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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

in den Roßställen schlafen. Oft wird ihnen das Quartier in den Städten ganz verweigert; dann suchen sie ein Unterkommen in den Schragen (Fruchthallen), wo ihnen die Kornsäcke zum Nachtlager dienen. Auch da, wo große Schulgebäude mit besondern Unterschlupfen für die fremden Schüler waren, wie es z. B. im Stift zu Sanct Elisabeth in Breslau deren allein etliche hundert gab, nahmen die Bacchanten sofort von denselben Besitz und die Schützen mußten sich mit einem gemeinsamen Lager am Herd begnügen. War es Sommer, dann richteten sie sich auf den Kirchhöfen ein Nachtlager her, indem sie das Heu zusammentrugen, das man in den Herrengassen des Sonntags vor die Häuser zu breiten pflegte, und es dann in einer Ecke der Kirchhofsmauer aufschichteten. Fällt in der Nacht Regen, so laufen sie rasch in die nahgelegene Schule. Breslau scheint von den fahrenden Schülern wegen seiner guten Schuleinrichtungen ganz besonders heimgesucht worden zu sein; es bestand dort sogar ein eignes Schulspital mit einem Arzte. Oft waren dort etliche Tausende bei einander, die sich alle von Almosen nährten, so daß zuletzt, wie unser Gewährsmann berichtet, die Nahrung ausging. Die Stadt war in sieben Pfarrbezirke getheilt, deren jeder seine Schule hatte, und „durfte kein Schüler in eines Andern Pfarre gehen und dort heischen und singen“, sonst wurde er mit Worten und Schlägen hinausgewiesen. Auch anderswo litt man nicht, daß die fremden Schüler besondere Landsmannschaften gründeten und auf eigne Faust sangen und heischten. So erging in Naumburg an Platter und seine schweizerischen Landsleute, welche dort schon mehrere Wochen lagen, das Gebot, sich der städtischen Schule anzuschließen, und als sie dem nicht nachkamen, zog der Schulmeister mit seiner ganzen Schule wider sie aus, und da sie sich in einem Hause verschanzt hatten, begann man sie mit Steinen zu bombardiren, bis sie Abzug nahmen.

Den Schützen kam aufs ihren besonders zur Winterszeit recht harten Gängen vielfach das lebendige Mitleid entgegen. Barmherzige Frauen führten sie in die Häuser, wärmten den vor Frost Zitternden die Füße und kochten ihnen ein warmes Süpplein oder ein Habermus. Einer solchen Pflegerin begegnete bekanntlich auch der junge Martin Luther in der Frau von Cotta, als er in Eisenach vor den Thüren sang. Auch Doctor Faust holte seinen späteren Famulus Christoph Wagner von der Straße herauf, wo er, übel gekleidet und fast erfroren, das Responsorium sang. Andere traten zeitweise ganz in die Dienste von Handwerkern. So trat Thomas Platter eine Zeitlang bei einem Seifensieder ein und half da freilich dem Meister mehr seifensiedern und die Asche von den Dörfern holen, als er in die Schule ging. Trotzdem hörte er nicht auf, in der Stadt zu heischen und seinem Bacchanten mancherlei Beute zu präsentiren, denn dieser läßt die Schützen so leicht nicht aus dem Garne. Sie bilden so die Pfründe, welche ihn ernährt. Selbst wenn der Schütze dem harten Zwange durch die Flucht sich entzieht, verfolgt er seine Spur von Stadt zu Stadt und tritt ihm eines Tags mit drohendem Bakel (Stock) wieder entgegen. Und dabei zog das arme Schülerlein oft nicht die geringste geistige Ernte aus dem ganzen Verhältnisse. „Fünf Jahre,“ klagt Platter, „zog ich schon mit meinem Bacchanten herum, und er hatte mir noch nicht einmal lesen gelernt.“

Vergebens hätte man auch bei den meiste Bacchanten nach dem Besitze eines gedruckten Buches geforscht. Nur in den Händen des seßhaften Schulmeisters, der sich übrigens oftmals selbst nicht scheute, von der Tagesbeute des heischenden Schülers zu genießen, fanden sich bereits einzelne Exemplare der freilich damals noch seltenen und kostspieligen Ausgaben lateinischer Autoren. Die Bacchanten schrieben das aus den Büchern Vorgetragene zu oft umfangreichen Heften in den Lehrsälen nach.

