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verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

zogen die hussitischen Streiter stillschweigend ihre Helmkappen, um der Leiche Zesyma’s die letzte Ehre zu erweisen.[1]

Agnes gelangte wohlbehalten zu ihrem Oheim, und nachdem in der Schlacht bei Lipan die beiden Prokope gefallen waren und also nach König Siegmund’s Wort Böhmen durch Böhmen selbst bezwungen war, wurde die heldenmüthige Jungfrau wiederum als Herrin in der väterlichen Burg eingesetzt.

Das ist der Inhalt der Sage, die wir erzählen wollten; sie ist dramatisch genug, aber sie läßt sich nicht leicht mit den Thatsachen der verbürgten geschichtlichen Ueberlieferung in Einklang bringen. Wohl wird in derselben von einer Schlacht bei Kamenitz, in welcher Meinhard von Neuhaus geschlagen wurde, und von der nach kurzer Belagerung erfolgenden Capitulation der Burg berichtet. Aber diese Schlacht hat am 31. October 1425 stattgefunden, also zu einer Zeit, da Prokop noch nicht Führer der Taboriten war, und als Burgherr wird nicht der Rosenberger Procop von Zesyma, sondern ein früherer Taborit, Prokop von Austi, genannt.

Dagegen wurde um dieselbe Zeit in Böhmen das Gerücht ausgesprengt, die Jungfrau von Orleans werde dem Könige gegen die Hussiten zu Hülfe kommen, und man verbreitete auch im Volke einen angeblich von der Johanna d’Arc herrührenden Brief, in welchem die Hussiten zur Bekehrung ermahnt wurden. Ihr baldiger Tod auf dem Scheiterhaufen vereitelte indessen die Heldenthaten, welche diese Jungfrau auf dem böhmischen Boden vollbringen sollte, und so ist es nicht unmöglich, daß die Phantasie des Volkes ihre Rolle, wenn auch in geringerem Maßstabe, auf eine andere tapfere Jungfrau übertrug.

Geschichtlich unwahrscheinlich ist auch die in der oben erzählten Sage gegebene Schilderung der Waffenthaten Prokop’s des Großen. Der Verfasser der „Geschichte von Böhmen“ entwirft uns eine ganz andere Charakteristik dieses Mannes:

„Er war von mittlerer Statur und hatte einen starken Körper, ein gebräuntes Antlitz, große Augen und ein furchtbares Aussehen; seine Kleidung war weltlich, dem Augenschein nach grob, inwendig aber kostbar und fein. Es darf nicht vergessen werden, daß er als Priester immer nur Führer im Kriege, keineswegs selbst Krieger war; nie betheiligte er sich beim Kampfe und trug nicht einmal Waffen bei sich; nichtsdestoweniger fand sein Wille und sein Befehl, je weiter, um desto größeren Gehorsam.“

Doch was kümmert sich die Phantasie des Volkes um die geschichtliche Wahrheit, wenn sie um ihre Helden das schimmernde Gewand der Sage webt! Und wie sollte sie sich zurechtfinden in den geschichtlichen Annalen der Hussitenkriege, die sämmtlich mit der ungerechtesten Parteilichkeit geschrieben wurden, und in denen Haß und Verehrung die einzelnen Ereignisse und Gestalten in dem sonderbarsten Lichte erscheinen lassen? Die Sage schuf sich, ohne auf die Geschichte zu achten, Helden nach ihrem Geschmack, Thaten, welche sich unverlöschlich dem Gedächtniß einprägen, und großartige Scenen, die schon oft den dankbarsten Stoff für echte Kunstwerke boten.


  1. Der geniale Historienmaler W. Beckmann in Düsseldorf hat sein großes Gemälde, welches die „Gartenlaube“ in Holzschnittreproduction umstehend ihren Lesern vorführt, nach einer andern Variante dieser Sage entworfen. Agnes von Rosenberg reitet hier im Trauergewande vor dem Sarge, in welchem die Leiche ihres Vaters ruht, und der älteste Lehnsmann der Burg führt den einzigen männlichen Nachkommen Rosenberg’s, Hynek, an der Spitze des Zuges. Prokop der Große sitzt hoch zu Roß im eisernen Gewande und zieht seinen Helm, welchem Beispiel bald die anderen Taboriten folgen werden. Das meisterhafte Oelgemälde, für dessen dramatische Wirkung schon unser Holzschnitt beredtes Zeugniß ablegt, war auf der großen Düsseldorfer Ausstellung im Jahre 1880 zuerst dem Publicum vorgeführt worden und ging von dort direct in die Privatgallerie des deutschen Industriellen C. E. Franke in Stockholm. Es trug die Bezeichnung „Die Uebergabe der Feste Rosenberg“, indem die Burg selbst als der Stammsitz des Geschlechts Rosenberg aufgefaßt wurde.




Das Innere der Albrechtsburg zu Meißen.


