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Gottfried Keller: Kleider machen Leute. In: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage, Band 3

sagte, und alsobald verfügte sich der Waagwirth persönlich in den Keller, um eine ausgesuchte Flasche zu holen; denn es lag ihm alles daran, daß man sagen könne, es sei etwas Rechtes im Ort zu haben. Als der Gast von dem eingeschenkten Wein wiederum aus bösem Gewissen ganz kleine Schlücklein nahm, lief der Wirth voll Freuden in die Küche, schnalzte mit der Zunge und rief: Hol’ mich der Teufel, der versteht’s, der schlürft meinen guten Wein auf die Zunge, wie man einen Dukaten auf die Goldwage legt!

Gelobt sei Jesus Christ! sagte die Köchin, ich hab’s behauptet, daß er’s versteht!

So nahm die Mahlzeit denn ihren Verlauf und zwar sehr langsam, weil der arme Schneider immer zimperlich und unentschlossen aß und trank und der Wirth, um ihm Zeit zu lassen, die Speisen genugsam stehen ließ. Trotzdem war es nicht der Rede werth, was der Gast bis jetzt zu sich genommen; vielmehr begann der Hunger, der immerfort so gefährlich gereizt wurde, nun den Schrecken zu überwinden, und als die Pastete von Rebhühnern erschien, schlug die Stimmung des Schneiders gleichzeitig um und ein fester Gedanke begann sich in ihm zu bilden. Es ist jetzt einmal, wie es ist, sagte er sich, von einem neuen Tröpflein Weines erwärmt und aufgestachelt; nun wäre ich ein Thor, wenn ich die kommende Schande

Empfohlene Zitierweise:
Gottfried Keller: Kleider machen Leute. In: Die Leute von Seldwyla, 2. vermehrte Auflage, Band 3. Göschen, Stuttgart 1874, Seite 18. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Leute_von_Seldwyla_3-4.pdf/26&oldid=- (Version vom 31.7.2018)