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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

Gewandung, welches während der Trauungspredigt mehrmals errötete und beim Hochzeitsmahl, das in Frau Klämmerleins Museum stattfand, den Doktor Hans Ritter befragte, ob er Goethe oder Schiller für den größeren Dichter halte.

Dann wurde es, wie Hans Bardolf vorausgesagt hatte, sehr still in dem kleinen Hause. In das Zimmer „Bremen“ zog ein Kandidat der Theologie ein, der von der feuchtfröhlichen Vergangenheit seines Reiches nichts wußte und sie auch wohl kaum ganz gebilligt haben würde. Die beiden Freunde fingen an, so ganz allmählich jeder seine eigenen Wege zu wandeln, die äußeren Linien ihres kameradschaftlichen Verkehrs änderten sich noch nicht, aber sie verblaßten allmählich.

Doktor Hans Mohr hielt sich vom Parteileben, das er bisher pflegte, jetzt zurück, er entwickelte einen außerordentlichen Eifer für den pädagogischen Beruf und verfaßte für eine große Tageszeitung über neuerschienene Werke dieses Fachs mehrere lobende Besprechungen, die ihm einen angenehmen und sorgfältig gepflegten Briefwechsel mit den einflußreichen und angesehenen Verfassern eröffneten.

Doktor Hans Ritter war in seiner Weise nicht minder fleißig, seine „Kritische Würdigung der philosophischen Beweise für das Dasein Gottes“ gedieh endlich über die Einleitung hinaus und versprach sich zu einem jener Standwerke deutschen Geistes auszuwachsen, zu deren Durchlesen man ein Jahr und zu deren Abfassung ein Leben braucht. Oefters aber wurde er der Philosophie untreu und lief ihrer leichtfertigen Schwester, der Poesie, zu, die ihm allerhand Verse und Geschichten eingab, Erzeugnisse eines wunderlichen, nach innen gekehrten Humors. Es ging etwas von dem wehmütig süßen Erinnerungsduft des Klämmerleinschen Museums hindurch, in welchem er gar manches Mal stundenlang saß, geduldig die Erzählungen der alten Frau anhörend und sich mit ihr an den Briefen Emiliens erfreuend, aus denen das reinste und tiefste Liebesglück sprach.

Hans Bardolf schrieb seltener, meist nur einige herzliche Zeilen unter den Briefen seiner Frau. Anfangs schickte er sehr häufig Nummern seiner Zeitung, mit irgend einem blau angestrichenen Aufsatz, auf den er sich etwas Besonderes zugute thun mochte. Nach diesen Aufsätzen zu schließen, bearbeitete er für sein Blatt die verschiedensten Gebiete, von der hohen Reichs- und Stadtpolitik bis zur Kritik über eine durchreisende Operettentruppe – und alles, was er schrieb, war gleichmäßig mit einem eigenen, hochstrebenden und weltüberfliegenden Hauche beseelt, der es von dem übrigen Inhalte des Blattes wunderlich unterschied. Denn dieser setzte sich zumeist aus Beiträgen zusammen, die Hans Ritter schon vor Eintreffen der Postsendung ganz ebenso in dem von ihm gehaltenen Blatte der Universitätsstadt und anderen Ortsblättern gleicher Parteirichtung finden konnte, sie waren offenbar in Centralküchen gekocht und erinnerten auch in ihrem Geschmack manchmal an solche Gerichte, die in großen Kesseln für viele zu verschiedenen Tageszeiten speisende Gäste auf Vorrat gekocht und portionsweise aufgewärmt werden. Uebrigens wurden die Kreuzbandsendungen Bardolfs nach kurzem immer seltener.

Darüber war der Winter vergangen, die Veilchen und Kirschbäume hatten geblüht, die Kapuzinerkresse kleidete das altersgraue Gewand der Gartenmauer mit einem überaus bunt geblümten grünen Futter aus, und der wilde Wein stieg dem Häuschen mit üppigen Ranken bis aufs Dach. Seine Blätter wurden mählich rot, auf der feuchten Wiese des Gartens zeigten sich zu Frau Klämmerleins äußerstem Mißfallen wieder einige blasse Herbstzeitlosen; auch ihre Blüten vergingen in Nebel und Reif, und ein klarer Sonnenmorgen nach der ersten richtigen Frostnacht brach sanft und geräuschlos wie mit weichen Mädchenfingern die falben und roten Blätter ab, alle miteinander an einem Tage. Und dann kam mit dem ersten Winterschnee eine kurze Depesche, der ein langer, jubelnder Brief folgte; es war alles gut gegangen, die Mutter den Umständen nach wohl – ein prächtiges Mädchen, und Johanna Margarete sollte es heißen, nach ihren Paten, der Urgroßmutter und dem Doktor Hans Ritter.


4.

