planeten kannte, immer einer von ihnen und außerdem Sonne und Mond jedes siebente Jahr, jeden siebenten Monat, Tag und Stunde besonders regiere, und zwar souverain, wenn nicht etwa Kometen dazwischen kämen und den Fall bedenklich complicirten.

Nur darum möchten wir mit einigen Worten hierauf näher eingehen, weil auf diesem Glauben an die Planetenherrschaften ein leider noch nicht verblichenes Erbstück unserer Kalender beruht, der bekannte Witterungsbericht „nach dem hundertjährigen Kalender“. Man nimmt gewöhnlich an, dieses alte Inventar berufe sich auf eine angebliche Erfahrung, nach der die Witterung alle hundert Jahre wieder dieselbe sein solle, allein in dem alten Entwurf des Abtes Mauritius Knauer zu Langheim bei Bamberg handelt es sich vielmehr um den obenerwähnten jährlichen Thronwechsel der sieben Planeten in der Beherrschung des Jahres, und aus diesem Grunde wurde der hundertjährige Kalender (im siebenzehnten Jahrhundert unter der Autorität eines Dr. Hellwig) immer für sieben Jahre neu bearbeitet und herausgegeben. Bei dem ungemeinen Vertrauen, welches die Landleute und manche andere Volksclassen, trotz der fortwährenden Enttäuschungen, immer noch auf den hundertjährigen Kalender setzen, ist es zu bedauern, daß dieser Mißbrauch selbst noch in solchen Kalendern fortdauert, die von gemeinnützigen Gesellschaften, Vereinen für Volksbildung etc. herausgegeben werden. Man möge doch bedenken, daß die richtigen und sicheren Angaben der Kalender über Finsternisse, Gestirnbewegungen etc. geeignet sind, bei dem gewöhnlichen Manne den Glauben zu erwecken, daß man eben auch das Wetter auf Jahr und Tag vorausberechnen könne, und nicht einmal die alltägliche Erfahrung, daß die Witterung an demselben Tage in den östlichen und westlichen Provinzen, im Norden und Süden eines und desselben Landes häufig gänzlich verschieden ist, vermag den Glauben an solche heimathslosen und darum in sich selbst unmöglichen Angaben zu erschüttern.

Vergeblich haben sich Heinrich Bebel und Franz Rabelais vor mehr als dreihundert Jahren bemüht, die Kalenderweisheit durch prophetische Almanache lächerlich zu machen, in denen sie mit Würde und Nachdruck verkündeten, daß im kommenden Jahre mehrere Leute an schwerem Geldmangel und andere an heftigen Krankheiten leiden würden, daß im Uebrigen die alte Sonne und der alte Mond scheinen, der Winter Katarrhe und der Sommer Schweiß verursachen würde etc. Trotzdem kaufen in Deutschland die Landleute noch heute „Die Prophezeiungen des Schäfer Thomas“ und in Frankreich den „Dreigedoppelten Almanach“ („Le triple Almanach“) von Mathieu de la Drôme’s seligen Erben, der, wie sein Titel sagt, für Jedermann schlechterdings unentbehrlich ist, da er von den Koryphäen der Wissenschaft redigirt und von den ersten Künstlern illustrirt wird. Er sagt das Wetter und die anderen Weltbegebenheiten voraus und zwar nach einer ganz genauen Berechnungsmethode, welche gerade so wie das Recept des dreigedoppelten kölnischen Wassers Familienbesitz ist. Da indessen auf die Mondphasen ein besonderer Nachdruck für den Wetterwechsel darin gelegt wird, so handelt es sich wahrscheinlich ebenso wie bei der Berechnung des concurrirenden „Meteorologischen Almanachs“ von dem berühmten Kampherpillen-Fabrikanten und rothen Republikaner Raspail (gestorben 1878) um die vielbeklagte Pfuscherei unseres lieben Trabanten, des Mondes, in unser Wetter.

