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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)


Wilhalm’s Augenbrauen zogen sich zusammen. Er bemerkte das Beifallsgemurmel nicht, das dieses kräftige Wort an der Rathsherrentafel hervorrief; denn während er das Schreiben zusammen faltete, dachte er nur daran, wie er die Elsbeth ihren Trotz bezahlen lassen wollte.

„In Augsburg und andern großen Städten,“ entgegnete er, „tragen die Frauensbilder schon lange keine Stürze mehr.“

„Unsre Frauen sind keine hoffärtigen Augsburgerinnen,“ widersprach gereizt Herr Imhof.

„Ihr würdet nicht also reden, wenn Ihr sie kenntet,“ antwortete Wilhalm von oben herab. „Sie sind mit Gebärden so wohl abgerichtet, daß ihre Hoffart wie Demuth erscheint.“

Die beiden Männer schauten sich feindselig an.

Auch der Rotmund warf dem Haller einen grollenden Blick zu.

„Wenn doch Schwefel und Pech auf das prängische Augsburg regnete!“ rief er. „Es ist ganz vom Hoffartsteufel besessen, und der scheint seine Krallen jetzt auch nach unsrem ehrenfesten Nürnberg auszustrecken. Wollt Ihr sein Fürsprecher sein? Habt Ihr etwa die verwünschte Haube mitgebracht, mit der mich mein Weib seit gestern Abend quält? Ist hoch wie der Perlachthurm in der Maximilianstraße zu Augsburg, und ein Schleier hängt daran wie ein Wimpel.“

„Mitgebracht hab’ ich sie nicht,“ antwortete Wilhalm, „aber so wie Ihr sie beschreibt, sieht die neueste Augsburger Haube aus. Ja, die Frau Rotmundin ist immer den Leuten hier voraus gewesen.“

Dem Rotmund gebrach das Wort vor innerer Wuth.

Die anderen Herren riefen:

„Das ist die Haube, von der auch wir seit gestern so viel zu leiden haben.“

„Mein Weib liegt darob im Fieber.“

„Das meine weint unaufhörlich.“

„Sie sind versessen darauf und weder mit Güte nach mit Strenge davon abzubringen.“

So klang es durch einander, und Jeder seufzte endlich tief auf.

Da rief Wilhalm:

„Dem ist leicht abzuhelfen, Ihr Herren. Faßt einen günstigen Bescheid.“

Aber der Schultheiß richtete sein Haupt auf und kreuzte die Füße, wie es üblich für einen Herrn war, der zu Gericht saß.

„Nein,“ sagte er, „und wenn es uns auch das Herz abdrücken möchte, Ehre und Zucht wollen wir nicht sinken lassen. Fällt eine Schranke, so werden bald alle zertrümmert sein. Mit der Kleiderordnung würde die Ordnung der Stände aufhören. Wie sollte ein Gemeinwesen bestehen, in welchem man den Juden nicht mehr am gelben Ringkragen, die leichtfertige Dirne am grünen Schleiersaum erkennt, in welchem das Schellengeklingel des Narren Euch nicht vor seiner Pritsche warnt und der Sturz dem gemeinen Volk nicht anzeigt, daß eine Patricierin naht, der es gebührlich den Weg zu räumen hat? Möchtet Ihr in einer solchen Welt leben?“

„Nein,“ murmelten die Rathsherren.

(Fortsetzung folgt.)




Das historische Festspiel in Rothenburg ob der Tauber.

Von Karl Braun-Wiesbaden.
2.0Festspiel des Volkes.

Vor dem Festspiele, das um zehn Uhr beginnt, nahmen wir einen Frühschoppen rothen Tauberweines im „Rothen Hahnen“, der neben dem Haus liegt, in welchem der Altbürgermeister Nusch, der Meistertrinker des Meistertrunkes, das Licht der Welt erblickt hat.

Als man uns meldete, soeben sei der Wagen vorüber gefahren mit den Damen, die in dem Stücke auftreten, eilten auch wir hinauf nach dem Marktplatze, der von schönen alten Giebelhäusern umgeben ist. Fast in jedem dieser Häuser hat sich irgend eine merkwürdige Begebenheit zugetragen. Eine stattliche Reihe deutscher Kaiser ist über diesen Platz nach dem Rathhause gezogen, um hier von der Stadt den Ehrentrunk entgegenzunehmen. Denn ohne einen solchen ging es damals nicht. Die Hohenstaufen waren in Rothenburg. Dann der glückliche Rudolph von Habsburg und der unglückliche Adolf von Nassau, Albrecht der Erste und Ludwig der Baier, Karl der Vierte, Wenzel von Böhmen und Ruprecht von der Pfalz. Einige davon kehrten zum dritten und vierten Male wieder. Es scheint ihnen gefallen zu haben.

