Seite:Die Gartenlaube (1885) 798.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1885)

Geschichte des Ludwig-Donau-Mainkanals, der bekanntlich wichtigsten und längsten künstlichen Schifffahrtsstraße Deutschlands! Schon zu einer Zeit, als noch Finsterniß auf dem Felde des Eisenbahntransportes ruhte, hatte ein Veteran in der Mechanik, der k. bayerische Oberstbergrath Ritte[r] Joseph von Baader (geb. 1764, gest. 1835) zufolge eines zweimaligen Aufenthaltes in Großbritannien das Wesen der englischen Bergwerksbahnen in sich aufgenommen und die letzteren zuerst dem deutschen Publikum näher gebracht. Seit dem Jahre 1812 stellte Baader in der königlichen Maschinenwerkstätte zu München wiederholt Versuche an mit arbeitenden Modellen seiner Eisenbahn nach „verbesserter englischer Bauart“, erhielt von König Max Joseph ein fünfundzwanzigjähriges Privileg auf seine „Eisernen Kunststraßen“ verliehen und brachte im Jahre 1817 den eingehend begründeten Vorschlag zur Verbindung des Rheins mit der Donau durch eine von Donauwörth über Nürnberg nach Kissingen ziehende Eisenbahn vor die Oeffentlichkeit, später auch vor den Landtag. Baader hatte lediglich schmalspurige Chaussée-Pferdebahnen – die Lokomotive war noch nicht erfunden – für Waarentransporte im Auge, deren Wagen zur Vermeidung der Umladung an jeder Stelle der Bahn auf die Straße übergehen konnten. Viel von sich reden machten die vergleichenden Versuchsfahrten, welche Baader im Frühjahr 1826 Dank der Geldunterstützung des Monarchen im Schloßparke zu Nymphenburg mit zwei Probe-Eisenbahnen, die eine nach englischer, die andere nach seiner eigenen Bauart in natürlicher Größe, veranstaltete. König Ludwig I. ließ die Hauptergebnisse jener Versuche dem Handelsstande Nürnbergs und Fürths mit der Aufforderung bekannt geben, „sich über die Zweckdienlichkeit einer solchen Bahn, deren Unternehmer sich des besonderen Schutzes Sr. Majestät zu erfreuen hätten, zu äußern.“ Allein die Zeit war noch nicht reif genug zu einem derartigen „gewagten“ Unternehmen. Als dann der Landesherr Karls des Großen uraltes Projekt einer Kanalverbindung der Donau und des Mains zu verwirklichen beschloß, da fielen nicht nur die Eisenbahnpläne in Ungnade, sondern auch Baader selbst, der als ein zu sehr leidenschaftlicher, selbstgefälliger Erfinder mit allen Waffen gegen die – beinahe zwei Jahrzehnte später erst vollendete – Kanalverbindung ins Feld zog.

Johannes Scharrer.

Paul Denis.

Von Alters her glänzte das freie reichsstädtische Nürnberg durch seinen Gewerbefleiß und Handel, wie durch seine Findigkeit. Seine Blüthezeit im Mittelalter wurzelte in dem belebenden Einfluß der Künste und Wissenschaften auf Industrie und Handwerk. Die politischen und kriegerischen Stürme, die vielen Wendungen der wirthschaftlichen Zustände in den folgenden Jahrhunderten haben zwar Nürnbergs Betriebsamkeit tief erschüttert, nie aber gelähmt. Traurig waren die Verhältnisse noch im Jahre 1806 beschaffen als die alte Reichsstadt der Krone Bayern einverleibt wurde; dann aber nahm dieselbe wieder einen riesigen Aufschwung, Dank der Organisation der Volksschulen und höheren Lehranstalten, der Herstellung eines freien Handelsverkehrs der deutschen Völkerstämme und der zunehmenden Freiheit des Zunftwesens. Mit Nürnberg war gleichzeitig die benachbarte Handelsstadt Fürth von Preußen an Bayern übergegangen. Im Schutze des Friedens und des freien Verkehrs fühlten sich die Schwesterstädte, welche vor Beginn der Eisenbahn-Aera zusammen 56000 Seelen besaßen, fester und fester aneinander gekettet, und die Verbindungsallee wimmelte von Fußgängern, Reitern und Fuhrwerken aller Art.

