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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage

und was eine Gattin einem solchen Manne sein könnte und sollte! Wollen wir auch nicht lieber nach Hause gehen, guter Kurt? Du scheinst mir doch müde; wickle ja deinen Plaid recht um Dich, mein Kind! Heute darfst Du mir aber nicht mehr schreiben, wenn wir heimkommen, das sage ich Dir schon jetzt!“

Alles dies schwatzte sie vor vielen Leuten, und Viggi schlürfte es ein wie Honig, nannte seine Frau dafür „mein kühnes Weib“ oder „trautes Weib“ und stellte sich leidend oder feurig, je nach den Reden seiner kurzbeinigen Fama.

Den Seldwylern aber schmeckte alles das noch besser als Austern und Hummersalat, ja ein gebratener Fasan hätte sie schwerlich weggelockt, wo Viggi und Kätter sich aufspielten. Für Jahre waren sie mit neuem Lachstoff versehen; doch benahmen sich die abgefeimten Schlingel mit der äußersten Vorsicht, um das Vergnügen zu verlängern, und es entstand daraus eine neue Uebung, nämlich einen tollen Witz vorzuschieben und scheinbar über diesen zu lachen, wenn die Mundwinkel nicht mehr gehorchen wollten. Es wurde stets ein Vorrath solcher Schwänke in Bereitschaft gehalten, vermehrt und verbessert, und gedieh zuletzt zu einer Sammlung von selbständigem Werthe. Es gab Seldwyler, Handwerker und Beamte, welche Tage, ja Wochen über der Erfindung und Ausfeilung eines

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Gottfried Keller: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage. Göschen, Stuttgart 1874, Seite 208. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Leute_von_Seldwyla_3-4.pdf/216&oldid=- (Version vom 31.7.2018)