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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)


„Sie dürfen nicht, gnädige Frau? Es ist die Huldigung eines Dichters, die er einer Frau zu Füßen legt, das ist sein Recht gewesen zu allen Zeiten und das werden auch Sie ihm zugestehen.“ Die Worte kamen nur halblaut, aber so heiß und leidenschaftlich von seinen Lippen, daß Adelheid erbebte.

„So huldigen Sie den Frauen Ihrer Heimath in solchen Worten!“ sagte sie. „Eine deutsche Frau versteht sie nicht.“

„Sie haben sie aber doch verstanden!“ stieß Hartmut stürmisch hervor, „und Sie verstanden auch die Gluth- und Flammenlehre meiner ‚Arivana‘, die über alle Menschensatzungen den Sieg davonträgt. Ich habe es gesehen an jenem Abende, wenn Sie mir auch anscheinend kalt den Rücken wandten, während alle anderen mich mit Bewunderung überschütteten. Täuschen Sie sich nicht, Ada! Wo der göttliche Funke in zwei Seelen fällt, da flammt er auf, im heißen Süden wie im kalten Norden, und er flammt ja in uns beiden! In diesem Feuerathem sterben Wille und Kraft, er löscht alles aus, was gewesen, und nichts bleibt zurück als die heilige, lodernde Flamme, die noch leuchtet und beglückt, selbst wenn sie vernichtet. Sie lieben mich, Ada, ich weiß es, versuchen Sie nicht, es mir abzuleugnen, und ich – ich liebe Sie grenzenlos!“

Er stand vor ihr, in dem stürmischen Triumph des Siegers, und seine düstere, dämonische Schönheit war vielleicht noch nie so hinreißend gewesen wie jetzt, wo die Gluth, die in seinen Worten wehte, auch aus seinen Augen, seinem ganzen Wesen hervorbrach. Und er sprach ja die Wahrheit! Die Frau, die da so todtenbleich am Stamme des Baumes lehnte, liebte ihn, wie nur eine reine stolze Natur lieben kann, die bisher in dem Wahne gelebt hat, ihre Empfindungen würden ewig in dem Schlummer liegen, den die Welt Herzenskälte nannte. Jetzt sah sie sich erwachend einer Leidenschaft gegenüber, die ein tausendfaches Echo in ihrer eigenen Brust fand, jetzt umwehte auch sie jener Flammenathem mit seiner versengenden Gluth – jetzt kam die Probe.

„Verlassen Sie mich, Herr Rojanow – auf der Stelle!“ sagte Adelheid. Es klang halb erstickt, fast unhörbar, und es wurde einem Mann gesagt, der nicht gewohnt war, zu weichen, wo er sich bereits als Sieger fühlte. Er wollte ihr heftig näher treten – und blieb plötzlich stehen. Es lag etwas in den Augen, in der Haltung der jungen Frau, was ihn trotz alledem in Schranken hielt, aber er sprach wieder ihren Namen aus mit jenem Tone, dessen Macht er am besten kannte: „Ada!“

Sie schauerte zusammen und machte eine abwehrende Bewegung.

„Nicht diesen Namen! Für Sie bin ich nur Adelheid von Wallmoden – ich bin vermählt, Sie wissen es!“

„Vermählt an einen Mann, der an der Schwelle des Greisenalters steht, den Sie nicht lieben und der Ihnen keine Liebe geben könnte, selbst wenn er noch jung wäre. Diese kalte, berechnende Diplomatennatur kennt ja keine Regung der Leidenschaft. Der Hof, seine Stellung, sein Aufsteigen ist ihm alles, sein Weib ist ihm nichts, er prahlt höchstens mit dem Besitze eines Kleinodes, das er nicht zu schätzen weiß und für das andere ihre Seligkeit hingehen würden.“

Adelheids Lippen zuckten – sie wußte nur zu sehr, daß er recht hatte, aber sie antwortete nicht.

„Und was bindet Sie denn an diesen Mann?“ fuhr Rojanow noch dringender fort. „Ein Wort, ein einziges Ja, das Sie aussprachen, ohne seine volle Bedeutung, ohne sich selbst zu kennen. Soll es Sie binden für das ganze Leben, soll es uns beide elend machen? Nein, Ada, die Liebe, das ewige unsterbliche Recht des Menschenherzens, beugt sich nicht davor. Mögen die Menschen es Schuld, mögen sie es Verhängniß nennen, wir stehen nun einmal unter diesem Verhängniß und müssen ihm folgen, ein bloßes Wort trennt uns nicht!“

Fern am Horizont blitzte es auf mit so grellem, blendendem Lichte, daß der Wiederschein auch über die Höhe hinflammte. Hartmnt stand nur einen Augenblick lang in diesem Scheine, er war jetzt so ganz der Sohn seiner Mutter, ihr zum Sprechen ähnlich, schön und verderbenbringend, wie sie es gewesen war. Aber war es jener Blitz, der Adelheid zur Besinnung brachte, oder hatte er ihr das dämonische Feuer gezeigt, das in den Augen vor ihr loderte, sie wich mit dem Ausdruck unverhüllten Grauens zurück.

„Ein feierlich gegebenes und empfangenes Wort ist ein Schwur,“ sagte sie langsam, „und wer es bricht, der bricht seine Ehre!“

Hartmut zuckte zusammen, jäh und grell wie jener Blitz flammte eine Erinnerung in seiner Seele auf, die Erinnerung an jene Stunde, wo auch er ein feierliches Wort, ein Ehrenwort gegeben und – gebrochen hatte.

(Fortsetzung folgt.)




Blätter und Blüthen.


