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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895)

„die gleich Brandraketen wirken“, wie man einst behauptete, in die Welt, „ich will Frieden haben“, wie es in Schillers „Maria Stuart“ heißt. Hier in meiner Villa zu wohnen, unbehelligt vom Parteitreiben, von Haß und Hader, von Neid und Mißgunst, für ein paar gute Journale, die mich unter den günstigsten Bedingungen zu ihrem Mitarbeiter geworben, populär wissenschaftliche und für eine Fachzeitung streng wissenschaftliche Aufsätze zu schreiben, das ist mein ganzer Ehrgeiz fortan, und ich darf ihn mir wohl gönnen, denn habe ich nicht zwanzig Jahre lang mich von den wilden Wellen des Lebens umbranden und unbarmherzig hin- und herwerfen lassen? Darf man sich mit fünfundvierzig Jahren nicht den Genuß der Ruhe und der stillen Geistesarbeit gönnen?

Du weißt es so gut wie kein anderer, Du weißt es nächst mir selbst am besten, daß ich von mir sagen kann: ich habe gelebt und gelitten. Diese jahrelange Qual mit Asta, meine unablässig wiederholten Bitten, sie möge sich von dem Mann, den sie als ein unerfahrenes Kind geheiratet, der sie so namenlos elend und unglücklich machte, trennen, um für immer mir anzugehören, ihr brennender Wunsch, dies zu thun, und dabei die Unmöglichkeit für sie, sich von ihren Kindern loszureißen – und ich hundertmal im Begriff, diese Fesseln zu sprengen, aber durch ihren leidenschaftlichen Jammer, durch mein eigenes starkes Gefühl für sie immer wieder zurückgehalten – es war ein aufreibender Zustand, und ich staune nachträglich, daß ich ihn so lange, daß ich ihn überhaupt ertragen habe! Wie ich heute, wie ich jetzt bin, könnte ich das nicht mehr, ich ginge zu Grunde dabei. Die kurzen Augenblicke eines verstohlenen Glückes – wie sollten sie mich entschädigen für die Kette von Lug und Trug, von Selbstverachtung und Feigheit, die ich mit mir schleppte? Und nun der letzte schreckliche Schlag, Astas Tod! Und ich, fern von ihr, ausgeschlossen aus dem Kreise ihrer Angehörigen, nicht einmal berechtigt, um sie zu trauern, um nicht der Welt mein und der Toten Geheimnis preiszugeben!

Du hast das alles getreulich mit mir getragen, mein alter Herzog, ich nenne Dich darum auch heute noch meinen einzigen Freund. Es giebt viele, die sich meine Freunde nennen … in meinen Augen sind sie nichts weiter als gute Bekannte. Wie viel Mißbrauch wird mit dem Wort „Freundschaft“ getrieben, und in diesem Begriff birgt sich doch fast der größte Reichtum, den das Leben uns bietet. Unter diesen meinen guten Bekannten sind freilich ein paar recht gescheite und angenehme Leute, mit denen ich gern in der Stadt, im Ratskeller oder im Frühstückslokal bei Krosse, einige Stunden verplaudern werde, und es soll mir auch nicht unlieb sein, wenn mich die Herren gelegentlich auf meiner Villa besuchen.

Meine Villa! Da habe ich nun meinen Rundgang mit Dir gemacht und bin glücklich wieder am Ausgangspunkt angelangt. Absichtlich bin ich ein wenig zurückgeschweift in die Vergangenheit – ich wollte Dir und auch mir selber einmal vorrechnen, was mir das Leben bisher gebracht hat, wollte gewissermaßen die Summe daraus ziehen und klarstellen, was ich jetzt noch vom Leben erwarte. Nicht mehr viel, ich bin wahrlich resigniert. Und doch wieder viel, denn heißt es nicht schon von Welt und Dasein viel verlangen, wenn man erwartet, daß sie uns in Ruhe lassen, daß sie es einem gönnen, so zu leben, wie man sich’s wünscht? Ich glaube, das wird doch nur wenigen Auserwählten zuteil – möge ich einer davon sein!

Der Anfang ist jedenfalls gut. Seit Jahren schon fahndete ich auf das, was ich jetzt habe: ein hübsches bequemes Landhaus inmitten eines Gartens, in der Nähe einer deutschen Großstadt, zu der ich einige Beziehungen habe. Das klingt einfach, fügt sich aber bei weitem nicht so leicht. Hier gefiel mir das Haus nicht; dort war mir die Stadt fremd oder unangenehm; hier war der sogenannte „Garten“ eine öde Sandfläche, an der höchstens ein Kamel Wohlgefallen haben konnte, dort war die Stadt kaum einen Steinwurf entfernt, so daß von Stille und Sammlung keine Rede sein konnte, oder die Wohnstätten der Menschen lagen so weitab, daß sie nur in zwei bis drei Stunden angestrengten Marschierens zu erreichen gewesen wären. Da bietet mir nun der gütige Zufall gleichsam auf dem Präsentierteller dies Juwel von einem Landhause dar. Eine etwas menschenfeindlich gesinnte melancholische alte Dame hatte sich diesen Wohnsitz nach ihren eigenen Angaben geschaffen, als sie aber im Begriff war, ihn zu beziehen, wurde sie von einer Lähmung betroffen, der ein baldiger Tod folgte, und ihre Erben wußten nicht, wohin mit diesem idyllischen Witwensitz. Mein Agent hört davon, meldet sich, tritt in Unterhandlung, giebt mir Nachricht – ich komme, sehe und bin besiegt – er schließt ab, und zwar für mich recht vorteilhaft, und ich bin im Besitz und folglich auch im Recht!

