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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

No. 16.   1882.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.


Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.



Recht und Liebe.

Novelle von Levin Schücking.
(Fortsetzung.)


5.

Leonhard hatte versprochen, am Abend zur Theestunde wieder im Schlosse zu sein; er fand, als er zurückgekommen, den alten Herrn hier von den theuren Verwandten umgeben, von denen die beiden älteren Damen und Sergius mit ihm Whist spielten, um ihn zu unterhalten. Damian und Dora saßen in der Fensternische, Damian mit einer Miene, wie sie ein großmüthiger alter Hund macht, wenn er sich von einem jungen geduldig die Ohren zerren läßt; er hörte herablassend auf Dora’s Geplauder und Gekicher. Ein paar Kohlen glühten im Kamin; Leonhard ließ sie nachgiebig glühen, weil in diesen Räumen nun einmal eine kühlere Temperatur zu herrschen schien als anderswo.

Er betrachtete den alten Herrn, während dieser spielte. Es war offenbar eine Arbeit für ihn; er hatte sich zusammen zu nehmen; denn Sergius, der sein Partner war, ließ ihm keinen Verstoß gegen die Regeln ohne eine gründliche weise Belehrung hingehen, und wenn ein Spiel zu Ende war und er sich müde in seinen Sessel zurücklehnte, hatte er den jedesmal zwischen der Generalin und Frau von Ramsfeld sich erhebenden, oft sehr hitzig werdenden Disputationen zuzuhören, die ihn offenbar quälten und ihm, wie Streiten und Hadern jeder vornehmen Natur, unleidlich zu sein schienen.

Leonhard hatte unterdeß Zeit, still seine Glossen über die wunderliche Menschengruppe vor ihm zu machen. Er bedauerte im innersten Herzen diesen liebenswürdigen alten Herrn, dem das Schicksal einst Alles gewährt hatte, was glücklich machen kann, Schönheit, Reichthum, Freiheit, einen stolzen Namen – und der doch eine beklagenswerthe Existenz führte, weil ihm der Wille, glücklich und gesund zu werden, Herr in seinem Hause zu sein, fehlte. Irgend eine kleine Fiber, ein winziger Nerv fehlte ihm im Gehirn und das hatte entschieden über sein ganzes Dasein.

Und dann betrachtete er wieder diese hochgebietende Frau Generalin, in der alles egoistischer Wille schien, die wie im Bewußtsein lebte, mit ihrem Willen die Welt erobern zu können, nachdem sie vorab den Commandostab im Hause ihrem Manne und dann der Gegenwart den ganzen Inhalt ihrer „Bildung“ abgerungen hatte – der wahre Typus jener „gebildeten Frauen“ von heute, für die das Geistesleben der ganzen Menschheit von den Gesängen Homer’s bis auf die jüngste Erfindung Edison’s herab sich in handliche kleine Münze umsetzt; die mit eifrigen Händen all diese kleine Münze einsammeln und aufspeichern und damit nun arbeiten – nie aber es bis zu einem Goldstück eines eigenen Weisheitsgedankens bringen.

Da war doch Frau von Ramsfeld noch sympathischer – man wäre geneigt gewesen, sie die außer Rand und Band gerathene Gutmüthigkeit zu nennen, wenn man nicht hätte zweifeln müssen, ob sie jemals so eigentlich in Rand und Band gewesen; jedenfalls konnte man nur mit einer gewissen Sorge auf die hübsche Dora blicken, die zwischen dieser Mutter und dem liebenswürdigen Damian aufwuchs.

Als ein Robber zu Ende war und Sergius nun dem alten Herrn einen gebührenden Verweis ertheilte, daß er eine Invitation seines Partners unverzeihlich mißachtet, nahm Leonhard mit freundlicher Gewaltthätigkeit ihm die Karten aus der Hand: es geschah ihm offenbar eine größere Wohlthat, wenn man ihn in ein anregendes Geplauder verflocht und ihm die Gelegenheit gab, sich auszusprechen. Alte Leute lieben eine ernste und friedliche Unterhaltung.

„Das Spiel greift Sie an,“ sagte Leonhard, „lassen Sie uns ein wenig plaudern! Ich habe mich heute mit meinen Eltern in Ihre Wälder vertieft und bei der Gelegenheit die alte Capellenruine einmal wieder gesehen – Sie wissen, hinten nach den Flußwiesen zu. Woher stammt denn eigentlich dieses kleine Bauwerk da in der Weltverlorenheit?“

Des Barons Züge belebten sich bei dieser Frage.

„Die Capelle? Die Petri-Capelle – nicht wahr, sie steht wie ein Räthsel da im Walde? Ganz unmotivirt – es führt kein Weg daran vorüber – kein praktischer Grund spricht dafür, dahin ein solches Bauwerk zu stellen. Auch keine Tradition ist da, daß es etwa eine Sühncapelle sei – zum Beispiel für einen erschossenen Treiber oder einen Meuchelmord, der an dieser Stelle vorgefallen wäre, während doch mancherlei anregender Züge dieser Art die alte Hauschronik von Dortenbach zieren. Aber die Tradition sagt, daß der Wald in alten Zeiten ein Heiligthum der Heiden gewesen, und so bin ich nach manchen Forschungen zu dem Resultate gekommen, daß gerade dort, wo jetzt in der verlorensten Waldecke die Capelle steht, einst die heilige Eiche des Gotteshains und zwar eine Donar-Eiche gestanden hat. Sie wissen, Doctor, daß Donar zum Petrus geworden ist, Donar’s Blitz der Hahn Petri, der rothe Hahn …“

Der alte Herr erklärte mit großem Interesse an der Sache in dieser Art eine zeitlang weiter.

„Sie sollten das alte romantische Bauwerk restauriren lassen,“ sagte Leonhard dann.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 257. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_257.jpg&oldid=- (Version vom 24.1.2021)