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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

aus einander stob, da schwand auch die Zahl der Abonnenten schnell dahin, und Kühne legte zu Anfang 1859 mißmuthig die Feder nieder. Hierauf ging sie im Jahre 1865 in den Verlag von Ernst Keil über. Nach Kühne leitete die Redaction Friedrich Steger, der den Charakter des Blattes dem Zeitgeschmacke entsprechend umgestaltete; seit seinem Ende December 1874 erfolgten Tode übernahm der bekannte Romanschriftsteller Hermann Kleinsteuber die Redaction, welche er noch heute mit Geschick und Umsicht führt.

Eine ähnliche Tendenz verfolgten Arnold Ruge’s „Jahrbücher“. Als Ruge dieselben herauszugeben begann, trug er bereits eine breite Narbe; er hatte wegen „staatsgefährlicher burschenschaftlicher Bestrebungen“ schon eine sechsjährige Festungshaft hinter sich und wäre gewiß auch noch weiter hinter Schloß und Riegel belassen worden, hätten nicht 1830, als die Julirevolution ihre Leuchtkugeln auch nach Deutschland hinüberwarf, die Machthaber hier plötzlich einen bangen Schrecken bekommen und die straff gezogenen Zügel etwas gelockert. Ruge wurde wieder in Freiheit gesetzt; er erhielt eine Stelle als Gymnasiallehrer in Halle, habilitirte sich an der dortigen Universität, ward Mitarbeiter verschiedener Zeitungen und entwickelte bald eine hoffnungsfreudige, rege Thätigkeit. Allein seine gute Stimmung sollte ihm bald wieder mehr und mehr getrübt werden; vor das Morgenroth der neuen Freiheit traten bald wieder tiefdunkle Wolken; auf den kurzen Freiheitsrausch folgte ein um so empfindlicherer Katzenjammer, und die Reaction schwang ihre Faust wieder brutaler denn je.

Ruge beobachtete diese Wandlung mit bitterem Grimme, doch er ließ sich nicht entmuthigen; es war ja nicht möglich, daß der nationale Gedanke, der jetzt aller Patrioten Herz bewegte, wieder ausgerottet werden konnte; ja, der tapfere Kämpfer wurde durch die allgemeine Misère zu noch energischerer Thätigkeit angeregt, und schließlich erwuchs in ihm der Plan, die Ideen der neuen Zeit in einer eigenen Zeitschrift fort und fort zu verbreiten und zu pflegen. Er gewann für diesen Plan seinen Freund Theodor Echtermeyer, der sich ebenfalls als Privatdocent in Halle niedergelassen hatte, ferner den Verlagsbuchhändler Otto Wigand in Leipzig und sodann einen großen Kreis von Mitarbeitern, unter denen sich die bedeutendsten Männer der damaligen literarischen Welt befanden, so J. G. Droysen, Franz Kugler, Jacob Grimm, Karl Rosenkranz, Adolf Stahr, Reinhold Köstlin, David Friedrich Strauß, Friedrich Vischer, Ludwig Feuerbach, Daniel Schenkel und viele Andere.

Mit diesem glänzenden Stabe ausgerüstet, traten die „Hallischen Jahrbücher für deutsche Wissenschaft und Kunst“ am 1. Januar 1838 in die Oeffentlichkeit, zunächst jedoch noch mit größter Vorsicht. In der ersten Nummer boten sie nur einen Bericht über die Universität Halle und eine allerdings im höchsten Grade geistreiche und anmuthige, von David Friedrich Strauß geschriebene Charakteristik des gemüthvollen Poeten und wunderlichen Geistersehers Justinus Kerner zu Weinsberg, bald aber wagten sie sich kecker hervor, und nach kurzer Zeit lagen die Grundsätze, von denen das junge Unternehmen getragen wurde, klar vor Aller Augen: es galt nichts Geringeres, als die Schöpfung eines ganz neuen „Mittelpunktes der Anziehung aller noch wirklich treibenden und lebendigen Säfte der Zeit“.

Natürlich standen, wie alle geistreichen Köpfe damals, so auch die Herausgeber unter dem Banne Hegel’s, und die Hegel’sche Philosophie war denn auch die breite Basis, auf der sie sich bewegten.

Der Enthusiasmus, mit dem die „Jahrbücher“ ihr Programm vertraten, erweckte in ganz Deutschland den lebhaftesten Widerhall, und als sie sodann auch in schneller Folge eine ganze Reihe im höchsten Grade gediegener, oft mit feiner, prickelnder Ironie und selbst mit schalkhaftem Humor durchsetzter Essays brachten, fanden sie schnell die weiteste Verbreitung. Unter den philosophischen Artikeln erregten besonderes Aufsehen: „Protestantismus und Romantik“, „Der Pietismus und die Jesuiten“, „Rotteck und der Erzbischof von Köln“ und andere; von den kritisch-biographischen Abhandlangen: die von Friedrich Vischer über David Strauß und Eduard Mörike, die von Karl Rosenkranz über Ludwig Tieck und die romantische Schule, die von Arnold Ruge über Ferdinand Freiligrath, Heinrich Heine und Andere.

