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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880)


der Musik zur Herrschaft gelangte und daß sich in der Popularisirung seiner Werke ein stetiger Fortschritt geltend macht. Dringen namentlich die eingänglichsten seiner symphonischen Dichtungen, wie die „Préludes“, „Tasso“, „Orpheus“ etc., und andere seiner Instrumentalwerke, wie seine auf das gleiche thematische Einheitsprincip basirten Clavierconcerte, nicht schon in alle Concertsäle ein? Und werden nicht auch seine Lieder und Kirchencompositionen mit wachsender Vorliebe gehört?

Im Liede vertritt Liszt die Durchführung des poetischen Princips bis zu seinen äußersten Consequenzen. Dem Dichter ordnet sich der Musiker völlig unter; ein freies declamatorisches Element waltet vor, das Wagner’s „Sprechgesang“ ähnlich sieht. Es sei hier nur an das schöne „Ich liebe Dich“ (von Rückert) erinnert; wogegen sich das populärste von allen Liszt’schen Liedern „Es muß ein Wunderbares sein“ der älteren Liedform am meisten nähert.

Das poetische charakterisirende Princip, das Liszt im Liede und in seinem Schaffen überhaupt, das thematische Einheitsprincip, das er in seinen Instrumentalschöpfungen verfolgte, gelangt auch in seinen Kirchenwerken zu vollem Rechte. Die Leitmotive, aus denen Wagner das Gewebe seines musikalischen Dramas spinnt, bringt Liszt nun zuerst auch in Messe und Oratorium zur Geltung. Alle modernen Errungenschaften der Instrumentation und des freien Formenspiels läßt er ihnen zu Gute kommen.

Auch hier schafft er, den Bedürfnissen seiner Natur gemäß, Neues, Großes. Wie überall, gab er auch hier, wo es ihm um nichts weniger als um die Regeneration der katholischen Kirchenmusik zu thun ist, mit vollen Händen. Wir können bei der Fülle des Gegebenen hier nur der Graner Festmesse, der für die Krönung des österreichischen Kaiserpaares in Pest geschriebenen ungarischen Krönungsmesse, der Missa choralis, der Messe und des Requiems für Männerstimmen, der Psalmen und Hymnen und der Oratorien: „Die heilige Elisabeth“ und „Christus“ gedenken. Dies letztere Werk, eine Schöpfung voll unvergleichlicher Originalität und Geistestiefe, ist Liszt’s gewaltigste That im Gebiete der kirchlichen Kunst.

Weitaus die Mehrzahl seiner geistlichen Compositionen aber entkeimte nicht mehr dem weimarischen, sondern dem römischen Boden. Als im December 1859 die Oper „Der Barbier von Bagdad“ von Cornelius, einem Schüler des Meisters, als Opfer einer Coterie, die sich gegen Liszt gebildet hatte, durchfiel, trat der Letztere für immer von der Direction zurück. Ohnedies war seit Dingelstedt’s Eintritt in die Intendantur des Weimarischen Theaters das Hauptgewicht der dortigen Bühnenleitung auf das Drama gelegt worden, während andererseits die Gründung der Malerschule zu viel Mittel in Anspruch nahm, um bei dem beschränkten Hofbudget noch für Oper und Orchester Ersprießliches so fördern zu können, wie es eines Liszt würdig war. Genug, im September 1861 verließ er Weimar und begab sich nach Rom. Dort empfing er am 22. April 1865 von Cardinal Hohenlohe in der vaticanischen Capelle die Weihen, die ihm den Rang eines Abbate verliehen, zu dem man neuerdings noch die Würde eines Canonicus fügte.

Seinem künstlerischen Beruf aber blieb der Liebling Pio Nono’s dennoch getreu. Seit 1869 kehrte er auch alljährlich für mehrere Monate wieder in Weimar und zwar in der „Hofgärtnerei“ daselbst ein. Seither lebt er abwechselnd in Rom, Weimar und Pest, wo er sein Amt als Präsident der Musikakademie im Februar 1876 officiell antrat.

Wir müssen es als zu den schönsten Verdiensten Liszt’s gehörig hier hervorheben, daß er Unzähligen den Weg in die Oeffentlichkeit gebahnt hat, wie er allen künstlerischen Bestrebungen immerdar ein offenes Herz und offene Hände zeigt. Er ist der erste und thätigste Förderer des Bayreuther Unternehmens, der Hauptbegründer des „Allgemeinen deutschen Musikvereins“. Und für wie viele humanitäre Zwecke setzte er von je seine Künstlerschaft ein! Machte er schon während seiner Virtuosenlaufbahn seinen Genius ungleich mehr dem Vortheil Anderer als seinem eigenen dienstbar – denn von den Millionen, die er erspielte, erübrigte er für sich selbst nur eine bescheidene Summe, während er allein für den Ausbau des Kölner Doms, das Bonner Beethoven-Denkmal und die Hamburger Abgebrannten viele Tausende opferte – so war nach Abschluß seiner Pianistencarrière seine öffentliche künstlerische Thätigkeit ausschließlich dem Besten Anderer, sei es künstlerischen Bestrebungen, oder mildthätigen Zwecken oder dergleichen, geweiht. Seit Ende 1847 floß weder durch Clavierspielen und Dirigiren, noch durch Unterrichten ein Heller in seine eigene Tasche. Dies Alles, was Andern reiche Capitalien und Zinsen eintrug, kostete ihm selbst nur Opfer an Zeit und Geld.

