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Verschiedene: Die Gartenlaube (1883)

einigen Decennien der Traum eigener nationaler Größe erfaßt und in seinen Volksführern dem früher so eifrig gesuchten Germanenthum abhold gemacht.

Der Germanisationsproceß, der ungezwungen und als naturgemäßes Resultat der Einwirkung höherer Cultur bisher langsam aber stetig um sich griff, wird perhorrescirt und mit dem Slaventhum geliebäugelt, das die „Stammesbrüder“ natürlich mit offenen Armen aufnimmt, ohne aber auch nur im Entferntesten daran zu denken, ein specifisch lettisch-litauisches Volksthum zu fördern. Illusionen in dieser Richtung sind unmöglich, wenn man die Stellung des Russenthums zur litauischen Nation nur einigermaßen in’s Auge faßt. Doch dies erkennen die lettischen Streber nicht oder wollen es nicht erkennen und treiben so in süßen Hoffnungen auf eine dereinstige mächtige Entwicklung nationaler Eigenartigkeit unaufhaltsam dem Russenthum in ganz andere Arme, als die ihres nationalen Traumes.

Es sind dies Verhältnisse, die im Allgemeinen in Deutschland ziemlich unbekannt sind. Die lebendige Fühlung mit dem Mutterlande, die früher eine so innige und starke gewesen ist - man denke nur an die vielfachen Beziehungen deutscher Geistesheroen, wie Herder, Hippel, Haman, Kant etc. zu Kurland – hat mit der Einverleibung Kurlands in’s russische Reich (1795) bedeutend nachgelassen. Nach der Gründung der so rasch aufgeblühten baltischen Landesuniversität Dorpat (1802), diesem Entrepot und Vermittelungspunkt deutscher Cultur für den Osten, schickt Kurland seine Söhne nicht mehr auf deutsche Universitäten, wo sie z. B. in Königsberg, Jena, Göttingen etc. eigene starke Landsmannschaften bildeten. Die deutschen Pionniere an der Ostsee stehen allein in ihrem Ringen gegen die Uebermacht, in ihrem Kampf um die heiligsten Güter, dessen Verlauf und Ausgang allerdings das Herz jedes Deutschen mit banger Sorge erfüllen muß.

F. W.




Blätter und Blüthen.

Wie soll ich mich photographiren lassen? Die Photographie hat in unserer Zeit großartige Fortschritte gemacht, und sei es im Portraitfache, sei es zu technischen Zwecken oder im Dienste der Wissenschaft, immer ist sie im Stande, Vorzügliches zu leisten. Dem gegenüber ist das Publicum, welches den Photographen aufsucht, so ziemlich das alte geblieben und erschwert durch sein Benehmen dem modernen Lichtkünstler ungemein die Erfüllung seiner Aufgabe. Darum ist es wohl angezeigt, den Photographielustigen mit denjenigen Winken und Rathschlägen an die Hand zu gehen, durch deren Beachtung man ein gutes Bild – vorausgesetzt, daß man einen geschickten Photographen aussucht – sicher erzielen wird.

Die meiste Last erwächst dem Photographen – abgesehen von Kinderaufnahmen – durch die verehrlichen Vertreterinnen des schönen Geschlechts. Die Damen stellen oft Ansprüche an den armen gequälten Lichtkünstler, die zu erfüllen oder denen nur einigermaßen zu entsprechen außer dem Bereiche seiner Macht liegt. Hier ist es auf dem Bilde ein Bändchen, dort eine Schleife, dort zwei oder gar – es ist tatsächlich vorgekommen - ein Härchen, oder ein nicht ganz senkrecht herabhängendes Medaillon, welches den ganzen Zorn der Damen auf den gegenüber solchen Argumenten oft rath- und hoffnungslos dastehenden Photographen schleudert, trotzdem die Damen meist Zeit genug hatten, vor dem Spiegel im Empfang- oder Toilettenzimmer alles hinreichend zu ordnen.

