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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897)

Fuhrleute und Schiffer konnten auch wohl in des Knaben Brust die Sehnsucht erwecken. Hinaus in die Ferne! Und so ist es auch erklärlich, daß überall, selbst in den weitesten Fernen, „Mündener Jungen“ sich eine zweite Heimat suchten. Sie sind hinausgezogen, viele fanden auch wohl eine Stätte, wo es ihnen gut ging, wo sie ein Nestlein bauten … doch eine neue Heimat fanden sie selten. Denn des Menschen Herz hängt immer an der Stätte, wo die Mutter uns hegte und pflegte… Wo das Vaterauge liebend auf uns ruhte, wo wir der Jugend Lust genossen. Der Heimat vergißt man nimmer.

Es war ein glücklicher Gedanke, die Feier eines Heimatsfestes anzubahnen, den in der Ferne weilenden Mündenern zuzurufen: Kehret zurück zur alten, schönen Heimat! Wir wollen mitsammen einmal der Heimat Glück genießen, der entschwundenen Jugendtage gedenken! Der Ruf drang hinaus über die Berge ins deutsche Vaterland, hinaus über die Meere bis in die fernsten Welten. Und im Herzen der Mündener Jungen ward aufs neue die Sehnsucht geweckt, und tausendfach erscholl die Antwort. Wir kommen! Nicht Meere sollen uns trennen, wir wollen uns wieder der Heimat freuen.

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Festwagen mit dem von Nixen umgebenen
 Turm der Tillyschanze.
Vom Heimatsfest zu Hannoversch-Münden: Wagen der Mundenia.
Nach dem Leben gezeichnet von A. Wagner.

Das alte Münden ist eine geschichtlich bedeutende Stadt, es blickt zurück auf eine lange, auf eine bewegte Vergangenheit. Durch seine Lage zu einem Handelsplatz geschaffen, durch Privilegien, die wohlgesinnte Fürsten ihm gaben, gestärkt, errang es einen klangvollen Namen in der Geschichte des nord- und mitteldeutschen Handels. – Es war Residenz der Herzöge zu Braunschweig-Lüneburg. In dem alten Fürstensitz an der Werra lebten Herzog Wilhelm und der ritterliche Herzog Erich. – Es kamen aber auch Tage der Not. Zur Frühlingszeit im Jahre 1626 lag Tilly vor den Thoren. Am dritten Tage der Pfingsten ward die Stadt im Sturm genommen, und am anderen Morgen lagen dreitausend Leichen in Mündens Straßen. Die Schanzen auf dem Rabanenkopfe, die Reste der Stadtmauern und Türme erzählen uns noch heute von den Schrecknissen des Dreißigjährigen Krieges, die „Totenwiese“ auf dem Hühnerfelde, die Schlachtfelder von Speele, Lutterberg und Sandershausen zeugen davon, wie heiß unsere Thäler im Siebenjährigen Kriege umstritten waren, siebenmal ward Münden in diesem Kriege von den Franzosen genommen, und siebenmal mußten sie es wieder räumen.

Diese wildbewegte Vergangenheit forderte, die Geschichte der Stadt bei dem Heimatsfeste in großen Zügen zu entrollen. Und dieser Aufgabe diente der historische Festzug.

Meister Johannes Gehrts zu Düsseldorf hat die Entwürfe geschaffen. Seine Entwürfe erhielten den Reiz von echten Kunstwerken. Eine „Mundeniagruppe“ eröffnete den Zug. Voran ritt ein Herold in mittelalterlichem Gewande, dann folgte, begleitet von wappentragenden Pagen, ein zweiter Herold, der das Stadtbanner trug. Der von vier Pferden gezogene „Mundeniawagen“ war ein in Gliederung und Gruppierung reiches und reizvolles Prunkstück. Unter herrlichem Baldachin thronte die „Mundenia“, ihr zu Füßen ruhten Mädchengestalten, durch Hammer und Zange sowie durch den Merkurstab Industrie und Handel darstellend. Am vorderen Teile des Wagens verkörperte eine Frauengestalt die Schiffahrt; ein Ruder hielt sie in der Hand und ein Anker lehnte ihr zur Seite. – Dann zogen lebenswahr und packend gestaltete Bilder aus der Geschichte der Stadt am Auge des Beschauers vorüber. Man sah zunächst einen Germanenzug, in dem ein Jagdzug, Schiffahrt, Fischerei, Priesterinnen, Sonnwendmaidgefährt mit dem Opferstein dargestellt wurden. Von weiteren Gruppen sind hervorzuheben: Die Einführung des Christentums an den Gestaden der Weser, freiwilliger Anschluß Mündens an Braunschweig-Lüneburg unter Herzog Otto Puer 1246, Mündens Handel zur Hansazeit im 15. Jahrhundert, Einzug Herzog Erichs des Aelteren von Braunschweig-Lüneburg mit seiner Gemahlin in Münden, Dreißigjähriger Krieg. – Auf der Stätte, wo Tillys Geschütze standen, von denen die Bresche in die schützende Stadtmauer gelegt ward, auf der Höhe des Rabanenkopfes, erhebt sich heute der herrliche Aussichtsturm. Er trägt kurz die Bezeichnung „Tillyschanze“. Mit ihm ragt die Vergangenheit Mündens in die Gegenwart hinein. Und so ward der historische Festzug mit einem Bilde aus der Gegenwart geschlossen, ein Festwagen trug, von Flußnixen umgeben, eine Nachbildung des Turms auf der Tillyschanze. Fr. Henze.

Daphnis und Chloë. (Zu unserer Kunstbeilage.) In der Litteratur des klassischen Altertums nahm die Hirtendichtung eine hervorragende Stellung ein. Laut einer griechischen Sage war Daphnis, der Sohn des Hermes und einer Nymphe, ihr Schöpfer. Eine Nymphe, deren Liebe er verschmäht hatte, strafte ihn mit Blindheit. Der unglückliche Hirte irrte nunmehr an den Abhängen des Aetna und tröstete sich in seinem Mißgeschick mit Flötenspiel und Gesang. In der späteren Zeit war Daphnis ein Name, den die Hirten oft ihren Söhnen beilegten, wie sie auch ihre Töchter gern Chloë (d. h. die Grünende, Keimende nannten.) Daphnis und Chloë sind auch die Namen der Helden eines Schäferromans, der vermutlich im 4. Jahrhundert n. Chr. von dem griechischen Dichter Lyngus geschrieben wurde. Beide entstammten edlen Geschlechtern, wurden aber als Kinder ausgesetzt und von Hirten gefunden und großgezogen. Daphnis weidete Ziegen und Chloë eine Schafherde, beide lernten sich kennen und lieben, ihrer Vereinigung aber stellten sich mannigfaltige Hindernisse in den Weg, bis endlich beide ihre Eltern wiederfanden und Hochzeit halten durften. Unsere Kunstbeilage stellt dieses Liebespaar dar. Im holden Lenz haben die Rastenden Blumen gepflückt und Kränze gewunden, um mit ihnen die Bildsäulen der Nymphen und des Hirtengottes Pan, die ihr stilles Liebesglück beschützen mit frommer Ehrfurcht zu schmücken. *     


☛      Hierzu Kunstbeilage XVIII: „Daphnis und Chloë.“ Von F. Gérard.

Inhalt: [ Inhalt der Wochen-Nr. 33/1897 ]



Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner in Stuttgart. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig.
Druck von Julius Klinkhardt in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1897). Leipzig: Ernst Keil, 1897, Seite 564. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1897)_564.jpg&oldid=- (Version vom 5.7.2023)