Auch in seiner schriftstellerischen Wirksamkeit, in seinen berühmten Arbeiten „Lohengrin“ und „Tannhäuser“, „F. Chopin“, „Robert Franz“ und seinen zerstreuten Aufsätzen, bekundete er, von dem Glanz der Darstellung, der Fülle geistreicher Gesichtspunkte und Ideen abgesehen, den schönen Zug seiner Natur: für das unverstanden gebliebene Schöne und Große mit seiner Autorität einzutreten und ihm, kraft derselben, zu besserem Verständniß zu verhelfen. Darum, von welcher Seite wir dieses thatenreiche Künstlerleben auch betrachten – es zeigt uns das erhebende Bild nicht nur eines großen, sondern auch eines der edelsten Menschen.




Die deutsche Kunstindustrie und die jüngsten Ausstellungen.
Allgemeine Betrachtungen von Georg Buß.


Seit einem Vierteljahrhundert geht durch die tonangebenden Culturvölker Europas ein mächtiges Streben und Ringen, der Kunst wieder Eingang zu schaffen in’s Gewerbe, daraus sie fast vertrieben war, die Kunstindustrie zu hegen und zu pflegen. In Deutschland ist diese Bewegung erst nach der zweiten Pariser Weltausstellung im Jahre 1867 zum Durchbruch gekommen; denn was bis dahin in den einzelnen Staaten, wie in Baiern und Württemberg, geschehen war, hatte sich seitens der Allgemeinheit fast gar keiner Beachtung zu erfreuen und verlor sich in der großen Strömung der Tagesinteressen.

Seitdem hat ja in Folge der Mißergebnisse auf den verschiedenen Weltausstellungen die Erkenntniß von dem gottverlassenen Zustande unserer Industrie in Bezug auf guten Geschmack immermehr Platz gegriffen und eine große Anzahl hervorragender Kräfte veranlaßt, den Grund des Verfalles aufzudecken und die Mittel zur Abhülfe zu erforschen. Da ergab sich denn, daß die Ursachen der bedauerlichen Geschmacksverwilderung unserer Tage erstens der historischen Entwickelung angehören und zweitens auf die großartigen Erfolge der Maschinentechnik zurückzuführen sind. Dieser Mangel an Schönheitssinn ist also keine bleibende Eigenschaft des deutschen Nationalcharakters, dem die Natur Liebe und Enthusiasmus für den edelen Reiz der Formen und der Farben vielleicht versagt hätte; nein, eingetreten ist dieser Mangel in erster Linie durch gewaltige, vernichtende Begebenheiten der Geschichte und ihrer Folgen für Cultur und Kunst.

Blicken wir zurück auf die Werke unserer Ahnen im Mittelalter und in der Zeit der Wiedergeburt, der Renaissance, die noch heute unsere Sehnsucht und unseren stillen Neid erweckt! Welche Fülle von Schönheit erschließt sich uns! Wir nehmen die gewaltigen, zum Himmel ragenden Dome mit dem zierlichen Meißelwerk, mit der Scheiben bunter Pracht, die in den Strahlen der Sonne wie flüssiges Gold, Smaragd und Rubin leuchten, Herz und Sinn gefangen! Welch glänzende Kunst weisen die Priestergewänder auf, die Kasel (casula), Stolen und Mitren, die frommer Eifer mit farbiger Seide bestickte und mit Edelgestein verzierte; welche Kunst das aus Edelstein gefertigte und mit Email und Steinen geschmückte Kirchengeräth, die Monstranzen, Ciborien, Kelche, Meßbuchdeckel, Reliquienschreine etc.! Wie reich und behaglich erscheinen in der späteren Zeit, im sechszehnten Jahrhundert, die Wohnungen und Paläste des Adels, der Patricier und des wohlhabenden Bürgers! Welche Fülle von schönem Geräth, von prächtigen Teppichen, Decken, buntbestickten Leinen und anderen Geweben, von edlen Gefäßen, farbigen Krügen, Humpen, grauen Pinten, bemalten Schalen und bunten Gläsern, von reich geschnitzten, eingelegten Möbeln und von Goldtapeten! Unsere Prunkgemächer schmücken wir noch heute, um die eigene Armuth zu verdecken, mit jenen reich ornamentirten Stühlen, Tischen und Schränken, welche einst des wohlhabenden Bauern Hauseinrichtung bildeten.

Niemals gab es eine herrlichere Vereinigung von Kunst und Gewerbe und niemals war die Kunst volksthümlicher, als in dieser

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1880). Leipzig: Ernst Keil, 1880, Seite 554. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1880)_554.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)