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nicht absprechen konnten, doch die Erfindung und die Zeichnung ihrem Francia vindiziren zu müssen glaubten. Diese Behauptung ist leider selbst von den florentinischen Herausgebern des Vasari (Ediz. Lemonnier IV, 243, 2) wiederholt worden, was bei diesen um so auffallender, ja unverzeihlich ist, als in der Sammlung der Handzeichnungen der Uffizigalerie die Federskizze zu jenem Bilde sich vorfindet; freilich unter dem falschen Namen des Filippino Lippi. (Von Philpot in Florenz photographirt, No. 763.[1].

Ich habe bereits bei einer andern Gelegenheit (s. meine Artikel über die Galerie Borghese in der von Lützow’schen Zeitschrift für bildende Kunst) meinen jungen Freunden durch einige Beispiele von Bildern in den florentinischen Sammlungen klar zu machen gesucht, wie der äußere Schulcharakter vom Lehrer auf den Schüler manchmal so streng sich fortpflanzt, daß es Neulingen in der Kunstwissenschaft gar oft begegnet, z. B. den Fra Filippo Lippi mit seinem Vorbilde Masaccio, diesen mit dem Filippino Lippi (Porträt No. 286 in der Uffizigalerie), den Fra Filippo


  1. Unweit dieser befindet sich daselbst eine andere Federzeichnung, die man ebenfalls dem Filippino zumuthet, während sie einem Schüler Costa’s, dem Chiodarolo angehört. (Von Philpot photographirt, No. 2847). Dieselbe stellt die h. Cäcilie vor dem Pronconsul dar und ist die Skizze zu Chiodarolo’s gutem Wandgemälde in der Kapelle der h. Cäcilie bei S. Jacopo maggiore in Bologna. Aus dieser Federzeichnung des Chiodarolo, wie auch aus den Federzeichnungen des Amico Aspertini ersieht man ganz deutlich, wie jene Bolognesischen Maler aus der s. g. Schule des Francia ihre Kunst hauptsächlich von Lorenzo Costa erlernten. Francia ist in den wenigen mir von ihm bekannten Zeichnungen, unter denen die mit dem Urtheile des Paris in der Albertina in Wien die vorzüglichste zu sein scheint, viel edler in den Formen und viel sorgfältiger und gewissenhafter in der Ausführung, und bewährt sich auch in denselben mehr als Modellirer denn als Maler. – Ich würde daher allen Kunstbeflissenen rathen, sich die eben angeführten Photographien zu verschaffen, um dieselben mit Muse studiren zu können. Dergleichen Studien von Handzeichnungen führen weit schneller und sicherer zur richtigen Erkenntniß der großen Meister und ihrer Schulen als die Betrachtung ihrer meistens übermalten und folglich entstellten Gemälde.
Empfohlene Zitierweise:
Giovanni Morelli (Pseudonym Ivan Lermolieff): Die Werke italienischer Meister in den Galerien von München, Dresden und Berlin. Verlag von E. A. Seemann, Leipzig 1880, Seite 275. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Werke_italienischer_Meister_(Morelli).pdf/294&oldid=- (Version vom 31.7.2018)