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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

wenn die Kinder zu entsprechenden Jahren gekommen sind. Eine erwachsene Person würde manchmal Veranlassung finden zu erstaunen, wenn sie ihr gegenwärtiges Aussehen mit dem Mischbilde ihrer Eltern aus ähnlichen Jahren vergleichen könnte.

Indessen darf man hierbei selbstredend keine vollständigen Uebereinstimmungen erwarten. Die Gesammtheit der Züge des Vaters oder der Mutter geht zwar oft mit wunderbarer Treue auf einen bestimmten Sohn oder eine Tochter über, und es kommt gar nicht selten vor, daß sich sogar die unbedeutendsten Einzelnheiten wiederholen, in der Mehrzahl der Fälle aber findet eine Art Vertheilung und Zersplitterung des leiblichen Erbes statt, sodaß man von dem einen Kinde sagt, es habe die Augen oder die Nase von dem Vater oder der Mutter geerbt, während ein anderes die Stirn, den Mund, das Kinn etc. bekommen hat. Es geschieht dies nach demselben Gesetz, nach welchem in Darwin’scher Anschauung die Verschiedenheiten der gesammten Lebewelt entstanden sein sollen. Gleichwohl wird der Blick eines Fremden in den Zügen der noch so sehr ungleichen Geschwister meistens die sogenannte „Familienähnlichkeit“, das heißt das gemeinsame Gepräge herausfinden können, und daher wird das Mischbild eines Sohnes und einer Tochter dem Mischbilde der Eltern meist noch näher kommen, als ein Einzelbild. Den vollkommenen Familientypus würde man aber natürlich nur dadurch vollenden können, wenn man die Bilder von allen Geschwistern, so viel ihrer da sind, mit einander vereinigen könnte.

Mit der Auflösung dieses in noch vielen anderen Beziehungen wichtigen Problems haben sich seit Jahren die berühmten englischen Anthropologen Herbert Spencer und Franz Galton, ein Neffe Darwin’s, beschäftigt, und in jüngster Zeit ist namentlich der letztere Forscher, der sich viel mit den Gesetzen der Erblichkeit beschäftigt hat, zur Auffindung sehr interessanter Methoden für diesen Zweck gelangt. Unter Anderem fand er in dem isländischen Doppelspath ein besonders geeignetes Mittel, denselben zu erreichen. Wenn man durch diese glashellen Krystalle von kohlensaurem Kalk irgend einen Gegenstand betrachtet, so sieht man ihn in Folge der ihnen eigenthümlichen Doppelbrechung der Lichtstrahlen zweimal, und betrachtet man auf diese Weise zwei Photographien, so sieht man vier Bilder, von denen sich leicht zwei zur Deckung bringen lassen. Legt man nun zwei solcher Kalkspathkrystalle auf einander, oder bringt vor jedes Stereoskopenglas einen solchen, so kann man vier verschiedene Bilder zur Vereinigung bringen, und wendet man beide Methoden gleichzeitig an, so lassen sich acht verschiedene Portraits mit einander verschmelzen.

Ist nun auch ein solcher Apparat wegen der Möglichkeit einer sofortigen Verschmelzung von zwei, vier, sechs oder acht Portraits für den Anthropologen sehr interessant, so dürfte von allgemeinerer Anwendbarkeit ein anderes Verfahren werden, welches ebenfalls von Herrn Franz Galton erdacht worden ist, nämlich eine photographische Verschmelzung einer beliebigen Anzahl von Portraits mit einander. Denn dadurch erhalten wir ein Mittel, den Typus einer einzelnen Familie sowohl, wie einer ganzen Rasse oder bestimmter Menschenclassen auf einem vollkommen mechanischen Wege zu erhalten, das dennoch viel vertrauenerweckender ist, als die bisherigen Versuche von Reisenden, selbst wenn sie Portraitisten vom Fache waren.

Das Verfahren ist in Kürze folgendes.

Eine Anzahl von Personen irgend einer besonderen Gemeinschaft wird nach einander aus gleicher Entfernung und bei gleicher Richtung der Augen, sei es nun nach vorn oder nach der Seite blickend, photographisch aufgenommen. Die einzelnen Brustbilder werden dann auf zwei durch seitliche Löcher gehende Drähte aufgereiht, sodaß die Höhe der Augen und die Lage der Nasenwurzel bei allen einander genau entsprechen. Es geschieht dies am besten mit Hülfe eines in einem Rahmen von der Größe der Bilder eingespannten Zwirnfadenkreuzes, welches man derart über jedes Bild legt, daß der Längsfaden durch die Nasenwurzel und der Querfaden durch die beiden Pupillen der Augen geht. Wenn dann an den äußern Enden des Querfadens gleichmäßig die beiden Aufreihungslöcher in jedes Bild gestochen werden, so werden, trotz mannigfacher Größenunterschiede, Nasenwurzel und Augen bei allen Bildern entsprechende Lage haben.

