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1849.

Mai.

3) Donnerstag. Die Kommunalgarden, Künstlerkorps, Polytechniker, Turner waren durch die Trommel zusammengerufen worden. Man erwartete Unruhen wegen Verweigerung der aus Frankfurt erlassenen Reichsverfassung. Ich begab mich nach Tisch auf den Altmarkt, um zu sehen, wie die Sachen standen. Nicht lange nach meiner Ankunft daselbst bemerkte ich große Bewegung unter der Bevölkerung und unter den Garden. Man erfuhr, daß alle Bitten beim König vergeblich waren und die Annahme der Verfassung definitiv abgeschlagen worden sei. Ich sah, daß im oberen Stockwerk des Rathhauses eine Fahne (eine rothe) aus dem Fenster herausgesteckt wurde. Alsbald ertönte die Glocke der Kreuzkirche und läutete Sturm. Die Garden formirten sich in ihren Abtheilungen und zogen zum Theil nach verschiedenen Richtungen ab. Bald hörte man Schüsse und erfuhr, daß das Zeughaus angegriffen werde. Schützen (Soldaten) besetzten die Galerie[1], wie mir erst später gesagt wurde. – Ich wußte nicht, wo Carl[2] sei, und wurde natürlich seinetwegen sehr besorgt. Die Frage, wo die Polytechniker aufgestellt wären, wurde sehr verschieden beantwortet. Einmal wurde mir mit großer Bestimmtheit versichert, sie seien mit gegen das Zeughaus angerückt und mehrere von ihnen seien gefallen. Das war schon gegen Abend. Ich suchte vom Neumarkt aus gegen das Zeughaus vorzudringen, um Carl zu suchen. Hier war’s unmöglich, weit zu kommen. Nun ging ich die Moritzstraße hinauf und in Begleitung Herrn Schmieders (Sohn unsers Pfarrers in Rom und Lehrer in der Blochmannschen Anstalt), dem ich begegnet war, ging ich durch die große Schießgasse gegen das Zeughaus. Ueberall wurden schon Barrikaden gebaut. In der kleinen Schießgasse konnten wir nur langsam vorwärts kommen, näher am Zeughaus konnte man nicht weiter. Von Polytechnikern (unter denen mein Carl war) war nichts zu sehen und zu hören. Vom Zeughaus aus wurde geschossen. Kleinere Abtheilungen von den Freikorps schienen den Ausgang der Schießgasse besetzt zu haben. Ich sah einen bewaffneten jungen Künstler mit einigen Kameraden sich gegen das Haus wenden, wo Stadtrath Rachel wohnte, und Einlaß begehren. Als das Thor nicht geöffnet wurde, schlug er das Fenster ein. – Nach allen vergeblichen Bemühungen, von Carl etwas zu erfahren, ging ich (es war nun schon Abend) nach Hause. Ich sagte nichts von den beunruhigenden Gerüchten, die mir wegen der Polytechniker zu Ohren gekommen waren. Nach ängstlichem Harren wurde uns 1/210 Uhr Abends von einem ganz jungen Menschen ein Zettelchen gebracht, darauf stand mit Bleistift geschrieben: „Seid meinethalb unbesorgt, wir (die Polytechniker) sind nach der Post kommandirt worden, die wir als neutrales Gebiet besetzt halten. Morgen werden wir abgelöst. Carl.“ Das war eine große Beruhigung, und wir hatten während der Nacht keine weitere Störung weder nach innen noch nach außen zu erfahren.

4) Freitag. Am frühsten Morgen hörte man Schüsse. Inspektor Schmidt[3] kommt zu mir und sagt, daß an der Galerie gestern geschossen worden sei. Wir gingen zusammen hinein, obwohl das jetzt schon wegen der vielen Barrikaden, die alle Straßen-Zu- und Ausgänge versperrten, nicht mehr ungehindert geschehen konnte. In der Galerie fanden sich dann auch die andern Inspektoren und Galeriediener ein. Mehrere Kugeln waren von der Barrikade am Jüdenhof aus in die Galerie geschossen worden und einige Gemälde bereits verletzt. Die Soldaten hatten sich aber aus der Galerie wie aus dem Galeriehof zurückgezogen und hielten sich im Schloß in demjenigen Theile, welcher an die königlichen Gemächer grenzte, und in der Gewehrgalerie auf. Wir gingen ab und zu in den Galerieräumen. Zu machen war nichts. Einzelne Kugeln drangen während unserer Anwesenheit durch die Fenster, die wir nach Möglichkeit mit den Matratzen geschlossen hatten. Unter Mittag ging ich auf kurze Zeit nach Hause. Als ich auf unserer Straße mich befand, sah ich zu meiner größten Freude Polytechniker unter Prof. Franckes Anführung heranziehen, unter ihnen Carl. Die Polytechniker waren abgelöst worden und hatten sich nun, da sie die provisorische Regierung nicht als ihre rechtmäßige Behörde anerkannten, für aufgelöst erklärt. Nach Tisch sind wir Galeriebeamten wieder vollzählig in der Galerie und begeben uns erst gegen Abend weg. Bevor ich den Jüdenhof verlasse, spreche ich mit der Besatzung der Barrikade daselbst und fordere sie auf, die Galerie zu schonen, da von dort aus keine Feindseligkeit begonnen werde, indem das Militär sich aus der Galerie in das Schloß zurückgezogen habe. Der Anführer betrug sich honett, fragte mich nach meinem Namen und versicherte, sie würden nicht muthwilliger Weise die herrlichen Schätze in Gefahr bringen. – Mit Mühe gelangte ich mit Schmidt nach Hause, und wir sahen, daß es ferner unmöglich sein werde, die wohl verschlossene und nach Möglichkeit versicherte Galerie wieder zu betreten.


  1. Dieselbe befand sich noch im jetzigen Museum Johanneum.
  2. Schnorrs ältester Sohn, nachmaliger Generaldirektor der königl. bayrischen Staatsbahnen. Er war damals Schüler der Technischen Bildungsanstalt in Dresden.
  3. Der Galerieinspektor Carl Schmidt wohnte neben Schnorr auf der großen Plauenschen Straße.
Empfohlene Zitierweise:
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 1 (1892 bis 1896). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1892–1896, Seite 166. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Erster_Band.pdf/177&oldid=- (Version vom 20.5.2024)