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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

die Ameisen auf den Bäumen finden, welche diese Pflanzen in den Astgabeln tragen. Merkwürdig ist, daß eine Art der letzteren (Myrmecodia armata) trotz dieser Leibwache noch nöthig gehabt hat, ihre Knolle mit stachelartigen Auswüchsen zu schützen. Die andern Arten sind indessen unbewaffnet.

Es kann uns nicht Wunder nehmen, daß man in wärmeren Ländern den Schutz, welchen gewisse Ameisenarten bestimmten Pflanzen gewähren, allgemeiner erkannt hat, als bei uns, sodaß die Gärtner dieselben, statt sie, wie bei uns, zu verfolgen, vielmehr in ihren Baumgärten einzubürgern suchen. Im vorigen Jahre theilte Dr. C. J. McGowan mit, daß die Chinesen seit uralten Zeiten die Gewohnheit haben, ihre Orangerien mit gewissen Ameisen zu bevölkern, die sie aus den Berggegenden holen, weil diese Ameisen alles andere Ungeziefer von den Orangen fern halten. Die einzelnen Bäume werden zu diesem Zwecke im obern Astwerk durch Bambusstäbe mit einander verbunden, die den Ameisen als bequeme Brücken von dem einen zum andern Stamm dienen, und dieser Gebrauch ließ sich in der gärtnerischen Literatur Chinas bis zum Jahre 1640 zurück verfolgen, ist aber wahrscheinlich viel älter, da unsere Citronen, Pomeranzen und Apfelsinen aus Indien und China stammen und daselbst seit uralten Zeiten culzivirt wurden.

Auch in Indien und auf Ceylon kennt man diese gärtnerische Benutzung gewisser Ameisenarten sehr wohl, und als vor längeren Jahren die Kaffeeplantagen von Ceylon durch die Kaffeeschildlaus verwüstet wurden, suchte man diesem Uebel durch die Einführung einer rothen Ameise ein Ziel zu setzen, mußte jedoch, wie Tennent[WS 1] in seiner „Naturgeschichte von Ceylon“ berichtet, davon wieder Abstand nehmen, weil die Ameisen auch den in den Plantagen arbeitenden malabarischen Kulis den Eintritt nicht verstatten wollten und sie mit ihren bösartigen Angriffen verfolgten. Es sind für diesen Zweck allzu eifrige Wächter.

Auch unsere europäischen Gewächse zeigen vielfach honigabsondernde Drüsen an Blättern und Blattstielen, so z. B. verschiedene Pappelarten, viele Angehörige des Prunus-Geschlechtes, zu dem unsere Kirschen, Pflaumen, Aprikosen etc. gehören, und Andere. Hierbei fällt nun auf, daß bei vielen dieser Pflanzen, z. B. bei den Pappeln, nur die ersten Blätter Honigdrüsen entwickeln, die dann eifrig von den Ameisen besucht werden, und daß die Honigdrüsen alsbald versiegen, wenn das Blatt soweit herangewachsen ist, daß es keine verlockende Nahrung mehr darbietet. So entwickelt auch der in unseren Wäldern und auf unfruchtbaren Triften wuchernde Adlerfarn nur an der Basis seiner jungen Wedel Honigdrüsen, die eifrig von den einheimischen Ameisen ausgebeutet werden.

Alles das deutet darauf hin, daß auch diese Drüsen dazu dienen könnten, gewisse honigliebende Ameisen zum Schutze des jungen Laubes heranzulocken, obwohl bei uns, abgesehen von den Raupen, keine ernstlichen Bedrohungen vorkommen. Allein man darf nicht vergessen, daß die Pflanzen zum Theil aus fernen Ländern stammen, und daß auch in unseren Breiten ehemals nahe Verwandte der oben geschilderten Blattschneiderameisen gelebt haben, wie ihre fossilen Neste in den Schichten der jüngsten Tertiärzeit beweisen. Die Honigdrüsen der jungen Blätter verschiedener unserer Straßen- und Gartenbäume sind daher wahrscheinlich Erbschaften aus Zeiten und aus Gegenden, in denen auch diese Bäume solcher Ameisenleibwachen zu ihrem Schutze bedurften.

In der That konnte Fritz Müller feststellen, daß der auch in Brasilien vorkommende Adlerfarn dort sehr stark den Angriffen der Blattschneiderameisen ausgesetzt ist, daß letztere aber gewöhnlich durch die oben erwähnten kleinen schwarzen Ameisen verjagt werden, welche den honigabsondernden Drüsen nachgehen. Man ersieht daraus, daß dort zum wenigsten der Adlerfarn nicht wohl ohne solche Drüsen den Angriffen widerstehen könnte. Alle diese Thatsachen sind nur im Lichte der Entwickelungslehre verständlich, von der einzelne naive Leute, die mit dem Geiste der heutigen Naturforschung keine Fühlung haben, vermeinen, sie habe sich bereits überlebt, während die arbeitenden Naturforscher unserer Tage fast ohne Ausnahme überzeugte Anhänger derselben sind.