Das Rathhaus besteht, wie man auf den ersten Blick sieht, aus drei Theilen. Der hintere Theil ist der älteste; er ist gothisch und hat einen hohen schlanken Thurm, an den sich allerlei Sagen knüpfen. Der vordere Theil ist Renaissance voll Zierlichkeit und Reinheit des Stiles, mit schönen Portalen und einem noch schöneren dreistöckigen Erker; der dicke und kurze achteckige Thurm dient als Treppenhaus; dieser Bau entstand um 1577, jener um 1250. Noch jünger als beide ist die Colonnade, die sich vor dem neueren vorderen Bau hinzieht. Man steigt auf einer hohen Freitreppe zu ihr empor. Sie ist in einem wuchtigen Rusticastile gehalten.

Auf unserem Wege aus dem „Rothen Hahn“ zum Rathhaussaale, wo das Festspiel stattfindet, befinden wir uns schon mitten im Dreißigjährigen Kriege. Ueberall stoßen wir auf die Züge und die Wachen der städtischen Milizen, mit ihren großen Helmen, ihren Lederkollern und ihren stattlichen Hellebarden. Das macht schon Stimmung und paßt zu der Architektur.

Wir treten in den Saal. Links geht es in den Zuschauerraum, rechts nach der Bühne. Es ist nur ein Eingang da. Die Fenster befinden sich ihm gegenüber: zierliche Rundscheiben, im Glasofen geformt und durch Bleizüge mit einander verbunden. Sie reichen nicht ganz aus zur Erhellung. Allein es ist schwer, bei ganz hellem lichtem Tage Komödie zu spielen. Diese ein wenig mittelalterlich-spärliche Beleuchtung ist besser, und wenn zuweilen wieder einmal so ein recht intensives Sonnenlicht durchbricht, dann kann dies die Wirkung nur erhöhen.

Von dieser einzigen Eingangsthür rechts nach der vollkommen schmucklosen Bühne führt ein breiter Steg empor, eine schiefe Ebene, deren Zweck mir noch nicht recht klar ist. Ich frage darnach. Man legt den Finger auf den Mund und sagt:

„Pst! Der Hühnersteig! Sie werden ja sehen. Nur Geduld, nur abwarten!“

„Meinetwegen!“ sage ich, und suche meinen Platz auf, für den mir Magistratsrath Conrad Kraus mit vorsorglicher Liebenswürdigkeit gesorgt hatte. Der Andrang war groß. Es konnte keine Stecknadel zur Erde fallen. Es herrscht eine lautlose Stille. Das Stück beginnt. Es spielt in demselben Rathhaussaale, in dem wir uns befinden.

Da stehen die Sessel der Senatoren, gruppirt um den Rathstisch. Nur Johann Bezold, der regierende Bürgermeister von Rothenburg ob der Tauber, befindet sich auf der Bühne. Es ist Morgens früh. Er hat die Nacht über gesorgt und gewacht. Denn der Feind ist vor den Thoren der Stadt erschienen. Es sind Kaiserliche, welche die Stadt berennen, weil sie sich Gustav Adolf von Schweden zugewandt und dem Leipziger Convente (vom 20. Februar 1631) beigetreten war. Die freie Reichsstadt Rothenburg, obgleich sie nur sechstausend Einwohner hat und eine kleine schwedische Besatzung – ein Fähnlein von sechszig Reitern unter dem Befehle des Rittmeisters Rinkenberg – ist entschlossen, sich bis zum letzten Hauche zu wehren, um nicht das Schicksal Magdeburgs zu erleiden. Rothenburg weiß, daß Tilly am 17. September (1631) bei Breitenfeld durch den Schwedenkönig eine schwere Niederlage erlitten. Man hofft, die Truppen, welche Rothenburg berennen, sind nur ein Streifcorps der bei Breitenfeld zersprengten Tilly’schen Armada, und wenn es auch Tilly selber wäre, dann ist ihm doch gewiß der Schwedenkönig auf den Fersen. Indessen ist man von dem Letzteren ohne alle Nachricht, und die Schaaren des Feindes sind in beständigem Wachsen. Die Sache fängt an unheimlich zu werden.

Bürgermeister Bezold ergeht sich in einem Monolog, der uns zuweilen an das realistische Pathos Schiller’s erinnert. Seine

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 508. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_508.jpg&oldid=- (Version vom 6.8.2023)