Und was, fragen wir billig, war das Ende dieses fahrenden Treibens? Stand an dem Wegziele wirklich der Lehrstuhl eines würdigen Meisters von der Schule in seinen drei Rangstufen des Baccalaureus, Cantors und Rectors? Mußte dieser Weg nicht nothwendig im Sumpf und Moraste enden? Vielfach war dies letztere in der That so. Nur eine gesunde, starke und in sich gefestete Natur konnte den Einflüssen eines solchen physischen und moralischen Elends ohne Gefahr für ihr besseres Selbst auf die Dauer widerstehn. Aber es fehlte in jener bedeutenden Zeit, welche durch die Namen eines Reuchlin, Erasmus, Melanchthon, Hutten un|d Luther getragen wird, keineswegs an solchen energischen Charakteren. So finden wir auch unsern Thomas Platter schließlich als wohlbestallten Rector der Lateinschule zu Basel. Aus dem armen Schüler, der einst zerlumpt und barfuß auf die Schulwanderung zog, war jetzt ein wohlangesehner und begüterter Mann geworden, der seinen Sohn Felix wohlvorbereitet auf die berühmte Arztschule in Montpellier schicken konnte, ohne ihn den Unbilden schülerischen Wanderlebens aussetzen zu müssen. Freilich war der Weg, der unsern Gewährsmann bis zu diesem Ziele gebracht, immer noch reich an Mühen, Rauhheiten und Abenteuern von oft seltsamer Art.

So treffen wir ihn am Schlusse seiner Schülerfahrten in der Werkstatt eines Seilers, wo er die losen Druckbogen des Plautus, den ihm ein zugeneigter Druckherr verehrt hat, beim Spinnen des Hanfes auf die Gabeln gesteckt hat und im Hinter- und Vorsichgehn fleißig studirt. In den Nächten lernt er Hebräisch und giebt am Feierabend einer Anzahl Studenten in seinem „Seilerschürzlein“ Unterricht in der hebräischen Grammatik. Dann ist er eine Zeitlang in einem Schweizerdorfe ehrsamer Seilermeister und würdiger Ortsschulmeister zugleich, bis ihn sein alter Wandertrieb von da wieder fort nach Basel führt, wo er, wie viele seines Gleichen, Corrector in einer Druckerei und dann erst Schulrector wird.

Viele von dem großen Haufen der fahrenden Schüler, die einst nach der Palme des Gelehrtenruhms getrachtet, gründen ihre Heimstätte zeitlebens auf dem goldenen Boden des Handwerks, der ihnen meist weit reichere Früchte trägt, als der dürre Boden des Lehramts. So verstand mancher schlichte Handwerksmeister des sechszehnten Jahrhunderts nicht nur seinen Donatus, sondern war auch wohlbewandert im Terenz und den Reden des Cicero.

Somit entkeimte der üblen Frucht des schülerischen Nomadenthums der Segen einer allgemeinen Verbreiterung der neuen humanistischen Bildung. Inzwischen wurde die Schule mehr und mehr seßhaft, der alte Wandertrieb verschwand aber nur, um auf andern Gebieten und in andern Formen desto mächtiger wieder hervorzubrechen.

Fr. Helbig.




Ein Arbeitsfeld für edle Frauen.
Von E. Rudorff.


Unter den brennenden Fragen, welche die Jetztzeit bewegen, steht die Frauenfrage mit in erster Linie, und mancher dankenswerthe Schritt ist zu ihrer Lösung vorwärts gethan worden. Ich möchte im Folgenden ein Uebel beleuchten, das manches weibliche Wesen, welches nicht gegen die gemeine Noth des Lebens anzukämpfen hat, schwer beunruhigt: die Berufslosigkeit.

Hat heute ein Mädchen die Mitte der zwanziger Jahre überschritten, hat der Reiz der Bälle und Gesellschaften, die Freude an allerlei dilettantenhaften Versuchen nachgelassen, so kommt der Moment, in welchem jedes edlere, geistig kräftige Frauengemüth zu der immer brennender sich gestaltenden Frage gelangt: Wohin? Wie verwende ich die in mir ruhenden Anlagen und Kräfte am ersprießlichsten für mich und Andere?

In einer aus gegenseitiger Neigung geschlossenen Ehe ist der schönste und naturgemäßeste Wirkungskreis gegeben, in dem alle edlen Keime der Frauennatur sich entwickeln können. Allein – wir wissen es alle – unsere Zeit mit ihren gesteigerten Forderungen an materiellen Genuß macht Eheschließungen, falls nicht einer der Ehegatten über größere Mittel verfügt, immer schwieriger.

Womit soll nun das unverheirathete Mädchen sich beschäftigen die langen Tage hindurch? In den höheren Ständen suchen einige ihre Kräfte zu verwerthen, indem sie Unterricht an Privatschulen unentgeltlich ertheilen, ohne hierbei zu bedenken, daß sie dadurch den auf Erwerb angewiesenen Mädchen eine traurige Concurrenz bereiten. Andere fertigen Arbeiten für Läden und Bazars an und drücken – da sie an einem sehr geringen Preise Genüge haben – den bereits allzu kärglichen Lohn der armen Arbeiterinnen noch mehr herunter.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 647. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_647.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)