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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

von einer tiefen Bedeutung für das Leben unseres Dichters: er gründete einen eigenen Herd und führte die Verlobte, die Tochter eines Kaufmanns in Eberswalde, mit der er sich schon in Berlin zum gemeinschaftlichen Tragen von Freud’ und Leid verbunden hatte, nun als liebes Gemahl in sein Haus. Ihr sind die neuen Gedichte „Stürme des Frühlings“ gewidmet, deren erste Auflage 1865 in Berlin erschien. Was diese Sammlung sofort aus der großen Masse heraushob, war der in den Gedichten enthaltene Wechsel der Stimmungen, Reichthum und Tiefe der Gedanken und Schönheit der Form. Der elegische Ton der ersten Sammlung „Aus tiefstem Herzen“ klingt auch hier vielfach wider, im Nachhall alter Schmerzen, neuer Enttäuschungen:

„Wie lang,
O wie so lang die Nacht,
Wenn draußen der Regen tropft!
Wie bang,
O wie so bang sich’s wacht,
Wenn an’s Herz die Reue klopft!“

oder an einer andern Stelle:

„Und ach! ich habe nichts gefunden
Als eines Herbsttags kalte Pracht,
Nur wenig sonnenlichte Stunden –
Und eine endlos lange Nacht.“

Dann aber finden wir in dem seiner Braut gewidmeten Cyklus „Helene“ den Ausdruck vollsten Liebesglückes in ganz besonderer eigenartiger Schönheit; es sind Verse darunter, die wohl in einem Stücke des großen britischen Dichters vorkommen könnten:

„Lippen, die ihr sonst so herbe,
Lippen, werdet fromm und büßt,
Denn ein Engel hat ja heute
Friedenbringend euch geküßt!

Milde Worte sprecht in Zukunft,
Wo ihr sonst vor Zorn gebebt,
Und wo ihr bisher verdammtet,
O da tröstet und vergebt!“

Auch diese Sammlung enthielt wieder eine Reihe politischer Gedichte, geschrieben unter der Gewitterschwüle, die damals auf dem deutschen Reiche lagerte. Was uns diese Lieder vorempfinden ließen, kam in dem Kriege von 1866 zum Ausbruch. Während des Krieges war die Muse Scherenberg’s stumm, aber im folgenden Jahre, nach geschlossenem Frieden und der Errichtung des Norddeutschen Bundes ließ er, unter dem Titel: „1866“, eine Sammlung von einundzwanzig Gedichten erscheinen, die nicht in epischer Breite alle Begebenheiten des Feldzugs erzählen, sondern die hervorspringendsten Momente in klagenden, zürnenden, dann auch wieder von der höchsten Gluth vaterländischer und kriegerischer Begeisterung durchwehten Liedern feiern. Zugleich zeigt dies „1866“ eine neue Seite der poetischen Begabung Scherenberg’s, die in seinen übrigen Gedichten eigenthümlicher Weise nirgend hervortritt: die humoristische. Der Gesang an die Klein- und Mittelstaaten und die Elegie auf den Tod des Bundestags sind Meisterstücke der politischen Satire.

Die immer mehr wachsende Anerkennung, mit welcher das deutsche Volk die Dichtungen Scherenberg’s aufnahm, sollte durch einen Schlag des Schicksals vergällt werden, der ihn bis in das innerste Leben traf: durch den Tod seiner Frau, der 1868 erfolgte. Man kann nichts Rührenderes lesen, als die Gedichte, welche er an ihrem Krankenlager und Sterbebette geschrieben hat oder in welchen er um die Hingeschiedene seine Klagen erhebt. Es mag hier gleich vorweg bemerkt werden, daß die Schwester der Gestorbenen später seine zweite Gattin wurde und das gestörte Glück seines Hauses in reichem Maße wieder aufrichtete. Auch die an sie gerichteten Gedichte tragen ganz das Gepräge der Scherenberg’schen Eigenart, die sie über die gewöhnliche Liebeslyrik weit emporhebt. Wir nennen namentlich: „Zwei Schwesterrosen“, ferner „Müde Augen“ und lassen ein drittes hier folgen:

„Kein flücht’ger Rausch hat uns verbunden;
Nicht in des Glückes Blüthenzeit
Hat Lieb’ zu Liebe sich gefunden –
Uns einte tiefstes Herzensleid.

