Seite:Die Gartenlaube (1879) 846.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

geht auf ganz andere Eroberungen aus. Sie will die Augen Seiner Majestät des Königs auf sich zu ziehen suchen, wenn der Monarch in der nächsten Woche unsere Stadt beehrt.“

„Nicht möglich!“ fuhr Erminia auf.

„Mein Portier verhört sich nicht,“ behauptete Angela. „Die Gräfin ist voller Wuth von Eurer Hoheit zurückgekommen, hat in ihren Zimmern laut auf die Kälte meiner gnädigen Herrin gescholten –“

Das Mädchen brach ab, da Erminia erregt einige Schritte durch das Gemach that.

„Dem ritterlichen König, der stets gegen meinen Vater und mich die Güte selbst gewesen, will diese – diese Circe nachstellen? Angela, ich ertheile Dir unbeschränkte Vollmacht; ich will Dein Mittel nicht kennen lernen, aber thu’, was Du magst, um das gefährliche Weib unschädlich zu machen!“

„O, das ist köstlich,“ frohlockte die Angerufene leise. „Doch wenn es gelungen, darf ich wohl erzählen, was ich angestellt? Im Vertrauen auf die Genehmigung meiner Herrin habe ich mit dem Portier schon das ganze Stückchen verabredet; es muß glücken; die Gräfin geht sicher in’s Garn, und die Badewärterin auf dem Lido ist meine Tante.“

Erminia war noch in Wallung.

„Ich begreife Dich nicht mit Deinem Lido, doch meinetwegen fahre hinaus!“

„Gut, ich verschwinde; vor Abend bin ich zurück, aber Hoheit müssen mir den Abend selbst auch noch Freiheit geben, wenn ich Alles in’s Werk richten und zwei –“

Sie stockte.

„Und zwei?“ wiederholte Erminia im Frageton.

„Verzeihung, ich wollte ungeziemender Weise sagen: wenn ich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen soll. Heut Abend ist Concert auf dem Marcus-Platz, wenn das Wetter gut bleibt, und es bleibt gut. Bei der Musik fehlt der Cavaliere di Fabbris nie. Adio, Hoheit!“

Ohne die Antwort der Herrin abzuwarten, schlüpfte Angela geschmeidig wie eine Eidechse hinaus.

Erminia dachte unruhig, verstimmt den Reden des Mädchens nach. Gegen die Polin stieg geradezu Abscheu und Haß in ihr auf. Als sie den Vater heimkommen hörte, nahm sie sich zusammen, ihre Erbitterung zu unterdrücken, ließ die Bariatinska unerwähnt und theilte nur mit, daß sie eigenmächtig dem Dienstpersonal ein neues Glied einverleibt. Der Herzog, mit Allem zufrieden, was sein Töchterchen that, lobte ihren Einfall, weil man während der Abwesenheit des Königs mehr dienende Hände, als gewöhnlich, nöthig haben werde.

Der Abend kam. Auf dem Marcus-Platz herrschte großes Gewühl. Die Schauläden in den Arcaden der Procuratien, die Juwelier- und Glaswaarengewölbe, die Bilderhandlungen hatten in den beiden letzten Tagen merklich gearbeitet, ihr Bestes auszustellen; der Hof sollte seine Augenweide finden. Bis in die engsten, winkligsten Gassen war die Kunde von der nahen Ankunft des volksthümlichen Kronenträgers gedrungen, und Alles, was Beine hatte und nicht durch Krankheit gefesselt lag, war in Bewegung. Jeder wollte sehen, welche Zurüstungen getroffen wurden.

Antonio, der am Vormittag wieder tüchtig mit seinem Regiment exercirt hatte und dann in sein Quartier geeilt war, weil es ja möglich schien, daß er schon eine Einladung in den Palast Bevilacqua vorfand, hatte eben keine gefunden; sein goldhaariges Idol war also unzweifelhaft noch nicht bei Erminia gewesen. Er mußte sich in Geduld fassen und begab sich zu Tische in’s Arsenal. Ob die Gräfin sich heute wohl wieder unter die Menge auf dem Marcus-Platz mischte? Antonio wünschte es, deshalb hoffte er’s; und als die ersten Laternen ihr Licht ausstreuten, brach er sich Bahn durch den Volksstrom bis zu seinem Stammsitz vor dem Café Quadri.

Wie immer, gesellten sich Cameraden zu ihm; die Musik begann; sie spielte lebendiger, feuriger als je; die Vorfreude auf die kommenden Tage rauschte aus den Trompeten und Bombardons in die weiche Luft. Kaum war das erste Stück verklungen, so spürte Fabbris einen würzigen Duft in seiner Nähe und hörte von wohlbekannter Stimme einen freundlichen Abendgruß. Angela stand hinter ihm, ihr Blumenkörbchen wie sonst am Arm, und bot ihm das übliche Sträußchen dar. Aber als diesmal die halbe Lira in ihre Hand fallen sollte, lehnte sie die Annahme flüsternd ab und fügte, unhörbar für Antonio’s Tischnachbarn, hinzu: „Fahren Sie morgen Mittag nach dem Lido! Um zwei Uhr treffen Sie die blonde Gräfin dort in den Bädern. Still, Herr!“ bat sie, da sie sah, wie es ihn durchzucke. Den Finger auf den Mund gedrückt, huschte sie davon, im Nu von der großen Menschenwoge überfluthet.