Doch das ist das Wenigste; jetzt geht es daran, die Position einzunehmen. Der Photograph zeigt die ungefähr zu ergreifende Stellung und bittet nun die Aufzunehmende, gefälligst an seinen Platz treten und die Stellung annähernd nachmachen zu wollen.

„Wenden Sie, bitte, den Kopf ein wenig zur Schattenseite.“

Jawohl! Eine solche Zumuthung ist der Dame in ihrem Leben noch nicht vorgekommen. Sie hat ja ihr Haupt für die rechte Seite frisirt und nun soll die linke zur Verwendung kommen? Unmöglich!

Aber die rechte Seite ist nicht zu gebrauchen, weil die Dame dann nach der Lichtseite sehen müßte, was jedoch unvermeidlich Mangel an Modellirung und somit Unähnlichkeit zur Folge hätte. Der einzige Ausweg ist also aufzuspringen und vor dem Spiegel das Haar von Neuem zu arrangiren. Inzwischen wird ja wohl dem Photographen seine Platte eingetrocknet sein (dieselbe hält sich bekanntlich nur wenige Minuten), und er winkt seinem Assistenten, schnell eine neue zu präpariren. Die Dame tritt vom Spiegel, mustert mit einem letzten Achselblick noch einmal ihr Totalexterieur und setzt sich mit der wirklich geschmackvollen Frisur zur Aufnahme. Der Künstler prüft die Erscheinung mit zufriedenem Blicke (die neue Platte ist soeben fertig in das Atelier gereicht worden) und stellt den Apparat entsprechend auf. Um dem Kopfe absolute Ruhe zu gewähren, schiebt er möglichst sachte den Kopfhalter an – – „aber was machen Sie da? Nein! einen Halter will ich nicht, ich halte schon von selbst still.“

Vergebens sucht der „Schwarzkünstler“ zu beweisen, wie nöthig die Anbringung des Instrumentes sei und wie der Kopf durch die Application desselben eine steife Haltung nicht bekomme, indem nicht der Kopf dem Halter, sondern umgekehrt der Halter dem Kopfe angepaßt und gerade dadurch eine steife Haltung vermieden werde. Aber durch diese Behauptung hat er Oel in’s Feuer gegossen.

„Meine Freundin X. N.,“ erklärt die Dame, „hat jedesmal bei Benutzung des Halters eine steife Haltung bekommen, nein! ich kann es nicht zugeben!“

Ueber diesem technisch-wissenschaftlichen Streit ist ja auch wohl die zweite Platte glücklich eingetrocknet, und der Principal giebt ein für das Publicum unsichtbares Zeichen, welches eine dritte Platte befiehlt. Während der zum Präpariren derselben benöthigten Zeit hat er eine kleine Unterhaltung mit seinem Opfer anzuknüpfen und die bis zur Fertigstellung der neuen Platte verfließenden Minuten zu verplaudern, und zwar in äußerlich angenehm-verbindlicher Form. Innerlich mag er toben, soviel er Lust hat, wenn nur das Publicum nichts merkt. Versäumt er die Unterhaltung, so erhält sein Modell in der Regel einen gelangweilten Ausdruck, der nachher auf dem Bilde von den Damen als „zu alt“ bezeichnet wird.

Endlich wird die Aufnahme vom Künstler für gelungen erklärt, und er schickt das Probebild seiner schönen Bestellerin zu. Diese erscheint am andern Tage persönlich mit dem Bemerken, das Bild sei gar nicht ähnlich, woran es eigentlich liege, wisse sie selbst nicht, – genug, es sei Factum.

Nach langem Hin- und Herreden bringt der Photograph die Wahrheit an’s Tageslicht. Die Dame, welche sonst einen Stehkragen oder ein „en coeur“ zu tragen pflegte, hatte sich zum Zwecke der Aufnahme mit einer „Krause“ bewaffnet, und anstatt der sonst von ihr getragenen Zöpfe wahrhaft unmögliche „Schmachtlocken“ gedreht, wodurch das Bild natürlich total unähnlich werden mußte.

