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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

der größte Romancier Englands, Walter Scott, in seinen jungen Jahren schon Goethe’s „Götz von Berlichingen“ in’s Englische übertragen (siehe Eckermann, „Gespräche mit Goethe“, Theil III, Seite 178).

Ich hoffe auf die Aufmerksamkeit unserer Leser rechnen zu dürfen, wenn ich von demjenigen Lebensabschnitte unseres Ritters, den der Dichter im Interesse der Dichtung unterdrückte, der aber dennoch sein wohlbegründetes historisches Recht hat, Einiges mittheile, was bis jetzt dem Publicum im Großen und Ganzen wenig bekannt ist. Ich benutze dabei die zuerst von dem Heidelberger Professor Dr. Heinrich Zoepfel und die von dem Grafen von Berlichingen-Rossach erschlossenen Quellen.


Götz zu Hornberg.

Die Schriften, welche der Ritter Götz während der letzten zweiunddreißig Jahre seines Lebens zu Hornberg verfaßte, sind größtentheils von ihm dictirt worden. Mit seiner eisernen Rechten vermochte er nur die Waffen, aber nicht die Feder zu führen. Er schrieb zwar mit der linken Hand, aber sehr schlecht, sodaß es schwer ist, die kurzen Briefe und die Aenderungen an Urkunden und Entwürfen, welche wir von ihm besitzen, zu lesen. Selbst seine Unterschrift „G. von Berlichingh zu Hornbergk“ ist schwer zu entziffern.

Seine Denkwürdigkeiten sind in verschiedenen Handschriften auf uns gekommen, von denen die beste, die Neuenstettner, sich im Besitze der gräflichen Familie von Berlichingen befindet.

Die erste gedruckte Ausgabe ist 1731 erschienen, herausgegeben von Veronus Franck von Steigerwald. Sie führt den langen Titel:

– „Lebens-Beschreibung Herrn Gözens von Berlichingen, Zugenannt mit der Eisern Hand, Eines zu Zeiten Kayser’s Maximiliani I. und Caroli V. kühnen und tapfern Reichs-Cavaliers. Worinnen derselbe 1) all seine von Jugend auf gehabten Fehden und im Krieg ausgeübte Thathandlungen, 2) seine in dem Bauern-Krieg Anno 1525 widerwillig geleisteten Dienste, und dann 3) einige andere, außerhalb dem Krieg, und denen Fehden gethane Ritter-Dienste aufrichtig erzählet, und dabey seine erlebte Fatalitäten mit anführet. Mit verschiedenen Anmerkungen erläutert und mit einem vollständigen Indice versehen, zum Druck befördert, von Verono Franck von Steigerwald, welchem noch zu mehrerer Illustrirung eine Dissertatio de Diffitationibus et Faidis beigefügt sich befindet, von Wilhelm Friedrich Pistorius, Hohenlohe-Wickersheimischen Hof-Rathe. Nürnberg, verlegt von Adam Jonathan Felsacker 1731.“

Dieses in verschiedenen Ausgaben erschienene Buch hat Goethe den Anlaß zu seiner berühmten Dichtung gegeben. Er sagt selbst[1], er habe in seinem Drama Götz „vorgeführt, wie der wackere tüchtige Mann sich selbst, und also wohl zu leidlichen Gunsten, in eigener Erzählung dargestellt hat“. Diese Darstellung hat jedoch später lebhafte Anfechtung gefunden. Namentlich ist es Zimmermann in der zweiten Auflage seiner „Allgemeinen Geschichte des großen Bauernkriegs“ (Stuttgart 1854), welcher herausgefunden haben will, Götz sei, in Gemeinschaft mit dem bekannten Wendel Hippler, der eigentliche, aber geheime Anstifter des Bauernkrieges gewesen, habe während des Krieges den Mantel auf zwei Schultern getragen und dann die Bauern verrathen; wenn er dann schließlich lange gefangen gehalten und gezwungen worden sei, eine grausame Urfehde zu schwören, so habe er das ehrlich verdient – um seines Verrathes an den Bauern willen.

Diese Auffassung, wonach Götz ein gewöhnlicher Raubritter und Abenteurer gewesen sein soll, ist jedoch nicht richtig, wenigstens was das Verhalten des Ritters im Bauernkriege anlangt – das Uebrige liegt außerhalb der Aufgabe, die ich mir hier gestellt habe; – und so hat diesmal der Dichter Recht und der Geschichtsschreiber Unrecht. Dieses Urtheil fälle ich auf Grund der Proceßacten, welche nunmehr vollständig vorliegen und die ich studirt und juristisch geprüft habe.

Weder der Dichter noch der Geschichtsschreiber haben die vollständigen Acten gelesen: Zimmermann urtheilt hauptsächlich auf Grund der Aussagen des „Bauernrathes“ Dionysius Schmidt und des Abtes von Amorbach, und den Letzteren nennt er selbst einen alten schwachsinnigen Mann. Was aber den Ersteren anlangt, so hat derselbe diese Aussagen auf der Folter gemacht und später widerrufen. Es ist indessen eine durch Tausende von Hexenprocessen bestätigte Thatsache, daß bei dem Foltern die Aussagen dem Gefolterten vom Untersuchungsrichter in den Mund gelegt wurden.

