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Ambrosius Marthaus in Oschatz,
Satteldecken-, Filz- und Filzwarenfabriken.

In der Neuzeit, wo die Ansammlung großer Kapitalien in staunenerregender Weise vor sich geht, ist man gewöhnt, große Etablissements wie Pilze aus der Erde wachsen zu sehen. Das war früher nicht der Fall, und so finden wir auch jetzt noch Beispiele, wie Fabriken von Weltruf aus kleinsten Anfängen hervorgingen, allmählich aber durch umsichtige Geschäftsleitung, Fleiß und eiserne Ausdauer, durch weise berechnete Ausnutzung der jeweiligen Konjunkturen, sowie stetigen Fortschritt auf dem Gebiete der zweckmäßigsten Erfindungen zu einer großartigen Ausdehnung und Leistungsfähigkeit emporgehoben wurden.

Ein solches Etablissement von Weltruf sind die Satteldecken-, Filz- und Filzwarenfabriken von Ambrosius Marthaus in Oschatz. Ehe wir jedoch eine nähere Beschreibung der Anlagen und Einrichtungen desselben geben, sei uns zunächst ein geschichtlicher Rückblick gestattet, wobei wir uns einer zum 50jährigen Jubiläum der Firma herausgegebenen Festschrift als Unterlage bedienen.

Das Geschäft wurde, wie aus einer Bekanntmachung in den „Oschatzer gemeinnützigen Blättern“ hervorgeht, am 10. Mai. 1834 von Ambrosius Marthaus in Oschatz errichtet. Ueber den Begründer mögen folgende biographische Notizen hier Platz finden:

Geboren in drangsalvoller Zeit, am 1. Oktober 1808, mußte derselbe schon als 12jähriger Knabe, nach dem frühen Tode seines Vaters, in dem Geschäft mit thätig sein, da seine Mutter dasselbe unter nicht gerade günstigen Verhältnissen übernommen hatte und weiterführte. Nachdem er das Hutmacherhandwerk erlernte, begab sich der 17jährige Jüngling auf die Wanderschaft, bereiste vieler Herren Länder und kehrte nach Jahren zurück, um der Mutter von Neuem thatkräftige Unterstützung zu leisten. Im Jahre 1834 eröffnete er eine eigene Hutmacherwerkstatt, freilich unter schwierigen Umständen, denn er mußte bei den geringen Mitteln, welche ihm zu Gebote standen, die nötigen Räumlichkeiten zunächst mietweise beschaffen. Neue Ideen aber gaben dem Geschäfte einen mächtigen Impuls zum Aufschwunge. Der junge Meister ging bald daran, Filzschuhe nicht nur aus dem Ganzen, sondern auch aus Woll- und Haarfilz-Tafeln in verschiedenen Qualitäten, Formen, Farben und Aufmachungen, ähnlich den Lederschuhen, zu fertigen. Einige Kisten dieser Erzeugnisse brachte er mittelst Einspänner nach Berlin, um sich hier ein Absatzgebiet dafür zu schaffen. Dies gelang ihm in überraschendster Weise, denn die neuartigen Schuhe fanden allseitig Beifall und wurden flott verkauft. Mit Aufträgen reichlich versehen, kehrte der junge Unternehmer in die Heimat zurück und ging nun daran, dieselben auszuführen. Das war gewiß für ihn keine leichte Aufgabe, aber das Vertrauen seiner Abnehmer, die ihm gern die nötigen Mittel zur Anschaffung der Rohmaterialien und zur Zahlung der Arbeitslöhne freiwillig vorstreckten, ermöglichte es, die Bestellungen gut und pünktlich zu erledigen. Unter solchen Verhältnissen war das Unternehmen auf eine sichere Grundlage gestellt und ihm die Aussicht auf eine glückverheißende Zukunft eröffnet. Hierdurch zu neuen Unternehmungen ermutigt, verwirklichte Herr Ambrosius Marthaus die zweite Idee, auch Satteldecken verschiedener Art aus Filz herzustellen. Die Fabrikation dieses Artikels, der sich bei seiner vorzüglichen Ausführung ebenso ungeteilten Beifalls und günstiger Aufnahme zu erfreuen hatte, entwickelte sich rasch, und ist jetzt die Hauptbranche und eine Spezialität des Geschäftshauses.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Groß-Industrie des Königreichs Sachsen in Wort und Bild. Erster Theil. Eckert & Pflug, Kunstverlag, Leipzig 1892, Seite 245. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gro%C3%9F-Industrie_des_K%C3%B6nigreichs_Sachsen_in_Wort_und_Bild_Teil_1.pdf/261&oldid=- (Version vom 23.2.2020)