Am Jahrestag der Hochzeit ihrer Eltern wurde die kleine Johanna Margarete getauft. Es war wirklich ein sehr kleines Geschöpf für einen so langen Namen; Uneingeweihten erschien es als ein länglich rundes weißes Leinenpaket mit rosa Seidenschleifen und einer Art rötlichem Gesicht, welches nur unvollkommen an ein Menschenantlitz erinnerte, nach Aussage der Urgroßmutter dagegen vollkommen einem Engelsköpfchen glich. Der Doktor Hans Ritter wagte es nicht, irgend einen Zweifel gegen diese Behauptung auszusprechen im stillen that er, was die meisten unverheirateten Herren Paten beim ersten Anblick einer solchen Menschenknospe thun – er versuchte, sich eifrig und erfolglos vorzustellen, daß er auch einmal so ausgesehen habe. Völlig aber wie ein Gebild aus höheren und reineren Reichen erschien ihm die liebliche Gestalt, die sich mit mütterlicher Inbrunst über dieses unvollkommene Wesen beugte und ihm den von fern her angereisten Paten und „Onkel“ mit einem Ernste vorstellte, als wäre es schon imstande, sich sogleich zu erheben, zu knixen und ein „Sehr angenehm“ zu lispeln. Er hatte sie geliebt, mit einer tiefen und keuschen Liebe, von der nur Gott und er wußten, und er hatte dieser Liebe entsagt. Nun wandelten sich Liebe und Entsagung in eine wunschlose Andacht zu der heiligsten irdischen Macht, welche dem in zarter Jugend Verwaisten hier zuerst so vertraut, in so lieblicher und zarter Gestalt entgegentrat – zur Mutter, und es erfüllte und bewegte seine Seele wahrhaft wie ein Gelübde, als er vor ihren Augen das winzige Etwas – ihr Kind, zaghaft auf den Armen hielt und der Geistliche – unter lautem Widerspruch des Täuflings – das kahle Stirnchen benetzte.

Es war ein ganz nettes und trauliches Heim, in dem die kleine Grete das Licht der Welt erblickt hatte und zum Mitglied der christlichen Gemeinschaft geweiht wurde. Freilich waren es nur sechs kleine Räume einschließlich Küche und Mädchenstube; es war schon ein schwieriges Stück, zumal eben jetzt, für einen Logiergast ein Plätzchen frei zu machen, welches Hans Ritter natürlich der alten Dame überließ, während er sich selber in einem benachbarten Wirtshaus unterbrachte. Auch lag die Wohnung im dritten Stock, auf den dunklen und vielgewundenen Treppen duftete es nach mancherlei Hantierungen, und den Laden im Erdgeschoß unten hatte sogar ein sehr bemerkbares Butter- und Käsegeschäft inne. Allerdings versicherte der Doktor Bardolf, bis vor einem Vierteljahr habe dort ein Seifen- und Parfumeriehändler gewohnt und der Mann mit den Käsen werde nach Ablauf eines Mietsjahres sein Geschäft laut Aussage des Hausherrn verlegen. Drinnen aber in den kleinen Zimmern sah es um so einladender aus, die Möbel waren noch neu, sie strahlten von Sauberkeit und verrieten in ihrer Anordnung eine höchst reizvolle Mischung weiblichen Schönheitssinnes und männlicher Genialität. An der einen Wand des einfenstrigen Taschenzimmerchens, welches der Doktor Bardolf seine Studierstube zu nennen beliebte, und wo jetzt einstweilen Frau Klämmerlein schlief, hatte er aus seinem Offiziersdegen, seinem Helm und zwei sorgfältig entladenen Revolvern eine wirksame Trophäe aufgebaut, während an der anderen Wand ein Brett mit sieben langen Pfeifen die Würde und Hoheit des deutschen Mannes mehr von der friedlichen Seite zeigte. Im Wohnzimmer, über dem Sofa, hingen inmitten zahlreicher kleiner Photographien die Porträts von Emiliens Eltern, von Frau Klämmerlein mit Thränen begrüßt; gegenüber aber blickte einer der Engelsknaben von Rafaels Sixtina, mit himmlischer Gelassenheit auf die runden Aermchen gelehnt höchst befriedigt auf ein wirkliches, wohlgestimmtes Klavier.

Es war sehr hübsch, vor diesem Klavier beim freundlichen Lampenschein den Melodien zu lauschen, die Frau Emilie mit sanftem träumerischen Anschlag mehr angab als spielte, indes das ältliche Dienstmädchen, welches sie bereits als Kind in ihrer Eltern Haus gepflegt hatte und auf ihren Ruf aus weiter Ferne zu ihr übergesiedelt war, mit einer bei solchen Wesen höchst ungewöhnlichen Geräuschlosigkeit im Nebenzimmer das Abendbrot rüstete. Es war noch hübscher, wenn dann die vortragende Künstlerin plötzlich, beim ersten Ton eines leisen wimmernden Stimmchens aus dem Schlafzimmer, aufsprang und dorthin eilte, um eines höheren Amtes zu walten, indes die Zurückbleibenden einander mit einem wunderlichen, fröhlichen Lächeln anschauten. Ganz überaus hübsch aber war es, als Frau Emilie im Wohnzimmer den kleinen Weihnachtsbaum aufputzte – bereits „ihren“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 34. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_034.jpg&oldid=- (Version vom 4.2.2017)