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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Sorge ist schwer. Die Befestigungen der Stadt sind sehr ausgedehnt, und die Zahl der Mannschaft, die solche vertheidigen soll, schier ungenügend.

Mit bangem Herzen erwägt der Bürgermeister, ob die Belagerer nur ein versprengtes Streifcorps sind, oder die Vorhut der von Tilly befehligten Kaiserlichen und Ligisten, und ob, wenn letzteres der Fall, wenn Tilly mit seiner ganzen Streitmacht sich wider die Stadt wenden sollte, sie im Stande sei, erfolgreich Widerstand zu leisten.

Daß Tilly (nachdem Gustav Adolf, statt ihn zu verfolgen, sich mainabwärts nach dem Rhein gewendet) seine zersprengten Schaaren wieder gesammelt und mit dem Grafen Aldringer und dessen Italienern, sowie mit dem Charles Duc de Lorraine und dessen Lothringern vereinigt hat, und daß Hülfe von Gustav Adolf, auf die man auf gegebene Zusage rechnet, durchaus nicht zu erwarten – von Alledem weiß man in der cernirten Stadt noch gar nichts.

Der Bürgermeister beschließt, den Rath zu berufen. Wir hören die Glocke, die im Rathhause hängt und die man schon 1631 zu diesem Zwecke geläutet.

Die Senatoren kommen: stattliche Herren in schwarzen Talaren mit weiten Aermeln und großen breiten, weißen Kragen, von welchen zwei weiße Quasten herabhängen und unter welchen die goldene Ehrenkette hervorschaut. An der Linken tragen sie den spanischen Degen, auf dem Haupte den hohen, spitzen, schwarzen Hut mit breiter Krämpe. Man beschließt, Scheiblein, den Waffenmeister der Stadt, und Rinkenberg, den Commandanten des schwedischen Reiterfähnleins, zu hören. Beide rathen zum entschlossenen Widerstand, und dieser wird denn auch beschlossen.

Die jüngste Schaar der bewaffneten Bürger kommt, um die Weisungen und den Segen des Raths entgegenzunehmen. Es folgt eine rührende Scene. Während die jungen Bürger ein „Kriegerlied“ singen, nehmen die Alten von ihnen Abschied. Hans Staudt ist der Führer des Fähnleins. Sein Vater, Johann Staudt, ist Senator. Der Erstere mahnt den Letzteren, und dieser ist bereit, sein Blut für die Sache der Stadt und der Freiheit zu vergießen. Während die letzte Strophe gesungen wird, marschirt die junge Schaar ab, und zwar auf demselben Wege, auf welchem sie aufmarschirt ist, nämlich über den sogenannten „Hühnersteig“, dessen Zweck uns nun klar ist und den ich für eine außerordentlich sinnreiche Erfindung halte. Da er nicht horizontal ist, sondern aufsteigt, so gruppiren sich auf ihm die Züge mit malerischer Schönheit und Uebersichtlichkeit.

Während die jungen Krieger abmarschiren, dröhnen draußen auf den Wällen die Kanonen. Das sind aber keine Theaterknalleffecte, sondern es sind wirkliche Schüsse, Schüsse aus den echten alten Kanonen, welche der Stadt von 1631 noch übrig geblieben – Kanonen, welche wirklich draußen auf dem nämlichen Walle stehen, auf dem sie im Herbste 1631 gestanden haben.

Nun erscheint Georg Zierlein, der oberste protestantische Prediger der Stadt – und auch er ist eine historische Figur; denn er ist wirklich von 1621 bis 1661 „Superintendent“ dieser guten und tapferen freien Reichsstadt gewesen – und mahnt, den Beistand des Höchsten anzurufen, die Wehrbaren gehören auf die Wälle, aber die Kampfunfähigen möchten mit ihm sich in der Jacobi-Kirche vereinen.

Der alte Nusch, der eigentliche Held des Dramas, der Senator und Altbürgermeister, geht mit dem Superintendenten nach der Kirche. Man hört das Lied: „O bleib’ mit deiner Gnade“ mit Orgelbegleitung. Es ist die Orgel der benachbarten Jacobi-Kirche, welche gespielt wird. Es ist die große Glocke von Sanct Jacobi, welche läutet. Und der Gesang wird wirklich in dieser Kirche gesungen. Wollt ihr noch mehr Realismus? Während der Choral, die Orgel und die Glocken ertönen, verharrt Bürgermeister und Rath in stillem Gebet. Das ist die Exposition, die Einführung in das Stück. Nun folgt das eigentliche Drama.

Während der Senat noch versammelt ist, kommen Boten auf Boten. Sie erinnern uns an das altgriechische Drama, z. B. an den „König Oedipus“ von Sophokles. Der erste Bote bringt dem hohen Rathe hocherfreuliche Botschaft:

„Von Würzburg her nahen sich lange Colonnen. Das sind die Schweden. Das ist Gustav Adolf. Nur noch eine kurze Frist – dann muß sich Alles wenden.“

Der zweite Bote meldet, daß auf der ganzen Linie der Muth wieder auflebt; der Dritte, daß die jungen Krieger den andringenden Feind geworfen haben und Wunder der Tapferkeit aus den Wällen verrichten.