Die größten Lorbeeren um Nürnbergs Auferstehung erwarb sich ein schlichter Bürger, der edle Kaufmann und Gemeindebeamte Johannes Scharrer (geb. 1785, gest. 1844), der eigentliche Urheber und die Seele des ersten deutschen Eisenbahnunternehmens. Als zweiter Bürgermeister ordnete er mit Umsicht die Finanzen der Stadt, organisirte das Schulwesen und schuf die heute noch blühenden technischen Lehranstalten daselbst, obenan die im Jahre 1823 eröffnete polytechnische Schule. Scharrer erstrebte jedoch nicht nur die Wiederbelebung der Gewerbe, auch die Hebung der tief gesunkenen materiellen Regsamkeit Deutschlands durch Verbesserung des Zoll- und Verkehrswesens lag ihm am Herzen. Hierin ist er nur mit seinem Zeitgenossen, dem Schwaben Friedrich List zu vergleichen. List (geboren 1769, gestorben 1846), der gewandte Volkswirth und Agitator für den deutschen Zollverein, wirkte unablässig in Wort und Schrift für den Gedanken, daß man die Eisenbahnen als die Grundlage zu einem großen deutschen Transportsystem, als das Mittel zur nationalen Emancipation des Handels und der Industrie betrachten müsse. Unter den von ihm hauptsächlich befürworteten Eisenbahnlinien erscheint auch eine Süd-Nordbahn vom Bodensee über Nürnberg bis an den Main. List machte sich um die Gründung der Leipzig-Dresdener Privatbahn neben Gustav Harkort wesentlich verdient, zudem rief er das erste deutsche Eisenbahnjournal ins Leben.

Der Adler, die erste Lokomotive in Deutschland.

Scharrer, der freilich nicht wie List dem Systeme hoher Schutzzölle, auch nicht wie Adam Smith dem Systeme unbeschränkten Freihandels huldigte, sondern den goldenen Mittelweg vertheidigte, waren ebenfalls die von den jungen Großmächten der Dampfschifffahrt und der Dampfbahn zu erwartenden Vortheile für Deutschland, insbesondere für seine Vaterstadt klar vor Augen getreten. Das Jahr 1832 sah bereits in einer Anzahl norddeutscher Städte Eisenbahnvereine, in- und ausländische Ingenieure in emsiger Thätigkeit für Schaffung von Schienenwegen zwischen verkehrsreichen Städten; an opferwilligen Kapitalisten schien es dabei nicht fehlen zu wollen. Das war für Scharrer das Signal, seinen lange getragenen Wunsch zu verwirklichen und Nürnberg durch Anlegung einer Triest mit Amsterdam und Hamburg, die Donau mit Elbe und Rhein in der Richtung des mittelalterlichen Handelszuges verbindenden Eisenstraße und zwar mit Dampfbetrieb wieder zum Hauptpunkte des Binnenlandes, zum Haupt-Transitoplatz des kontinentalen Großhandels erhoben zu sehen. Hierbei dachte sich Scharrer, wie aus seinen Schriften und einer von ihm entworfenen Karte des zukünftigen deutschen Eisenbahnnetzes erhellt, Dampfschiffkurse auf Rhein, Main und Donau beigezogen.

Die kurze Strecke zwischen Nürnberg und Fürth sollte den Anfang machen als ein erster, billigster und voraussichtlich lohnendster Versuch. Am häuslichen Tische gewann Scharrer sofort seinen verehrten Freund, den ebenso ehrgeizigen als vermögenden Kaufmann und Handelsvorsteher Georg Zacharias Platner, zum Verbündeten, und Beiden gelang es im Umsehen, Nürnbergs Oberbürgermeister Binder und drei patriotisch gesinnte Freunde aus Fürth: den Bürgermeister Bäumen, Handelsvorsteher Meyer und Kaufmann Reissig sich beizugesellen. Aber welche Vorurtheile, welche Abneigung und Gleichgültigkeit gegen das geplante Transportmittel stauten sich nicht auf, als die Gründer ihr Projekt zum ersten Male in der Presse zur Sprache brachten! Zweifelnde, spottende, erbitterte Gegner fanden sich da ein, meist gerade aus jenen Kreisen, die nachmals die größten Vortheile aus den Eisenbahnen zogen. Mangelndes Bedürfniß in dem dürftigen, verkehrsarmen Deutschland, Unerschwinglichkeit der nöthigen Kapitalien, Erzeugung eines grenzenlosen Wirrwarrs, Ruin des Spannfuhrwesens, der fahrenden Posten und aller damit zusammenhängenden Nahrungen und Gewerbe, so und ähnlich lauteten die Klügeleien der Widersacher. Daß vermehrte und verbesserte Transportmittel auch den Verkehr vermehren und neue Transporte hervorrufen müssen, das leuchtete den Wenigsten ein. Das Mißlingen der schon bestehenden österreichischen Pferdebahn von Linz nach Budweis, wie auch die riesigen Kapitalien, welche die Lokomotivbahn Liverpool-Manchester verschlungen hatte, schwächten das Vertrauen erheblich. Außerdem galten die nach Beginn des vierten Jahrzehnts in England mit gewaltigem Lärm in

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1885). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1885, Seite 798. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1885)_798.jpg&oldid=- (Version vom 27.4.2024)