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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

Kurz vor der Paßhöhe bemerkt man auf einem vorspringenden Felsplateau die Reste einer Befestigung und unfern davon eine Reihe verfallener Holzhütten, welche wohl den Russen zur Unterbringung von Mundvorrath, Munition und anderem Kriegsmaterial gedient haben mochten. Bald nachher erreicht man den höchsten Punkt der Straße, von dem sich plötzlich ein prachtvolles Landschaftsbild entrollt. Man erblickt Kasaulik, umgeben von allen Reizen einer farbenprächtigen südlichen Vegetation. Die weißen Häuser der Stadt blicken aus üppigen Gärten und dem dunklen Grün mächtiger Buchen, Eichen, Cypressen, Platanen und Lorbeerbäume hervor, zwischen denen ausgedehnte blühende Rosenpflanzungen sich hinstrecken, die zur Erzeugung des berühmten orientalischen Rosenöles dienen, das bekanntlich ein wichtiger Handelsartikel ist. Mit einem Worte, der Anblick Kasauliks und seiner entzückenden Umgebung entschädigt reichlich für das mühsame Ersteigen des Schipkapasses.

Sofia, die gegenwärtige Hauptstadt Bulgariens, ist jüngsthin vielfach genannt worden. Auch Sofia hat sich noch wenig verändert. Die Straßen sind bei trockenem Wetter mit tiefem Staub bedeckt, der sich, sobald Regen eintritt, in ein grundloses Kothmeer verwandelt. Noch schlimmer steht es in den entlegenen, ausgedehnten Vorstädten aus, wo die armen Leute in elenden Erdhütten, wahren Troglodytenhöhlen, hausen (siehe das Bild unseres Künstlers) und in kümmerlichster Weise ihr Dasein fristen. Indeß ist auch hier die türkische Bevölkerung, wie in anderen bulgarischen Städten, auf ein Minimnm herabgeschmolzen.

Dafür haben sich seither in Sofia viele fremde Gewerbetreibende und Geschäftsleute, zumal Serben und Rumänen, niedergelassen, deren Geschäfte in kurzer Zeit einen günstigen Aufschwung genommen. So entstanden auch mehrere neue Gasthöfe nach westeuropäischer Art, Restaurants, Cafés, Kaufläden und manche andere Unternehmen, an deren Spitze Fremde stehen. An hervorragenden Gebäuden ist Sofia arm, etwa die Hauptkirche ausgenommen, von deren charakteristischem Glockenthurm unser Künstler ein anschauliches Bild liefert. Selbst für Fürst Alexander und seine Umgebung war kein für seine Residenz passendes Gebäude vorhanden, weshalb er die frühere türkische Caserne beziehen mußte, die indeß in ihrem Inneren ganz wohnlich eingerichtet wurde. Von neu errichteten Gebäuden sind nur die Schulen bemerkenswerth. Daß man damit den Anfang gemacht, scheint auf die Erkenntniß hinzuweisen, daß dem Lande vor Allem die Hebung der Volksbildung noth thut. Unter der türkischen Herrschaft gab es im Lande keine einzige bulgarische Schule, sondern nur höhere mohammedanische („Medrissen“).

In Sofia herrscht reges Leben, namentlich Sonntags, wo das Landvolk in seinen malerischen Trachten in die Stadt strömt. Alsdann sind die Straßen von einer festlich geputzten Menge gefüllt; dazwischen drängen sich mit Büffeln bespannte Bauernwagen, Reiter, die mit lauten Zurufen die Menge zum Ausweichen mahnen, elegante Equipagen, den Vertretern der europäischen Mächte gehörig, russische Officiere in goldstrotzenden Uniformen auf feurigen Pferden - kurz das Bild ist ein überaus belebtes und wechselvolles.

Wenn es dunkelt, füllen sich die Cafés und Gasthäuser, von denen manche einen schon völlig europäischen Anstrich haben und zumeist von russischen Officieren besucht werden. Während im Inneren jener Locale lustig die Champagnerpfropfen knallen und die Gläser an einander klingen, steht draußen in lauer Sommernacht eine lauschende Volksgruppe, in deren Mitte ein graubärtiger, erblindeter Guslaspieler seine schon unzählige Male wiederholten, aber vom Volke immer wieder gern gehörten altbulgarischen Heldenlieder singt. Erwähnt er in seinem Liede irgend einen alten Nationalhelden, der da oder dort die Türken geschlagen, so wird der Zuruf der Menge sofort ein enthusiastischer, in den sich auch wohl Verwünschungen der „asiatischen Teufel“, der Türken, mischen – eine patriotische Entrüstung, die freilich unter der Herrschaft des Halbmondes nicht laut werden durfte.

Das ist in kurzen Zügen ein Abend in Sofia.