Die allgemeine Ueberzeugung, daß sich schlechterdings mit dem Mondwechsel das Wetter ändern müsse, läßt sich vielleicht als der zäheste Ueberrest der altchaldäischen Astrometeorologie in unserem Sinnen und Denken betrachten. Bei schlechtem Wetter, welches eine Aenderung sehr wünschenswerth erscheinen läßt, blickt noch immer Männiglich und Weibiglich hoffnungsvollst auf den nächsten „Mondwechsel“, der dem endlosen Regen oder Frost schon seinen Abschied geben werde. Nun sind aber die Mondphasen, das Abnehmen und Zunehmen und namentlich der Eintritt des ersten und letzten Viertels so gleichgültige Beleuchtungserscheinungen, daß Niemand in der Natur, nicht einmal die Warzen- und Wurmdoctoren, die entscheidende Stunde merken würden, wenn sie nicht genau im Kalender stünde. Der bekannte französische Astronom Faye ist vor Kurzem in solche Verzweiflung über die Unausrottbarkeit des Mondaberglaubens gerathen, daß er die Schreiblehrer der Dorfschulen um ihre Unterstützung gebeten und sie ersucht hat, der noch unverdorbenen Jugend zur Uebung vorzugsweise solche Sätze zu dictiren, wies „Es ist nicht wahr, daß der Vollmond die Wolke auffrißt; – es ist erlogen, daß der Neumond das Wetter ändern soll“ etc. Uebrigens sind nicht alle Wetterkundigen so radicale Mondverächter wie Herr Faye, vielmehr ist der vielgenannte Professor Stieffel in Karlsruhe ebenso wie der schon erwähnte Republikaner Raspail durch den Mond zu hohem Prophetenruhme gelangt. Da nämlich die Mondphasen nach neunzehn Jahren wieder auf dieselben Tage fallen, so müßte, falls sie die eigentlichen Wettermacher wären, nach neunzehn Jahren das alte Wetter wiederkehren, und die genannten Mondpropheten ersetzten deshalb nach neunzehnjähriger Beobachtung und Aufzeichnung den siebenjährigen Knauer’schen Planetenkalender durch einen mindestens ebenso zuverlässigen neunzehnjährigen Mondkalender.

In aller Abenteuerlichkeit verjüngten sich die astrometeorologischen Speculationen der Chaldäer in einem Berliner Rechnungsrath a. D. (F. A. Schneider), der seit dem Jahre 1836 mehr als dreißig Jahre hindurch die Planeten von Neuem für unsere Witterung verantwortlich machen wollte. Auf Jahre hinaus, so weit nur die Planetenberechnungen der Sternwarten reichten, die ihm zur Grundlage seiner Witterungs- und Temperaturbestimmungen dienten, berechnete er auch das Wetter voraus, veröffentlichte seine Vorhersagungen in der „Vossischen Zeitung“ und machte, die Nieten mit der Unvollkommenheit alles menschlichen Wissens entschuldigend, nachträglich triumphirend auf die Treffer aufmerksam. Wenn man von dem Platze aus, auf welchem der Obelisk zur Erinnerung an den vorjährigen Einzug des wiedergenesenen Kaisers in Berlin errichtet werden soll, nur wenige Schritte in die Potsdamer Straße hineinthut, so erblickt man links in der Mitte eines hübschen Gartens die angenehme Villa des letzten Chaldäers,

  1. Einiges über Witterungsangaben. Gemeinfaßlich dargelegt von Hermann Kopp. Mit 6 Tafeln. Braunschweig, Vieweg und Sohn, 1879.
  2. Uebrigens ist der große Kepler, obwohl er der Astrologie, die er die „närrische Tochter der Astronomie“ nennt, aus ökonomischen Gründen dienen mußte, doch zugleich als der Vater der wissenschaftlichen Klimatologie und Witterungskunde zu betrachten, wie dies in einem soeben erschienenen französischen Schriftchen (Essai sur la météorologie par M. H. Brocard. Grenoble 1879) überzeugend nachgewiesen wird.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 453. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_453.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)