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später auch der längere Aufenthalt und Wirkungskreis des großen Perspektivlehrers Pietro della Francesca oder dei Franceschi aus Borgo San Sepolcro nicht verfehlen, den Künstlern Ferraras einen großen Impuls zu geben, in der nämlichen strengen und gelehrten Richtung sich fort zu entwickeln. Es ist wahr, daß Roger van der Weyden vom Hause Este Bestellungen erhielt (um 1451), aber den Schluß, welchen die Herren Cr. und Cav. (I, 514), daraus ziehen, daß Roger auf Galasso Gallassi(?), auf Tura und Cossa eingewirkt habe, will mir ebenso wenig einleuchten, als ihre Ansicht, daß Lorenzo Costa und Ercole Grandi junior von den Peruginern beeinflußt worden seien.

Leider ist man gewöhnt, die Ausübung der Kunst als etwas zufälliges, äußerliches, als etwas ganz unabhängiges von dem speciellen Charakter des Volkes, in dem dieselbe ausgeübt wird, zu betrachten und übersieht dabei die organischen Gesetze, nach denen das Leben der Kunst sich entwickelt, zu einem in bestimmten Grenzen sich bewegenden Organismus sich gestaltet. So wittern die Kunstschriftsteller hier vlämische, dort florentinische oder umbrische Einflüsse in Kunstschulen, die doch offenbar, wenn man sie gründlicher studirt, ihren speciellen Lokalcharakter stets bewahrt haben.

Daß Niederländer während ihres längeren Aufenthaltes in Italien nicht nur den Antonello da Messina, sondern vielleicht auch andere Italiener in das von der van Eyck’schen Malerschule angewandte Malsystem einweihten, gebe ich ja gerne zu, dasselbe fand bekanntlich auch in Deutschland statt. Es unterliegt keinem Zweifel, daß etliche venezianische Maler Bilder von Jan van Eyck und von Memling, welche in jenen Zeiten von den italienischen Kunstfreunden sehr geschätzt und daher auch gesucht waren, kopirten oder nachzuahmen trachteten; daß aber solche Aeußerlichkeiten uns zur Behauptung berechtigen sollten, die Flamländer hätten die Italiener den Naturalismus oder Realismus gelehrt, wie dies Baron von Rumohr

Empfohlene Zitierweise:
Giovanni Morelli (Pseudonym Ivan Lermolieff): Die Werke italienischer Meister in den Galerien von München, Dresden und Berlin. Verlag von E. A. Seemann, Leipzig 1880, Seite 127. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Werke_italienischer_Meister_(Morelli).pdf/146&oldid=- (Version vom 31.7.2018)