Das vorstehend Mitgetheilte ist nicht etwa meiner Phantasie entsprungen oder übertrieben, sondern meiner Praxis entnommen, und Tausende von Photographen können meine Erfahrungen in diesem Punkte bestätigen. – Kommt man aber in die Lage, sich photographiren lassen zu müssen, so suche man nachstehende Punkte möglichst zu berücksichtigen:

Um sich selbst ein gutes Bild zu ermöglichen, lasse man sich nur bei hinreichender Zeit aufnehmen und nicht etwa dann, wenn man noch sonstige Ausgänge und Besorgungen vorhat, indem man sonst leicht in Aufregung geräth und die zur Aufnahme so unbedingt nöthige Ruhe nicht erzielen wird; ebenso wenig suche man den Photographen zur Eile zu bewegen.

Dann ordne man Frisur, Decoration von Bändern etc. zu Hause, sodaß im Atelier ein flüchtiger Blick in den Spiegel genügt, um sich von der guten Anordnung des Ganzen zu überzeugen. Ferner lasse man dem Photographen freie Wahl im Arrangement; ist er in seinem Fache tüchtig, so ist er auch Physiognomiker genug, um zu beurteilen, welche Stellung, Bewegung etc. für sein Modell am besten paßt.

Sodann sträube man sich nicht gegen die Anwendung des Kopfhalters, der ja weiter nichts bezweckt, als dem bereits zur Aufnahme zurecht gestellten Kopf einen bequemen Anhalt zu geben.

In Bezug auf das Costüm der Damen ist zu beachten, daß sie sich nie in einem ganz neuen Kleide photographiren lassen sollten. Ein solches sitzt eben niemals so gut, wie ein bereits getragenes, und es ist eine ebenso verbreitete als irrige Annahme, daß ein getragenes oder gar altes Kleid sich auf dem Bilde schlecht mache.

Was die Farbe des Kostüms anbelangt, so vermeide man möglichst die Wahl schreiender Farben. Am besten kommen sowohl schwarz als grau, braun, modefarbig etc. heraus. Auch dunkle Kleider mit schottischem, aber nicht zu breitem Besatz sind sehr effectvoll zu verwenden. Wäsche, Kattunkleider etc. machen sich besser, wenn sie bereits einen Tag getragen, also nicht mehr ganz salonfähig sind.

Endlich vermeide man es, zum Zwecke der photographischen Aufnahme Kleider, Frisuren, Hüte etc. zu tragen, in denen man sonst nicht zu erscheinen pflegt, weil auch durch diese die Aehnlichkeit auf dem Bilde bedeutend beeinträchtigt wird.

Diese kurzen Andeutungen dürften genügen, um vielfach verbreitete unrichtige Ansichten und Gewohnheiten zu beseitigen und das Publicum der Photographen auf die rechte Fährte zu bringen.

Paul Relsom.



Inhalt: Ueber Klippen. Von Friedrich Friedrich (Fortsetzung), S. 513. – Ein abschreckendes Beispiel der „guten alten Zeit“, S 516. Mit Illustration von Graf Woldemar Reichenbach, S. 517. – Wie und wo entstehen die „Schulkrankheiten“ ? Von Dr. L. Fürst. S 518. – Heiße Stunden. Von Wilhelm Kästner (Schluß), S. 520. – Kleine Bilder aus der Gegenwart, Nr 4. Die chinesische Panzercorvette „Ting Yuen“. Von H. Steinitz, S. 521. – Bilder von der Ostseeküste. 3. Land und Leute in Kurland, S. 523. Mit Abbildungen S. 524 und 525. – Blätter und Blüthen: Wie soll ich mich photographiren lassen? S. 528.


Für die Redaction bestimmte Sendungen sind nur zu adressiren: „An die Redaction der Gartenlaube, Verlagsbuchhandlung Ernst Keil in Leipzig.“

Unter Verantwortlichkeit von Dr. Friedrich Hofmann in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.

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