Der gleiche Schmerz, die gleiche Trauer,
Unmerklich knüpften sie das Band:
Es weihte uns mit leisem Schauer
Stillsegnend eine Geisterhand.“

Im September 1870 verließ Scherenberg Braunschweig, wo sein politisches Wirken von so durchgreifendem Erfolge begleitet gewesen war, um die Chefredaction der „Elberfelder Zeitung“ zu übernehmen, die bisher in den Händen von Paul Lindau geruht hatte. Unter den Gedichten, zu welchen der Krieg von 1870 und 1871 ihn begeisterte, ist namentlich eines: „Den Gefallenen“ von hervorragender Schönheit; seine größten Siege aber feierte er in dem Culturkampfe, der 1873 ausbrach und an dem er sich in seiner Doppeleigenschaft als Politiker und Poet mit der ganzen Wucht seines Talentes betheiligte. Sein „Hie Papst – hie Kaiser!“ machte ebenso die Runde durch ganz Deutschland, wie vor Jahren sein Ruf nach einem deutschen Parlamente. Er suchte und fand eine Menge dichterischer Kampfgenossen, und so entstand das von ihm herausgegebene Buch: „Gegen Rom, Zeitstimmen deutscher Dichter“ (Elberfeld), welches so gewaltig einschlug, daß binnen wenigen Monaten neun Auflagen vergriffen wurden.

Die Leser der „Gartenlaube“ dürfte es interessiren, daß dieser poetische Sturmlauf gegen den Vatican durch das von Scherenberg in diesem Blatte im Jahre 1874 veröffentlichte Gedicht: „Wem gilt unser Krieg?“ hervorgerufen worden ist. Es war der erste Beitrag unseres Dichters für die „Gartenlaube“, der damit einer Aufforderung des unvergeßlichen Begründers und damaligen Herausgebers derselben nachgekommen war. In diesem Gedicht sprach Scherenberg klar und unzweideutig aus, daß der Kampf nicht gegen den Glauben, sondern nur gegen die politischen und antinationalen Herrschgelüste der römischen Hierarchie gerichtet sei:

„Wem gilt unser Krieg? – Nicht dem stillen Gebet,
Das den Segen der Liebe vom Himmel erfleht,
Gleichviel wie die Lippe es flüstert –
Doch dem Priesterhaß und dem Dogmenzwang,
Der die Seele des Volkes vergiftend durchdrang
Und den Frieden des Hauses umdüstert.“

Das Buch wirkte weit über die Grenzen Deutschlands hinaus; in Belgien schloß sich ihm Charles Potvin an mit einer Dichtung, die er ebenfalls „Contre Rome“ betitelte. Die ultramontanen Poeten suchten den Stoß durch eine Sammlung von Gedichten „Für Rom“ zu pariren, aber der Ultramontanismus hat keinen Poeten.

Im Wupperthale gehen bekanntlich die Interessen des Handels und der Industrie allen andern voran, vielleicht mit Recht, und Scherenberg, als Leiter einer Zeitung, welche auch diesen vielfach sich widerstrebenden Interessen vorzugsweise dienen muß, war genöthigt, sich in ihre zum Theil sehr verwickelten Verhältnisse hineinzuleben. Er hat es mit so vielem Geschick gethan, daß ihn die Elberfelder Handelskammer zu ihrem Secretär ernannte. Man hat sich nachgerade davon entwöhnt, jeden Poeten für einen Träumer zu halten, für einen unklaren und unpraktischen Kopf; die wirklichen Poeten sind es fast niemals, und Shakespeare hat sehr wohl zu rechnen verstanden.

Wie Scherenberg auch zoll- und handelspolitische Fragen poetisch zu verklären wußte, zeigt sein Trinkspruch auf der großen Versammlung deutscher Industrieller in Berlin (1878), aus dem wir folgende Strophe anführen:

„Deutsche Arbeit – ‚schlechter Trödel’
    Ruft man auslandstoll dir zu –
Doch ich sag: dem Aschenbrödel
Winkt dereinst der Königsschuh!“

Neben der Redaction der „Elberfelder Zeitung“ übernahm Scherenberg 1874 auch die Redaction des in Düsseldorf erscheinenden „Deutschen Künstleralbums“ und kam dadurch, sowie durch die Sammlung gegen Rom unter anderm auch in Verbindung mit Anastasius Grün, dem Grafen Anton Auersperg. Diese Verbindung, nur wenige Jahre vor dem Hinscheiden des berühmten Dichters begonnen, ist eine außerordentlich freundschaftliche und herzliche geworden. Nicht wegen dieser persönlichen Beziehungen wollen wir ihrer gedenken, aber es wird von hohem und allgemeinem Interesse sein zu hören, wie Graf Auersperg, der ein ebenso großer Staatsmann wie Poet war, sich über den Ausgang des Krieges von 1866 ausgesprochen hat. Er schrieb an Scherenberg unter dem 7. April 1875 aus Graz, nachdem er seinen Dank ausgesprochen für die gesammelten Gedichte, welche ihm Scherenberg zugesandt hatte, „unter denen er viel des Neuen gefunden, das ihn innig angemuthet und dichterisch erquickt“, wörtlich Folgendes: „Auch das für mich als Oesterreicher mit dunklen Floren umhangene Jahr 1866 hat mich in Ihren poetischen Klängen wieder tief ergriffen. Aber Sie haben in der Wesenheit doch Recht; die Zwitterstellung war unhaltbar, die Lösung für

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 823. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_823.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)