Nehmen wir nun an, die Sammlung bestehe aus zehn Blättern, die, wie die Blätter eines Kartenspiels auf einander geschichtet, auf einem festen Hintergrunde befestigt sind, um nun, eins nach dem andern auf dieselbe Platte des davorgestellten photographischen Apparates zu wirken; die Stärke des herrschenden Lichtes soll für ein Bild hundert Secunden Photographirzeit erfordern. Man wird also dann das erste Bild zehn Secunden wirken lassen, darauf den vor der Linse angebrachten Deckel schließen, das vorderste Bild wegnehmen, sodann das zweite und die folgenden Bilder aus der fixirten gleichen Stellung je zehn Secunden lang wirken lassen, bis man den Deckel zum letzten Male schließt, weil das Bild nunmehr im Negativ vollendet ist. Das davon erhaltene Positiv zeigt die vollkommenste Verschmelzung der zehn Einzelportraits, indem es mit jedem derselben Aehnlichkeiten darbietet, und doch keinem derselben gleicht.

Hierbei ist also eine Operation vollbracht, die sonst nur im Geiste des Beobachters möglich war; die individuellen Züge sind verwischt, die gleichbleibenden typischen Züge mit verstärkter Kraft festgehalten. Es sind diese letzteren dieselben Züge, die wir zunächst erblicken, wenn wir zum ersten Male in eine Gesellschaft von Negern, Nubiern, Beduinen etc. eintreten. Auf den ersten Augenblick scheint es uns, als ob sich diese Menschen alle so sehr glichen, daß wir sie niemals unterscheiden lernen würden. Bei genauerem Betrachten und nach einiger Zeit finden wir jedoch bald auch die individuellen Züge heraus, die indessen, eben weil sie in jeder Person wechseln, bei der Verschmelzung nicht so zur Wirkung kommen, wie der immer wiederkehrende, weil Allen gemeinsame Grundzug oder Typus. So bietet sich also damit ein einfaches Verfahren, die Rassentypen in einer von dem schwankenden Urtheil des Einzelnen unabhängigen Weise festzuhalten, und das ist für die Anthropologie eine sehr wichtige Erfindung.

Man möchte es kaum für möglich halten, daß ein mechanisch wirkender Apparat dasjenige zu Stande bringen könnte, was in den oben erwähnten Fällen erst die innere Anschauung vollendet: die vollkommene Verschmelzung der Bilder. Man setzt als sicher voraus, es müßten in der zusammengesetzten Photographie mannigfache Umrisse durch einander spielen, sich kreuzen und verwirren. Dies ist indessen durchaus nicht der Fall, vielmehr sind die Umrisse des Durchschnittsbildes so sicher, daß Herr Galton auf die Idee kam, ein solches zusammengesetztes Bild in Holz schneiden zu lassen, um es den Berichten über seine Versuche beidrucken lassen zu können.

Er hatte seine Versuche mit Bildern aus einem englischen Verbrecheralbum begonnen, weil sich dieselben wegen der bei der Aufnahme beobachteten Gleichmäßigkeit der Stellung und Größe besonders gut dazu eigneten. So konnte in gewissem Sinne ein Typus der Räuber und Mörder erhalten werden, das heißt eines Menschenschlages, der unter geeigneten Umständen vielleicht mehr als ein anderer dazu geneigt ist, solche Verbrechen zu begehen. Ein solches dreifaches Verbrecherportrait, welches allen drei Theilhabern ähnlich sah, aber durchaus keinem derselben glich, war auf Holz photographirt worden, um von einem geschickten Xylographen direct in Linienschattirung übersetzt zu werden. Aber bei diesem Verfahren ist es doppelt schwer, die Aehnlichkeit genau einzuhalten, und in der That gelang dies dem Holzschneider nicht. Merkwürdiger Weise aber glich sein Portrait auf das Genaueste einem der drei Theilhaber, dessen Bild er nicht für sich gesehen hatte, dessen Züge doch also noch erkennbar in dem Mischbilde liegen mußten, wie ein Maler zuweilen einem Kinde genau die Züge des Vaters oder der Mutter giebt, indem er den Anteil der andern elterlichen Hälfte übersieht oder nicht wiederzugeben im Stande ist. Auch dies ist ein Beweis, wie weit die Photographie in solchen Aufgaben das Vermögen des Zeichners übersteigt; ihre Leistungen blieben sich gleich, wenn man zum Beispiel die Reihenfolge der Einzelaufnahmen umkehrte oder beliebig änderte.

Im Uebrigen gestattet das Verfahren noch mancherlei Abänderungen. Gesetzt, man beabsichtigte aus den reinen Rassentypen diejenigen von Mischlings-Rassen zu gewinnen, so würde man zur Erzielung des ersten Mulatten-Typus beispielsweise den kaukasischen und den Neger-Typus gleich lange auf die Silberplatte wirken lassen. Wollte man aber direct ein Bild des Quarteronen- und Quinteronen-Typus erzielen, so würde man das Bild der Kaukasier zwei- oder dreimal so lange wirken lassen müssen als das der Neger. Wenn man nach demselben Verfahren den Typus einer einzelnen Familie zusammensetzen wollte, so würde man unter Umständen gut thun, auch entferntere Verwandte, in denen großelterliches

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 875. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_875.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)