Allgemeines Entsetzen in den betreffenden Kreisen rief dagegen eine Anzahl von Aufsätzen hervor, welche alle bedeutenderen deutschen Universitäten charakterisirte. Sämmtliche Schäden wurden rücksichtslos beleuchtet und der alte von so Vielen ängstlich gehütete gelehrte Dunst und Nimbus mit vollen Backen bei Seite geblasen. Das größte Gaudium aber erregten sehr bald die sogenannten „Hinrichtungen“, in denen kleine Schreier, aufgeblasene Wichtigthuer, Reactionäre und sonstige wunderliche oder curiose Gesellen abgethan wurden, wie Gustav Bacherer, ein damals vielgelesener Belletrist und Publicist, der Zurückdränger Heinrich Leo, der lüderliche Gentz, der pietistische Tholuck, der in seinen akademischen Predigten von dem „Eiweiß der Gottesliebe“ und von „Gottes Mutterkräften“ sprach, der nur in Participial-Constructionen sich bewegende König Ludwig der Erste von Baiern und Andere. Durch diese Kampfweise eroberten sich die „Jahrbücher“ rasch ein großes Terrain; sie wurden schnell eine Macht, und in Folge dessen hielt es die preußische Regierung alsbald für gerathen, den Stürmern einen Hemmschuh anzulegen. Sie ließ dem Dr. Ruge durch Cabinetsordre bekannt geben, daß er die mit sächsischer Censur erscheinenden „Hallischen Jahrbücher“ hinfüro unter preußischer Censur müsse erscheinen lassen, oder er habe sich schon in nächster Zeit eines Verbotes der Zeitschrift in preußischen Landen zu gewärtigen.

Auf dieses Ansinnen einzugehen, verspürte Ruge jedoch keine Lust; er verließ Preußen, siedelte nach Dresden über und gab nun die Zeitschrift unter dem Titel „Deutsche Jahrbücher“ heraus. Allein das Verhängniß war jetzt doch nicht mehr abzuwenden; die Acht war einmal über die Zeitschrift ausgesprochen, und die sächsische Regierung ergriff gern die erste beste Gelegenheit, sich der preußischen Regierung gefällig zu erweisen – die „Jahrbücher“ wurden Ende 1842 einfach verboten. Damit beraubte man Deutschland seiner bedeutendsten Zeitschrift, aber das ging ja nicht anders; wie konnte man eine Fackel dulden, die blendend hell in alle moderigen Winkel leuchtete, wie durfte man eine Stimme länger sprechen lassen, die sogar Propaganda für ein einiges Deutschland machte! Soviel über die Ruge’schen „Jahrbücher“!

Nur den Interessen einer engeren Heimath, den specifisch österreichischen, diente der jüngste Vorläufer der deutschen Revuen, die „Grenzboten“. In Oesterreich sah es in den zwanziger, dreißiger und vierziger Jahren noch weit trauriger aus, als im übrigen Deutschland; dort hielt Metternich mit eiserner Hand jedwede, auch die bescheidenste, freiheitliche Regung darnieder; in der großen Residenzstadt Wien durften nur zwei politische Zeitungen erscheinen, die „Oesterreichisch-Kaiserlich privilegirte Wiener Zeitung“ und der „Oesterreichische Beobachter“, die der Fürst selbst tagtäglich controllirte und corrigirte; alle ausländischen Blätter waren streng verboten; es war nicht einmal erlaubt, politische Correspondenzen aus Oesterreich an ausländische Blätter zu senden, ja es war den österreichischen Schriftstellern sogar untersagt, ihre Schriften außerhalb Oesterreichs, also ohne österreichische Censur, erscheinen zu lassen, und mit Recht durfte daher Anastasius Grün klagen: „Ach, es will der Freiheit Blume hier zu Lande nicht gedeihen.“ Eine große Menge talentvoller Männer, die den schweren Druck nicht ertragen konnten und mochten, wanderten daher aus, unter Anderen auch ein junger warmblütiger Böhme, Ignaz Kuranda. Er ging zunächst nach Stuttgart und dann nach Brüssel, wo er so viel Interesse für deutsche Cultur und Literatur fand, daß er es wagte, mitten in der französisch sprechenden Stadt eine politische Wochenschrift in deutscher Sprache zu gründen, der er den Namen „Grenzboten“ gab und deren erste Nummer am 1. October 1841 erschien.

Auf die Länge der Zeit war aber Brüssel doch nicht der richtige Platz für eine deutsche Wochenschrift, und so siedelte Kuranda denn schon bald mit ihr nach Leipzig über, wo sich damals viele ausgewanderte junge Oesterreicher aufhielten, die nun sofort eifrige Mitarbeiter der patriotischen Wochenschrift wurden. In Folge dessen erhielten die „Grenzboten“ rasch eine große Bedeutung für Oesterreich und wurden bald das Hauptorgan der liberalen Partei in Wien. Selbstverständlich war die Zeitschrift in Oesterreich verboten, allein es wurden dennoch Mittel und Wege ersonnen, um die grünen Hefte über die schwarz-gelben Grenzpfähle in das Reich Metternich’s zu schmuggeln, wo sie dann von Hand zu Hand gingen und überall informirten, klärten und leiteten. Der Ton, welcher in ihnen herrschte, war stets ein gemessener, selbst vornehmer; nur die Gedichte eines Alfred Meißner, Moritz Hartmann und Joseph Rank schäumten von jugendlicher Begeisterung. Mit dem Ausbruche der Revolution hatten indessen die „Grenzboten“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 414. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_414.jpg&oldid=- (Version vom 17.3.2023)