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verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

Dichter der „Schwarzwälder Dorfgeschichten“, ging von vornherein dieser Gefahr aus dem Wege. Wie er in der Charakteristik seiner Personen keineswegs nur die besondere Art der Bewohner seines Heimatortes Nordstetten, sondern das für den Schwarzwaldbauern Allgemeintypische schildern wollte, so „behielt er die Eigentümlichkeiten des Dialektes und der Redeweise“ nur insoweit bei, als das wesentliche Gepräge derselben damit dargethan wird. Seine „Dorfgeschichten“ sollten nicht nur Darstellungen aus dem Volksleben, sondern auch „bildende Vorschriften“ sein. Er stellte den Satz auf, daß der Mann aus dem Volke, der in Büchern Bildung sucht, sich gern in der Sprache angeredet sieht, die nun einmal die des gebildeten Lebens ist. Das hat man ihm im Lager der Dialektfreunde sehr übelgenommen, und A. Holder in seiner „Geschichte der schwäbischen Dialektdichtung“, durch die man einen reichen Einblick in die vielen Unterarten der schwäbische Mundart gewinnt, hat den Wert der „Dorfgeschichten“ als Dokumente der Volkskunde ziemlich gering taxiert.

Zog es Auerbach um der bildenden Wirkung seiner Schriften vor, den Dialekt nur im Dialog seiner Bauern und da auch nur andeutend zu verwenden, so hat Herman Schmid, der treue Mitarbeite der „Gartenlaube“ in früheren Jahrzehnten, welche dem Leben im deutschen Hochgebirge die Stoffe zu seinen fesselnden Romanen entnahm, nur um der Gemeinverständlichkeit willen die gleiche Zurückhaltung geübt. Ihre Nachfolger in der Kunst der Schilderung landschaftlicher Besonderheit sind dagegen auch in Anwendung der Mundart meist realistischer verfahren, und daraus ergab sich für sie ein neuer Uebelstand: das Publikum erhielt aus demselben Landschaftsgebiet Erzählungen mit ganz verschieden gefärbtem Dialekt und es erhob sich nun die Frage, welche Schreibweise ist die rechte? Die Wenigsten ahnen ja, welche Mannigfaltigkeit an Unterarten ein jeder Dialekt besitzt. Der Pusterthaler spricht anders wie die Leute im Isarwinkel, die Bürger von Meran und Bozen haben eine andere Aussprache und viele andere Ausdrücke wie die In- und Umwohner von Innsbruck. Der Dialekt, in welchem der Meraner Karl Wolf seine Bergler Bauern reden läßt, weicht daher auch ab von demjenigen, in dem sich die Unterinnthaler von Greinz unterhalten, wie von dem Oberbayrisch, das die Leute in Ganghofers so farbenechten Berchtesgadener Romanen sprechen. Anzengruber schrieb einen anderen Dialekt als Rosegger, obgleich beide uns oberösterreichische Gebirgsbewohner vorführen. Doch beide haben sich dabei ganz wie die vorher Genannten im Sinne von Goethes Wunsch „dem Schriftdeutschen“ genähert. Anzengruber in höherem Grade als Rosegger. Der Dichter des „Pfarrers von Kirchfeld“, der wohl von allen Dialektdichtern die tiefsten poetischen Wirkungen ausgeübt hat, sagte von sich, wie uns sein Biograph Anton Bettelheim bezeugt hat, daß er „nur ein halber Dialektdichter“ sei, denn schon als Dramatiker habe er darauf Bedacht zu nehmen, der Mehrheit der Menge verständlich zu bleiben. „Weil ich aber inmitten des Schilderns und Schaffens die Dialekte selber anklingen höre, so gebe ich diese Anklänge voll oder schwach, wie sie sich just bemerkbar machen“. Anzengruber war ein geborener Wiener, doch sein Vater stammte aus Oberösterreich; er hatte also seine Mundart aus zweiter Hand. Machte man ihm Vorhaltungen über Inkorrektheiten, so erwiderte er. „Das is mir alles ans, i schreib amal so und net anders!“ Rosegger, der sich in den Vorreden zu seinen „Schriften in steirischer Mundart“ über diese Fragen recht eingehend ausgesprochen hat, bekennt dort, daß er sich gleich anfangs von der Absicht habe leiten lassen, seinen Lesern das Lesen und Verstehen recht leicht zu machen. Später habe er sich etwas strenger in den einzelnen Ausdrücken und im Satzbau an die Mundart seiner besonderen Heimat gehalten. Dennoch, so sagt er im Geleitwort zur zweiten Auflage seiner Gedichte „Zither und Hackbrett“, werde der Leser auch in letzterer scheinbar sich widersprechende Abweichungen finden, die wie Inkonsequenz aussehen. Dazu bemerke er, daß schier in jedem Thale seines Berglandes die Mundart der Bewohner ihre Eigentümlichkeit habe. „Die Dichtungen sind nicht bloß an verschiedenen Orten, sondern auch zu sehr verschiedenen Zeiten entstanden, die einen beziehen sich auf ein jüngeres, die anderen auf ein älteres Geschlecht, die einen waren ursprünglich für einen engeren, die anderen für einen weiteren Kreis berechnet. Das sind die Gründe der abweichenden Schreibweise. Jede der Schreibweisen ist in ihrer Art richtig.“