Des deutschen Reiches zweiter Kanzler. (Zu dem Bildniß S. 229.) Seit beinahe zwanzig Jahren steht unser junges Deutsches Reich aufgerichtet, geachtet, wohl auch gefürchtet nach außen, verwachsend und sich festigend im Innern. Und diese ganze Zeit über war es ein Mann, der als des Reiches oberster Beamter Deutschlands Geschicke lenkte, der auf seinen Schultern eine riesige Geschäftslast und eine noch riesigere Verantwortung trug, und der die Fäden der europäischen Politik in seiner nervigen Hand straff und fest zusammenhielt – ein Mann, beispiellos in der Geschichte unseres Volkes, beispiellos fast in der Geschichte der Menschheit!

Er ist heute nicht mehr Kanzler des Deutschen Reiches! – Es ist nicht dieses Ortes, die Gründe und Stimmungen zu erörtern, die den Fürsten von Bismarck bewogen, seine Aemter in die Hände seines Kaisers zurückzulegen. Genug, er schied – und mit stummer Ehrfurcht schaut Europa auf den gewaltigen Mann, wie er hinausschreitet aus seinem Amtszimmer und die Thür hinter seinem politischen Leben schließt.

Aber die Welt steht nicht still, auch wenn der größte Mann freiwillig oder unfreiwillig die Hände sinken läßt. In den Palast an der Wilhelmstraße zu Berlin hat ein anderer seinen Einzug gehalten: Georg Leo von Caprivi de Caprara de Montecuculi heißt des Deutschen Reiches zweiter Kanzler.

Müßte man Bände schreiben, um das Werk des scheidenden Kanzlers zu erschöpfen, die Geschichte des neuen ist fast noch ein unbeschriebenes Blatt. Ein Soldat, der ein Leben lang seinen Dienst mit Auszeichnung gethan, ein Mann, der auch in weniger vertrauten Verhältnissen einen klaren Kopf und eine kräftige Hand bewiesen hat – das ist der Nachfolger eines Riesen, der einem Jahrhundert eine andere Gestalt gab.

Georg Leo von Caprivi ist am 24. Februar 1831 zu Charlottenburg als Sohn des Obertribunalraths von Caprivi geboren. Er trat mit 18 Jahren in die Armee, war seine neun Jahre Sekondelieutenant, kam aber bald in die Dienste des Generalstabs. Den Feldzug von 1866 hat er als Major im großen Generalstabe bei der I. Armee (Prinz Friedrich Karl), den Krieg von 1870 als Chef des Generalstabs des X. Armeecorps mitgemacht. Als Abtheilungschef im preußischen Kriegsministerium hat er nach dem großen Kriege eine wichtige Stellung bekleidet und den großen russischen und französischen Manövern als besonderer Abgesandter beigewohnt. Dann folgten sich die höheren Kommandos der Brigade und der Division, bis ihn plötzlich – es war am 20. März 1883, genau sieben Jahre vor seiner Erhebung zum Reichskanzler eine kaiserliche Ordre an die Spitze der Admiralität stellte. Fünf Jahre lang hat er diesen Posten bekleidet, dann aber ließ ihn Kaiser Wilhelm II. seinem Wunsche entsprechend in das Landheer zurücktreten und gab ihm das Kommando desselben Armeecorps, als dessen Generalstabschef er einst im siebziger Kriege, besonders in den Tagen der Schlachten um Metz, wesentliche Dienste geleistet hatte. Und nun hat ihn ein neuer Willensakt seines obersten Kriegsherrn von seinem Generalkommando zu Hannover weg auf die höchste Stelle berufen, die dem Deutschen Kaiser zu verleihen gegeben ist, auf den Platz von „des Deutschen Reiches Fahnenträger“.

Man findet, Caprivi habe Aehnlichkeit mit Bismarck, seine Hünengestalt, sein kräftiger, runder, sparsam behaarter Kopf mit weißem Schnurrbart und mit stark ausladenden, buschigen Augenbrauen erinnern lebhaft an den „eisernen Kanzler“. Unser Bild bestätigt diese Aehnlichkeit, und sie mag, äußerlich wenigstens, dazu beitragen, den Uebergang zu erleichtern von des Reiches erstem zu seinem zweiten Kanzler. =     

Von der Insel Malta. (Mit Abbildung. Seite 260.) Während der größte Theil unserer Winterflüchtlinge sich die Riviera zum Reiseziel setzt, wählten andere, welche die weitere Reise und insbesondere die Seereise nicht zu scheuen haben, gern eine der Mittelmeerinseln als Zufluchtsstätte. Unter ihnen hat auf Korsika das staubfreie Ajaccio eine stetig wachsende Kurgemeinde erhalten, und nun folgt ihm Korfu mit seinen herrlichen Olivenwäldern und seinen unübertroffenen landschaftlichen Reizen. Sicilien ist im Rückgange begriffen; als vierte aber ist in den Bund dieser Inseln Malta eingetreten.

Ein starker Gegensatz zu allen Eindrücken, die man aus Italien mitbringt, das ist das erste, was dem Ankömmling in der maltesischen Hauptstadt Lavalette auffällt. Eine italienische, mit arabischen Bruchstücken gemischte Bevölkerung unter englischer Herrschaft! Statt des leichtfüßigen gewandten Bersagliere mit seinem wallenden Federbusch, statt der schmucken Carabinieri in Frack und Dreimaster sieht man hier und da auf den Bastionen Gestalten aufgepflanzt, lang, schlank und roth wie eine Stange Siegellack, mit weißem Helm auf dem Kopf – es sind die englischen Koloniesoldaten. Die Bootsleute, die uns ans Land rudern, sprechen den malteser Dialekt, ein Gemisch von Italienisch und Arabisch, aber die

flinken Vetturini mit ihren sauberen Carozellen sind des Italienischen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 259. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_259.jpg&oldid=- (Version vom 24.8.2022)