Dieser Stufenleiter von Aufmunterung folgt in einem außerordentlich wirksamen Gegensatz eine andere: wie die Freudenbotschaften sich steigerten, so überstürzen einander nun die Hiobsbotschaften. Der vierte Bote ist selber verwundet. Er meldet:

Die vermeintlichen Schweden, die von Würzburg her in langen Colonnen anrücken, sind in Wirklichkeit alle Kaiserliche, und – wo Gott vor sei – der alte Teufel, der Tilly, soll selber dabei sein. Ist das der Fall, ist es wirklich die ganze vereinigte Armada der Kaiserlichen und der Liga, dann gnade uns Gott – dann sind wir verloren!

Der fünfte Bote aber macht jedem Zweifel ein Ende. Er meldet: Tilly ist da mit seiner ganzen Armee. Sein Herold ist vor dem Thore. Er verlangt Uebergabe der Stadt auf Gnade und Ungnade und Erklärung binnen kürzester Frist.

Der Donner der schweren und leichten Geschütze, das Gedröhne des Kampfes begleitet diese Meldung, welche von dem versammelten hohen Rath mit Entsetzen aufgenommen wird. Und dennoch lassen die würdigen Väter der Stadt den Muth noch immer nicht sinken. Sie klammern sich an den Strohhalm einer äußersten höchst problematischen Hoffnung.

„Ist Tilly da,“ sagen sie, „dann ist auch der Schwedenkönig auf seinen Fersen. Nur Muth! Kämpfen wir weiter!“

Da kommt der sechste Bote, um zu melden, daß das Galgenthor (jetzt das Würzburger Thor genannt) bereits dem Tilly in die Hände gefallen.

Ihm folgt der Altbürgermeister Nusch auf dem Fuße. Er erzählt, wie er in der Jacobi-Kirche um Errettung der Stadt zu Gott gebetet; dann will er hinaus auf den Wall. Dort ist der stärkste Thurm, genannt der „Ganser“ in die Luft geflogen, sammt Allem, was darauf und darin war, und die junge Schaar ist vernichtet. Nusch schließt mit den Worten:

„Ich hab’ die weiße Fahne ausgehängt,
Am Galgenthurm. Nehmt mir den Degen ab,
Wenn ich’s verdiene!“

Der siebente Bote meldet, daß Scheiblein, der städtische Waffenmeister, gefangen und daß den Schweden freier Abzug gewährt ist, Tilly aber jede Vereinbarung mit der Stadt verworfen und nur Unterwerfung auf Leben und Tod angenommen hat.

Und nun erfolgt der Aufmarsch Tilly’s und seines Gefolges, und zwar ebenfalls über jene breite schiefe Ebene, welche man scherzweise den „Hühnersteig“ genannt hat. Mit Tilly kommt der Herzog Karl von Lothringen, der Prinz Louis von Pfalzburg, der Aldringer, der Oberst von Ossa und des Feldherrn Leibdominicaner, ein freches und fanatisches Pfäfflein, das am liebsten alle diese protestantischen freien Reichsstädte mit Feuer und Schwert von dem Erdboden weggefegt sehen möchte.

Tilly selbst und die Generale sind in großer spanischer Tracht, Alles geziert mit Schwarz-gelb, den Farben des Kaisers, Einige auch im Harnisch. Dann folgt ein Fähnlein Tilly’scher Landsknechte mit der schwarz-gelben Fahne. Sie singen während des Aufmarsches das „Tilly-Lied“.

Draußen aber schmettern die Fanfaren des Siegers, der Victoria schießen läßt.

Der Aufzug der Kaiserlichen zur Bühne hinauf macht einen außerordentlich malerischen Eindruck. Man kann den Zug, während er zur Bühne hinaufsteigt, sehr schön übersehen. Droben ordnet sich das Ganze zu zwei großen Gruppe: links Tilly mit Generalen und Dominicaner, rechts Bürgermeister Bezold und die Senatoren, dahinter die Landsknechte.

Bezold will sich als der allein Schuldige dem Zorne Tilly’s preisgeben. Tilly aber heißt ihn schweigen: Sechshundert Tapfere habe er an dieser einen Belagerung verloren, so viel sei die ganze Stadt nicht werth:

„– dies Bürgerpack,
In offnem Aufruhr gegen Reich und Kaiser.“

Der Bürgermeister beruft sich auf die großen Leistungen der Stadt, für die nie eine Zahlung erfolgt, sowie auf die Privilegien und Freibriefe derselben, namentlich auf die neuesten:

„Vom Friedland einer, zwei vom Kaiser selbst.“

Tilly weist jede Berufung auf Vertrag, Brief und Siegel mit den Worten zurück:

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 510. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_510.jpg&oldid=- (Version vom 7.8.2023)