Zwei Brüder.

Von Dr. A. Bernstein.

Gleich Frühlingssonnenstrahlen eine dunstige Atmosphäre durchbrechend, leuchten die Standbilder der zwei Brüder Wilhelm und Alexander von Humboldt mitten in den verdüsternden Geist der gegenwärtigen Reaction hinein. Sie machen die Trübung nur erkennbarer, aber sie verbürgen zugleich ein Aufstreben aller lichten Geisteskeime, die in edlen Zeiten in das Volksbewußtsein ausgestreut wurden. Sie waren im ersten Viertel unseres Jahrhunderts Geisterpropheten der lichteren Zukunft; sie sind im letzten Viertel unseres Jahrhunderts eine Bürgschaft, daß es nicht dahinschwinden wird, ohne die Saat frisch zu beleben, die trotz der Hetze der herrschenden Verdüsterung in aller Stille fortkeimt.

Wenn man das geistige Schaffen der zwei Brüder betrachtet, so könnte es scheinen, als ob es gar nicht gleichem Stämme entwachsen. Ihre Leistungen stehen einander so fern, als wären sie von verschiedenen Trieben geleitet. Aber im tieferen Einblick ihres Strebens wird jedem Denkenden die Harmonie klar, welche ihrem gegenseitigen Forschen zu Grunde lag. Der Mensch als edelstes Product der Natur kann nur richtig erkannt werden in seinem Zusammenhange mit den kosmischen Weltgesetzen. Und der Kosmos gelangt erst zur Selbsterkenntniß durch den Menschengeist.

Die Natur in ihren ewigen Gesetzen ist bewußtlos. Die Sonne weiß nicht, daß ihre Anziehungskraft eine Planetenwelt regiert. Sie weiß nicht, daß ihr Licht Leben spendet in weitem Umkreise. Sie weiß nicht, daß ihre Wärme auf der Erdoberfläche eine unzählbare Pflanzenwelt, eine ihres Seins bewußte Thierwelt und eine von Geistesthätigkeit bewegte Menschenwelt erst ermöglicht. Und der Mensch, so lange er die Gesetze des Weltalls nicht erkannte, betete die Sonne, die unbewußte Natur, an. Erst in der Erkenntniß der kosmischen Gesetze begann der Geist der Menschen Wahrheit von Irrthum und Dichtung zu unterscheiden. Erst in dem edelsten ihrer Wesen gelangt die Natur zur Selbsterkenntniß. Der Kosmos und der Mensch, sie sind durch die Geistesreise der Erkenntniß mit einander verbunden. Sie bilden in ewiger Kraft und in stets aufstrebendem Geiste eine Verbrüderung der Weltharmonie.

Ein mächtiger Einfluß dieser Harmonie war es auch, welcher die zwei Brüder als Führer der Erkenntniß auf anscheinend verschiedenen Bahnen der Forschung geleitet hat. Wie Wilhelm von Humboldt die Entwickelungsgeschichte des Menschengeistes in dem Höchsten seiner Begabung, in der Menschensprache aufsuchte, so suchte Alexander von Humboldt die Urkraft der Naturgesetze zu ergründen, in der sich erst der Menschengeist entwickeln konnte. Beide Erkenntnißquellen stehen in einer engen Verbrüderung, beide im Zusammenhang ergänzen einander. Wenn man auch nirgends die Gemeinschaft ihrer Arbeiten nachweisen kann, die Ergebnisse weisen auf den Einheitssinn hin, dem ihr Geist entsprossen war.

Welch glücklicher Leitstern aber war es, der gemeinsam über den Häuptern der zwei Brüder schwebte?

Es war der Geist der edelsten Zeit des deutschen Vaterlandes! Es war der Geist der Lichtung und Aufklärung, der sich in den Heroen der deutschen Literatur erhob. Es war der Geist, der die Nation auf das Einheitsideal vorbereitete, dem wir noch jetzt entgegenstreben. Es war Schiller und sein Idealismus, der Wilhelm’s Geist auf’s Tiefste anzog und ihn künstlerisch und forschend anregte. Es war Goethe und sein Realismus, der dem Geiste Alexander’s die reale Richtung anwies. Die zwei Brüder, denen jetzt Standbilder in der nationalen Hauptstadt des deutschen Reiches errichtet worden sind, sie sind Vorbilder des wissenschaftlichen deutschen Lebens, wie Schiller und Goethe die Dioskuren der deutschen Kunst waren.

Aber ein noch höherer Genius, der den Menschengeschlechtern in der Jugend ihrer Culturblüthe nur einmal zu erscheinen pflegt, um ihrer edlen Entwickelung für spätere Epochen, gleich einer Offenbarung vorzuleuchten, strahlte in den Jugendjahren beider

Anmerkungen (Wikisource)

  1. James Emerson Tennent, Vorlage; Tennen
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883). Leipzig: Ernst Keil, 1883, Seite 390. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1883)_390.jpg&oldid=- (Version vom 4.1.2024)