Gegen zwölftausend Personen waren es, die im letzten Sommer, welcher der Reiselust nicht eben günstig war, die Albrechtsburg zu Meißen besuchten. Dabei zählen wir weder die frohe Schaar der deutschen Kunstgenossenschaft mit, welche in der dritten Septemberwoche hier ein Fest in mittelalterlichem Stil beging,[1] noch die Mitglieder der sächsischen Staatsregierung und Volksvertretung, mit denen König Albert im Banketsaal der Albrechtsburg das fünfzigjährige Jubiläum der Verleihung der ständischen Verfassung feierte (5. September). Dieser beispiellose Zufluß von Fremden erklärt sich leicht aus dem Interesse, welches die Restauration der Burg, namentlich aber die mit allen Mitteln der Kunst in’s Werk gesetzte Neugestaltung ihrer inneren Räume, in weitesten Kreisen wachgerufen hat.

In einem früheren Jahrgang der „Gartenlaube“ (vergl. Jahrgang 1861) ist bereits die Albrechtsburg nach ihrer Lage und ihrer historischen Bedeutung geschildert worden; jetzt, wo das Interesse der Reisenden sich auf’s Neue der alten Burg der Wettiner zuwendet, liegt uns nur ob, eine kurze Beschreibung ihrer vollendeten Restauration zu geben.

Scheuen wir denn die Mühe nicht, durch die engen Straßen und Gäßlein der alterthümlichen Stadt Meißen einen Aufweg zu suchen zur Albrechtsburg! Wir gehen zu Fuß; denn der alte, zwischen hohem Gemäuer unterhalb der Schloßbrücke hinaufführende „Hohlweg“ ist zu Wagen beinahe noch schwieriger zu passiren als zu Fuß, und die neuerbaute Königsstraße, die durch das Thal der Meisa sich emporwindet und auch erst zur Verfassungs-Jubelfeier fertig ward, würde uns nur auf großem Umwege zum Ziele führen. Treppenaufgänge von der Stadt giebt es aber nicht weniger als sechs, von denen jeder circa fünfzig bis hundert Stufen zählt. Den schönsten derselben bilden die sogenannten „Amtsstufen“, die zwischen Gartenterrassen emporführen, von deren oberster man einen herrlichen Blick auf und über die Elbe und in den zu Füßen liegenden Stadttheil genießt. Man steigt zuletzt eine im alten Amtsgebäude befindliche gewölbte Treppe empor, tritt auf den Bischof- oder Amtshof und dann aus diesem durch ein Thor auf den Schloßhof, wo der gothische Dom steht und neben ihm die herrliche Burg.

Als eigentlich officieller Aufgang zur Burg sind die „rothen Stufen“ zu bezeichnen, auf welchem Wege wir die alte Brücke passiren, die den St. Afraberg mit dem Schloßberg verbindet. Der neuerbaute, mit Eckthürmchen malerisch geschmückte Thorthurm bezeichnet gewissermaßen den Anfang der Restauration des Gebäudecomplexes. Ueber dem Eingangsthor befinden sich zwei Sgraffittobilder (eine Art italienischer Wandmalerei), vom Historienmaler Walther in Dresden gemalt, während man rechts den Evangelisten Johannes, links den Ritter Georg erblickt — Schutzherren der Ritterschaft des Geistes und der That. Links schließt sich der Wehrgang an, eine ebenfalls neu aufgeführte Zinnenmauer, durch welche man auf idyllische Landschaftsbilder des Meisagrundes schaut. Interessant ist rechts vom Wehrgang ein uraltes steinernes Kreuz, das aus dem vierzehnten Jahrhundert stammen und die Stätte der damaligen „Halsgerichte“ andeuten soll. Ebenfalls rechts befindet sich die Restauration „Der Burgkeller“, ein im mittelalterlichen Stil ganz neu aufgeführtes Gebäude, mit Thürmchen und Zinnen geschmückt, verbunden mit einem großen Garten, der wohl für tausend Personen Raum gewährt und zugleich eine herrliche Aussicht über die Stadt und Elbe hinweg auf prangende Rebenhügel bietet.

Auf dem Burghof befinden wir uns nun inmitten eines herrlichen, rundum geschlossenen Architekturbildes von imposantester Wirkung: links reiht sich an den Wehrgang das jetzt für den Marstall, Gefolge und Dienerschaft bestimmte Kornhaus an, das mit dem eigentlichen Schloß nur durch einen vorn offenen Verbindungsbau zusammenhängt. In diesem begrüßen wir vier von Chr. Behrens gearbeitete Holzstatuetten, welche den Küchen-, den Kellermeister, den Hofnarren und den fahrenden Sänger darstellen, während mitten im Hofe, auf einem Postament von röthlichem Rochlitzer Stein, die Statue Albrecht’s des Beherzten, des Erbauers der Burg, steht; sie wurde von Hultzsch in Dresden modellirt, in der Kunstgießerei zu Dresden gegossen und 1876 hier aufgestellt.

Die Freitreppe, „der große Wendelstein“ genannt, welche uns in das Innere der Burg führt, ist eines der herrlichsten Werke deutscher Architektur und hat sich bisher vollkommen gut erhalten. Die ganze Treppe dreht sich um eine Spirale, die oben in einer Steinblume endet; sie ist ein Werk Arnold Westfal’s, gleich dem

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verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1882, Seite 015. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_015.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)
  1. Siehe die Schilderung in Nr. 46.