Beschließen wir nun unsere Wanderungen durch Bulgarien mit einem Blick auf seine gegenwärtigen politischen Zustände und Verhältnisse, die allerdings wenig erfreulicher Natur sind! So viel ist gewiß, daß der russische Einfluß auf alle politischen Handlungen des Fürsten der ausschließlich maßgebende ist. Daß unter solchen Umständen von einem Verfassungsleben nicht die Rede sein kann, liegt auf der Hand. Wie kann constitutionelles Wesen gedeihen, wie sollen die Landesinteressen öffentlich und freimüthig besprochen werden, nachdem der Fürst das türkische Preßgesetz wieder eingeführt hat? Leider werden diese autokratischen Regierungstendenzen von der großen Masse des bulgarischen Volkes unbewußt unterstützt.

Wir müssen hier der geistigen Verkümmerung gedenken, der das bulgarische Volk während der Jahrhunderte langen Türkenherrschaft verfallen, wodurch es allein erklärlich wird, daß die Volksmassen alle dem Landeswohle zuwiderlaufenden Regierungsmaßnahmen zu unterstützen bereit sind. Und welches Urtheil, welches politische Verständniß könnte man auch von einem Volke wie das bulgarische verlangen, dessen große Massen des Lesens und Schreibens unkundig und darum außer Stande sind, auch nur die Hauptbedingungen eines freien geregelten Staatswesens zu erfassen und im Interesse ihres Landes zu befürworten?

Das bulgarische Volk scheint vorläufig damit zufrieden, daß es von den verhaßten Türken befreit ist, und glaubt dies ausschließlich dem russischen Kaiser danken zu müssen, dem es deshalb auch den Beinamen „Czar-Befreier“ gegeben hat. Was nun weiter geschehen, wie das Land sich entwickeln soll, darüber zerbricht sich der gewöhnliche Bulgare nicht den Kopf.

Aus dem bisher Gesagten erhellt, daß die liberale Partei, wenn sie auch über mehrere tüchtige, im Auslande gebildete Männer, wie Karawelow, Slawejkow und Zankow, verfügt, bezüglich ihrer Zahl und ihres Einflusses noch von keiner allzu großen Bedeutung sein kann. Ob aber Fürst Alexander mit Ausschluß des intelligenten, den Landesinteressen ergebenen liberalen Elements mit den russischen Officieren und Beamten auf die Dauer weiter zu regieren vermag, dürfte auch kaum zu bejahen sein. Vorläufig beabsichtigen die liberalen Führer, wie zur Zeit der türkischen Bedrückung, ihr Vaterland zu verlassen, um in dem benachbarten Rumänien Zuflucht und Schutz zu suchen. Ueberhaupt ist Rumänien für die Liberalen Bulgariens das Vorbild eines freiheitlichen, von weisen Gesetzen regierten Staates, der sich unter König Carol aus dem Hause Hohenzollern glücklich fühlt; denn ein größeres Maß von Freiheit, als es Rumänien besitzt, liegt nicht in der Absicht der bulgarischen Liberalen. Sollten nun die unerschrockenen Vorkämpfer der guten Sache Bulgariens wirklich ihre Selbstverbannung nach Rumänien ausführen, so mögen sie den Trost und die Ueberzeugung mitnehmen, daß früher oder später auch ihrem Vaterlande ein besseres Loos winken wird. Haben doch auch die übrigen Donaustaaten lange gekämpft und viele Drangsale erlitten, bevor sie ihre Selbstständigkeit auf wirklich liberalen Grundlagen erlangt, die untrennbar sind von dem Geiste unseres Jahrhunderts.




Zur Literaturgeschichte des Neuen Testaments.

Von Dr. Kalthoff.
III.
Der Sieg des Katholicismus im Neuen Testament.
Motto: Luther, Du! - Großer verkannter Mann! -
Du hast uns vom Joche der Tradition erlöst:
wer erlöst uns von dem unerträglicheren Joche
des Buchstabens? Wer bringt uns endlich ein
Christenthum, wie Du es jetzt lehren würdest,
wie es Christus selbst lehren würde?
Lessing, „Theologische Streitschriften“.

Jede Tendenz, die eine bestimmte Zeit beherrscht, bedarf um zu ihrer Verwirklichung zu kommen, des äußeren Anstoßes. Wie lange hatten schon die Besten unserer Nation eine Einigung des in sich so vielgetheilten Deutschland erstrebt! Aber erst der Krieg der Jahre 1870 und 1871 brachte unser Volk an das Ziel seiner edelsten Wünsche. Auch in den zerklüfteten Gemeinden der ältesten Kirche war das Bestreben nach Vereinigung der bestehenden Gegensätze längst lebendig. Aber erst die gemeinsame Noth der Christenverfolgungen brachte es zuwege, daß der häusliche Zwist beigelegt wurde und die Parteien sich enger zusammenschlossen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 850. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_850.jpg&oldid=- (Version vom 26.12.2022)