Seite:Die Gartenlaube (1880) 097.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


Schneesturm auf der Gebirgsstraße.
Originalzeichnung von E. Heyn.




einem Punkte angekommen, wo wir das Evangelische unter den Füßen verlieren“ – in geschlossenen Reihen erhoben sich die „Confessionellen“ und die „Positiv-Unirten“ für diesen unerhörten Antrag. Damit wäre denn die verhaßte Schriftstellerei liberaler Geistlicher ausgereutet: wer der Tinte nicht Herr werden kann, mag den kleinen Katechismus abschreiben oder Leitartikel für die „Neue evangelische Kirchenzeitung“ à la Stöcker liefern!

Aber es sollte noch besser kommen. Einmal im Zuge, scheute man sich nicht, der Freiheit der theologischen Wissenschaft selber kräftige Streiche zu versetzen. Nicht genug, daß man bei Revision der theologischen Prüfungsordnung eine Hinzuziehung des Vorstandes der Generalsynode zu den Prüfungen forderte – damit Herr von Kleist-Retzow auch ein Wort mitzureden habe, von wem und in welcher Weise die Candidaten in Bibelauslegung und Glaubenslehre zu examiniren seien – man stellte sogar an den evangelischen Oberkirchenrath das Ansinnen, daß er bei seinem Gutachten über Bekenntniß und Lehre neu zu berufender theologischer Professoren den Generalsynodal-Vorstand bemühen solle. Begreiflicher Weise widersprachen zur Ehre ihres Standes beinahe alle in der Synode sitzenden gelehrten Theologen diesem Antrage; von den sechs Facultäts-Deputirten erklärten sich fünf für einfache Tagesordnung, auch die übrigen Professoren, mit alleiniger Ausnahme der ultragläubigen Herren Zöckler und Geß, hielten den Antrag für unannehmbar – angenommen ward er trotzdem. (Die Berliner theologische Facultät hat seitdem bereits sämmtliche theologische Facultäten zur Einsendung von Gutachten über diese Bedrohung der Lehrfreiheit aufgefordert. D. Red.)

Der Tag, an welchem dieser verhängnißvolle Beschluß gefaßt wurde, war der 31. October, der Geburtstag der deutschen Reformation! Welch ein Hohn! Wozu überhaupt noch theologische Facultäten? Sperrt die jungen Theologen in Seminare ein, laßt sie den heiligen Thomas von Aquino auswendig lernen, dressirt sie zum sacrificio del intelletto, und – Rom wird es euch

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 97. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_097.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)