Man fragte ihn: „War Das und Das nicht so und so?“ und folterte ihn dann so lange, bis er „Ja“ sagte. So erklärt sich z. B. auch die auffallende Gleichförmigkeit aller „Geständnisse“ und Aussagen in den Hexenprocessen. Professor Vilmar will aus dieser Uebereinstimmung schließen, daß doch etwas Wahres an dem Hexenwesen gewesen sein müsse. Aber mit Recht bemerkt dagegen der Hamburger Rechtsgelehrte Dr. C. Trummer, diese Gleichförmigkeit rühre einzig und allein daher, „daß die Tortur die Aussagen auf Suggestionen (Einflüsterungen) erpreßte, daß eben auszusagen war, was die Gerichte wollten, und daß diese sich nun einmal daran gewöhnt hatten, die Sache so aufzufassen“. Diese Geständnisse wurden dann später widerrufen, sobald die Tortur aufhörte, und erneuert, sobald man mit derselben wieder anfing. Doch dies nur beiläufig.

Kehren wir zurück zu unserem Ritter!

Jene beiden belastenden Aussagen leiden nicht nur an den bezeichneten Mängeln, sondern sie sind auch vollständig widerlegt durch zahlreiche Zeugen und Urkunden, welche Ritter Götz in seinem Processe gegen den Erzbischof von Mainz und Genossen producirt hat.

Ich habe bereits in der Einleitung erzählt, wie Götz 1530 in Augsburg Urfehde schwören mußte, daß er vor dem schwäbischen Bund wegen der Entschädigungsforderungen des Erzbischofs von Mainz und der Abtei Amorbach Recht nehmen und sich der Entscheidung unterwerfen wolle.

Auf Grund dessen erhoben auf Johanni 1531 vor dem in Nördlingen versammelten schwäbischen Bund Klage:

1. Kur-Mainz wegen 12,139 Gulden durch die Bauern unter Götz’ Führung erlittenen Schaden;
2. das Kloster Amorbach wegen „etlich Silber und Kleinod“, das Götz mitgenommen, auch dessen eheliche Hausfrau zur Auslösung angeboten habe;
3. die Geistlichkeit in Möltenberg wegen Ersatz des durch Götzens Diener Eucharius gestifteten Schadens.

Die Klage unter 3 ist ohne weitere Verhandlung abgewiesen worden, weil dieser Posten in der Urfehde von 1530 nicht mit einbegriffen und daher nicht vor dem schwäbischen Bund, sondern vor den ordentlichen Gerichten zu verfolgen sei. Beiläufig sei nur bemerkt, daß besagter Eucharius, welcher allerdings in Möltenberg bös gehaust hatte, damals nicht mehr in des Ritter Götz Diensten stand, auch alsbald darnach auf Befehl der Sieger gehenkt oder geköpft worden ist.

Dagegen wurde über die Klagen von Kur-Mainz und von Amorbach ausführlich verhandelt. Die Klagbeantwortung und die Duplik des Ritters sind von dessen Anwalt Johann Daickfuß eingereicht worden, und die Darstellung des Sachverhalts stimmt in allen wesentlichen Stücken mit der Erzählung der Selbstbiographie unseres Ritters überein.

Die Proceßschriften von Kur-Mainz zeichnen sich durch Rabulisterei und Flegelei aus. So wird in der Mainzer Replik Götzens Vertheidigungsschrift als ein „unnütz, lang, weitschweifig Geschwätz und Gedicht, als ein blos vermeintliches, aber ganz nichtiges Fürbringen“ bezeichnet. Dafür giebt denn aber auch Götz wieder Seiner erzbischöflichen Gnaden einige bittere Pillen zu schlucken: die in Rede stehenden Schädigungen, Brandstiftungen etc. seien gar nicht von den Bauernhaufen angerichtet, bei welchen sich Götz während seiner Hauptmannschaft (die er beharrlich als sein „Gefängniß“ bezeichnet) befunden, sondern von des Herrn Erzbischofs eigenen Bauern, die derselbe früher sehr schlecht behandelt, mit welchen er jedoch während des Bauernkriegs anfänglich auch ein gütlich Abkommen und Einvernehmen habe treffen wollen, wozu er die guten Dienste des Ritters Götz durch seinen bischöflichen Beamten Stumpf in Anspruch genommen, indem dieser Stumpf dem Götz sehr zugeredet habe, die Bauernhauptmannschaft zu übernehmen und zu behalten, weil er dadurch dem Bischof und dem Adel sehr nützlich sein könne.

Ferner behauptet Götz, Seine erzbischöfliche Gnaden hätten Sich für einen etwa erlittenen Schaden längst selber reichlich erholt durch die den Bauern nach errungenem Siege auferlegten

  1. „Wahrheit und Dichtung“, Theil IV, Buch 17; sämmtliche Werke Band 48, Nachlaß Band 8, Seite 37.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 780. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_780.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2023)