Wenn aber schon ein verhältnismäßig enger Bezirk, wie das weltabgelegene Waldgebirge der Steiermark, so viel verschiedene Schattierungen des einen steirischen Dialektes aufweist, um wieviel mehr muß dies der Fall sein, wenn es sich um ein so großes, breites Sprachgebiet handelt wie das der plattdeutschen Sprache, die von Haus aus eine ebenbürtige Schwester des Hochdeutschen war und welche mehr als hundert Dialekte umfaßt. Gehört doch diesem Sprachgebiete, in welchem seit dem Siege der Lutherschen Bibelsprache die Gebildeten freilich meist hochdeutsch reden, eine ganze Reihe großer Handelsstädte mit tausendjährigem Weltverkehr an und ist doch auch die ländliche Bevölkerung, soweit sie am Meeresstrande wohnt, vielfältiger Berührung mit fremdem Schiffer- und Fischervolke ausgesetzt! Kein Dialekt aber bleibt von solchem Verkehr unberührt. Das Plattdeutsch, in dem ein Vierländer Gemüsebauer mit den Hamburger Köchinnen feilscht, ist gar verschieden von dem, welches der einsame Bienenzüchter in der Lüneburger Heide mit den Seinen redet. Die Ausdrucksweise eines friesische Fischers weicht erheblich von den wiederum untereinander sehr verschiedenen Mundarten ab, die in den Gesindestuben der Bauerngüter von Holstein, Mecklenburg, Pommern, Ost- und Westpreußen heimisch sind. Und welche Abstufungen erlebt nun gar jede Volksmundart in den Städten durch die verschiedenartigste Mischung derselben mit dem Hochdeutschen je nach Herkunft, Bildung, Altansässigkeit oder Zugewandertheit der Bewohner!

So war es daher nur natürlich, daß der holsteiner Lyriker Klaus Groth in seinem „Quickborn“ ein ganz anderes Platt schrieb als der mecklenburger Humorist Fritz Reuter, und ferner, daß der erstere, der für seine Lyrik eine einheitliche und rein gestimmte Mundart brauchte, mit seinem heimatlichen Dialekt anders verfuhr als Reuter in seinen Erzählungen, in welchen fast immer Vertreter der verschiedensten Bildungsschichten nebeneinander auftreten. Heute sieht dies jeder Billigdenkende ein. Als Reuters „Läuschen und Rimels“ erstmals erschienen waren, fand jedoch sein Platt in anderen Gegenden des niederdeutschen Bodens lebhafte Beanstandung. Er erschien in Westfalen, in Holstein vielen als „unecht“, und Klaus Groth brachte diese Kritik in scharfer Weise zum Ausdruck. Reuter, schwer gereizt, antwortete darauf in einer noch schärferen Streitschrift und legte ferner seinen Standpunkt, der für die „Ollen Kamellen“ maßgebend wurde, in der Vorrede zur vierten Auflage der „Läuschen und Rimels“ dem größeren Publikum dar. Er bedauerte die buntscheckige Verschiedenheit der plattdeutschen Idiome, die es mit sich bringe, daß jedes plattdeutsche Buch sogar in vielen Gegenden Niederdeutschlands fremdartig berühre. Er wies aber energisch das Ansinnen zurück, daß irgend einer dieser Dialekte verlangen dürfe, in Zukunft für alle plattdeutschen Dichter als maßgebendes Vorbild zu wirken. Er wies auf die Zeiten zurück, in welchen noch jene gemeingültige plattdeutsche Schriftsprache geherrscht habe, auf die alle heutigen plattdeutschen Dialekte zurückweisen. Was jede von diesen mit der alte Schriftsprache gemeinsam habe, das solle nunmehr jeder plattdeutsche Schriftsteller als das Charakteristische herausarbeiten. „Wir müssen das Unwesentliche über Bord werfen und das Zufällige der Aussprache dem Leser überlassen.“ Mit der neue Ausgabe seiner kleineren Dichtungen habe er den Anfang gemacht. Er wisse, daß man ihm mit Recht viele Inkonsequenzen vorwerfen könne, aber das schade nicht. Er fühle, daß er auf gutem Wege sei, denn er liebe seine Sprache mehr als seinen Dialekt. Er hätte hinzufügen können, ihm sei die poetische Treue in der Charakteristik wichtiger als philologische Accuratesse – und wir wissen, daß, weil dies so war, er alle anderen plattdeutschen Erzähler hinter sich gelassen hat in seiner Wirkung auf die ganze Nation.

Die Leser der „Gartenlaube“ werden bei der Erörterung diese Frage gewiß gern auch erfahren, welche Stellung zu ihnen derjenige Dichter einnimmt, dem unser Blatt in den letzten Jahren die so lebensechten Hochlandsromane „Der Klosterjäger“, „Der laufende Berg“ usw. zu danken gehabt hat. Auch Ludwig Ganghofer sind nicht Beanstandungen der Echtheit seiner mundartlichen Schreibweise erspart geblieben. Erst kürzlich hatte ich Gelegenheit, mit ihm eingehend über diese Lebensfrage seines Dichtens zu sprechen.

„Ich habe“, so führte er aus, „in meinem ersten Werke

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verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1897, Seite 514. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_514.jpg&oldid=- (Version vom 19.2.2017)