Da steht sie nun, hell und freundlich, meine Villa, mit einer geräumigen Veranda im Erdgeschoß, einem schönen Balkon im ersten Stock und einem koketten Türmchen rechts oben, von dem man einen weiten prachtvollen Rundblick genießt. Sechs Zimmer unten, ebensoviel im Oberstock, zwei luftige Stübchen im Turm. Küche, Kellereien, Wirtschaftsräume, alles bequem und praktisch eingerichtet. Sie ist kein übler Baumeister gewesen, meine alte Dame. Der Garten ist sehr groß und schön, in Terrassen angelegt, ohne künstliche Grotten, Teppichpflanzungen und sonstigen Firlefanz. Dagegen hat er einen dunklen Weiher, von Eschen umstanden, die ihr schlankes Gezweig bis ins Wasser hängen. Dies Gezweig ist zwar jetzt fast noch völlig kahl, kaum hier und da mit einem kleinen grünen Fleck betupft – es ist ja noch sehr früh im Jahr. Haben wir aber erst den Frühling und den Sommer im Lande, dann wird’s hier wundervoll werden, die ganze Villa muß da wie in Grün gebettet sein, die Blätterwogen könnten fast darüber zusammenschlagen. Du kennst meine Liebhaberei fürs Gärtnern, die haftet mir noch von meinem Leben auf dem väterlichen Gut an, und hier werde ich ihr nach Herzenslust nachgehen können. Mein Studierzimmer ist über die Maßen behaglich eingerichtet, es hat den Blick auf den Weiher und die schönsten Baumgruppen des Gartens; wie gut wird sich’s da arbeiten und lesen lassen! Ich habe mir von meinem Buchhändler so viel Lektüre schicken lassen und aus der Stadt so viel Zeitungen bestellt, daß ich ein Jahr hindurch den ganzen Tag nur lesen könnte und doch nicht fertig würde. Ich habe so lange auf Reisen herumgetrödelt, daß ich in unserer zeitgenössischen Litteratur von einer geradezu schmachvollen Unwissenheit bin und daher bestrebt sein muß, diese Lücken möglichst rasch auszufüllen.

Du mußt wissen, ich bin einigermaßen ein Sonderling geworden in den letzten Jahren. Daher passe ich auch nicht mehr in die Stadt, wenigstens nicht für den beständigen Aufenthalt dort. Ich will zum Beispiel in einer leichten Stoffkappe und in Leinenschuhen einhergehen, ohne daß die Menschheit mich angafft oder zum mindesten in mir einen halb verrückten Engländer vermutet. Ich will stehen bleiben und weitergehen, wann es mir gefällt, ohne von andern geschoben, gestoßen und gehemmt zu werden. Ich will in Muße spazierengehen und nicht durch dunstige heiße Straßen mich treiben lassen inmitten eines fiebernden Menschenschwarms. Ich will auch, sobald es mir beliebt, ein paar Worte vor mich hinreden, wie das jetzt oft so meine Art ist, ohne daß man mich für einen Narren hält. Und gute freie Luft will ich atmen, nicht aber den Höllenbrodem aus kochendem Asphalt, Staub, Rauch und Qualm, den die großen Städte liefern. Alles das aber, was ich will, kann ich in meinem „Buen Retiro“ haben.

Der Name steht in großen, golden leuchtenden Lettern über dem breiten vorspringenden Sims der Veranda. Wohlverstanden, diesen Namen habe ich der Villa gegeben, die alte Dame ist daran unschuldig. Klingt es nicht hübsch: „Buen Retiro?“ Und wörtlich soll es das werden, was es sagt, eine „gute Zuflucht“ für einen, der auf der hohen See des Lebens, wenn nicht Schiffbruch, so doch mancherlei Gefahren und Not erlitten hat und der nun an das sichere Gestade geflüchtet ist, um ruhig lächelnd auf den Ocean zurückzublicken, in der schönen Gewißheit, daß seine Brandungswellen nicht mehr bis zu ihm heranreichen, daß kaum ein versprengter Tropfen Schaum ihm in seiner stillen Klause den Fuß benetzt. Ach, es wird herrlich, es wird beneidenswert sein, hier zu leben – komm’, mein guter lieber Alter, komm’ und sieh Dir’s an, und wenn Du mir’s mißgönntest, Dich an meine Stelle wünschtest … mir sollte es leid thun um Dich, doch könnte ich es Dir wahrlich nicht verdenken!

Du bittest mich in einer etwas ironisch gefärbten Stelle Deines Briefes, es Dir jedenfalls anzukündigen, wenn ich mein „Idyllspielen“ satt habe und die Villa wieder loswerden wolle – unter Deinen zahlreichen Bekannten könntest Du mir vielleicht einen Käufer vermitteln. Also, Du meinst in vollem Ernst, daß ich mit meinem „Buen Retiro“ mir selbst etwas weismachen will? Freilich, man soll nichts verschwören und ich bin der letzte, der dies thut. Ich habe es aufgegeben, mich selbst zu beobachten, aus meinem eigenen Ich ein Studium zu machen. Es kommt weder für meine Mitmenschen noch für mich selber etwas Nützliches

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1895). Leipzig: Ernst Keil, 1895, Seite 2. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1895)_002.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)