Die anderen Officiere hatten die Fioraja ganz übersehen; ebenso entging ihnen die dunkle Gluth im Antlitz des jungen Waffenbruders, der sich einerseits unangenehm berührt fühlte, daß ein Mädchen wie Angela sein Herz durchschaut, andererseits aber wieder ihre Botschaft mit Entzücken vernommen hatte. Belogen war er sicherlich nicht, und am folgenden Tage fiel der Uebungsmarsch aus; in der Caserne sollten Monturen und Waffen geputzt werden; mithin stieß die Lidofahrt auf kein Hinderniß.

Angela eilte vom Marcus-Platze der Piazzetta zu. Dort schenkte sie ihr Körbchen einem Kinde, das ärmer war als sie. Zum letzten Mal hatte sie’s gefüllt, und sie triumphirte innerlich, daß sie sagen konnte: „Mein letztes Sträußchen war ein Geschenk an ihn.“ An der Riva wartete ihrer die Gondel des Freundes, der sie umsonst fuhr. Der braune Bursche ruderte in den großen Canal und hielt vor dem Palast Bevilacqua.




3.

Der Lido ist die äußerste und umfangreichste der Inseln, welche das Wasser der Lagunen oder Strandseen vom Adriatischen Meere scheiden. Auf der Südseite des Lido sind über Holzpfählen die Zellen erbaut, worin sich die Badegäste entkleiden, die weiblichen links, die männlichen rechts, und zwar stehen diese Zellen in Zusammenhang mit einer dazwischen liegenden Restauration, welche von einer Terrasse aus den Blick nach beiden Seiten hin frei giebt. Der alte Griechendichter Euripides singt: „Das Meer spült alles Schlechte von den Menschen ab.“ Auch von der strengen Etikette befreit es sie; die Schaumfluthen, wenn sie halbwegs hochgehen, werfen jenseit der nicht allzuweit in die Wellen ragenden Scheidewand häufig Männlein und Fräulein hart zusammen, woran die Badenden so wenig Anstoß nehmen, wie an den Zuschauern, die sich über die Brüstung der Terrasse lehnen. Enganliegende Wollengewänder ohne Aermel umschließen die Glieder der Frauen. Der Salzgehalt der Adria ist stärker, als der des ligurischen und tyrrhenischen Meeres; deswegen lockt der Lido zur Sommerzeit zahlreiche Gäste aus Genua, Rom und selbst aus Neapel an. Der Portier des „Hôtel Danieli“ hatte der Gräfin Bariatinska auf Angela’s Betrieb das Märchen aufgebunden, der König liebe es sehr, schöne Damen baden zu sehen; sofort war die Polin entschlossen, sich mit dem Meere vertraut zu machen. Nur um ihr Haar hatte sie Besorgniß geäußert, allein der böse Feind raunte ihr zu, dafür gäbe es schützende Badekappen, die dem Einfluß des Salzwassers vorbeugten. Indeß ihre Ausbildung zur Nereide wollte sie gern unbeachtet vornehmen, der Rathgeber empfahl ihr deshalb die zweite Nachmittagsstunde, wo sie muthmaßlich die einzige Taucherin sein werde.

Die schönste Sonne begünstigte Ludovica’s Seeprobe. Um ein Uhr bestieg sie mit ihrer Dienerin das Dampfboot, welches allstündlich den Verkehr zwischen der Riva von Venedig und dem Lido vermittelt. Der Portier geleitete sie an die Bude, wo der Billetverkauf stattfindet, und schärfte ihr noch besonders ein, beim Anlegen des Meercostüms sich ja von der Badewärterin helfen zu lassen, die eine äußerst erfahrene, geschickte Person sei und namentlich mit der Unterbringung des Haares der Damen umzugehen wisse, sodaß es beim höchsten Wellenschlag von keinem Tropfen durchnäßt werde.

Den Lieutenant di Fabbris hatten Ungeduld und Sehnsucht schon zwei Stunden vor der Gräfin durch die Lagune getrieben. Erwartungsvoll aufgeregt schritt er den Strand entlang, eine Strecke über die Bäder hinaus; endlich warf er sich, da er ganz einsam dahinschlenderte, in den trockenen Dünensand, stützte den Kopf auf den Ellenbogen und blickte träumerisch hinaus über die weite, grünblaue Wasserfläche, die am fernen Horizont wie eine unbewegliche Linie erschien, wie ein stiller, großer Gedankenstrich der Schöpfung. Durch ein Fensterchen des Damenbades erspähten den Ruhenden zwei scharfe schwarze Augen, und ein schelmischer Mund kichern vergnügt. Angela besuchte heute wie gestern ihre Tante, die Badewärterin.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 846. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_846.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)