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Von großem Eindrucke ist ferner eine auf dem Brühlschen Garten aufgestellte Camera obscura. In wahre Aufregung wird aber die ganze Familie versetzt, als sie zum ersten Male dazu kommt, einen Luftballon steigen zu sehen. Alle dazu getroffenen Vorkehrungen und Maßnahmen werden ausführlich geschildert. Die Trompeter blasen es in der Stadt aus, und eine neugierige Menschenmenge sammelt sich auf den Elbwiesen. Unter allgemeinem Staunen erhebt sich der Ballon; doch geht es auch nicht ohne Unglück ab. Der Ballon fängt Feuer, und mit Mühe wird der kühne Luftschiffer gerettet.

Vergnügen niederer Art bietet die „Bude“. Und doch erkennt die Schreiberin mit ausdrücklichen Worten die große Kunstfertigkeit an, mit der Hunde und andere Thiere abgerichtet sind.

Erfreulich ist es, wie die beiden Schwestern eifrig an ihrer Weiterbildung gearbeitet haben. Schon hatten sie mit dem Bruder eine Zeit lang Französisch studirt. Da entschlossen sie sich, bei einem Franzosen, Namens Mangeard, dessen Muttersprache zu lernen. Manchen Nachmittag haben sie in der „Grammaire“ tüchtig gearbeitet, Lesestücke übersetzt und Briefe entworfen. Zwischen ihnen und dem alten Herrn, den wir uns wohl mit Perrücke, Kniehosen und Schnallenschuhen, den Dreispitz unter dem Arme vorstellen dürfen, entwickelte sich ein sehr gemüthliches Verhältniß. Wie er öfter der Gast des biederen Vaters und der oft kränklichen Mutter war, so hat auch er einst die Schwestern artig und zierlich gebeten, bei ihm eine Gans zu verspeisen. Und gar lustig hätten sie dabei sein können, wenn nicht ein auch mit eingeladener Franzose über seine „Eroberungen beim Frauenzimmer“ albern geprahlt hätte.

Nachdem sie etliche Monate bei Monsieur Mangeard, der für die Stunde 12 Groschen nahm, studirt hatten, fanden sie doch, daß er etwas zu alt sei, denn er schlief manchmal in der Lektion ein; deshalb dankten sie ihn ab und nahmen eine Französin an.

Pflege der Bildung, Erheiterung des Gemüthes genossen sie aber noch häufig in deklamatorischen Vorträgen und in der „Komödie“. In jenen erscheint Schillers Name häufig; sein „Fridolin“, der Monolog aus der Jungfrau: „Lebt wohl, ihr Berge u. s. w.“ werden zum höchsten Entzücken der Zuhörer und Zuhörerinnen vorgetragen; schon werden auch Gedichte von Tiedge genannt.

Ganz besonders fleißig aber besuchten die Mitglieder der Familie das Theater, in dem für gewisse Tage zwei Plätze fest genommen wurden. Damals gab es in Dresden die vom Hofe unterhaltene italienische Oper, sowie die vom Hofe unterstützten zwei Schauspieler- und Sängergesellschaften von Franz und Joseph Seconda. Die Leiter waren Söhne eines in Dresden lebenden Delikatessenhändlers. Franz Seconda, ein wohlwollender, aber rein geschäftsmäßig arbeitender Direktor, pflegte im Schauspielhause Tragödie, Schauspiel und Lustspiel, während Joseph Seconda auf dem Linke’schen Bade die deutsche Oper vertrat.

Die Familie Winkler hat die italienische Oper, das Ballet und die deutsche Oper ganz selten besucht; zumeist die Vorstellungen der Franz Secondaschen Truppe. Von den etwa fünfzig Stücken, die erwähnt werden, sind nur noch wenige heute bekannt. Denn wie Prölß[1] ausführlich dargelegt hat, wurden damals weniger die Klassiker, als die Modedichter gepflegt. So beherrschen Iffland und Kozebue die Dresdner Bühne, und es begegnen uns Titel, wie die Jäger, das Landhaus an der Heerstraße, Pachter Feldkümmel, Pagenstreiche.

Alle romantischen Stoffe, wie Ritter Bayard oder eine Agnes Bernauerin, veranlassen die Tagebuchführerin zu langen Niederschriften, in denen auch die Leistungen der Schauspielertruppe beurtheilt werden. Viel Lob ernten Madame Schirmer, Madame Hartwig und namentlich der künstlerische Leiter des Ganzen, der Regisseur Opitz. Als dieser 1810 stirbt, ist sie, wie gewiß viele Dresdner, von seinem Begräbniß, das sie gesehen, ganz erfüllt; wehmüthig schreibt sie: Das war nun seine letzte Rolle! Von den Namen der Sänger und Sängerinnen, die sie nennt, wird noch manchem Leser der Sassarolis und der Frau Luigia Sandrini († 1869) bekannt sein.

Von Goethe hören wir nichts; von Schiller, dessen Braut von Messina sehr entzückt, viel zu selten. Shakespeares Hamlet und Macbeth werden bewundert, doch flößt dieser, der „noch barbarischer als Hamlet“ ist, Schrecken ein, denn „die Hexen machten es gar zu schlimm“.

Viel Lärm um nichts wird unter dem Titel „die Quälgeister“ gegeben, hat aber nicht sehr gewirkt. Bei den Stücken, die aufgeführt wurden, geschieht es oft, daß 2 oder 3 Theile an verschiedenen Abenden nach einander auf der Bühne erscheinen. So sieht sie einmal Columbus I. Theil; dann wieder Fridolin II: Der Brautschmuck.

Den Schauspielern wird der Beifall am Schluß oft in so lärmender Weise gebracht, daß die Ankündigung der nächsten Vorstellung in der Aufregung kaum gehört wird. Wenn die Mädchen aus dem Konzert oder dem Theater kommen, stellen sich die Stutzer reihenweise auf, um sie passiren zu sehen; beim nächtlichen Gange durch die Straßen werden sie trotz des begleitenden Dienstmädchens oder Taminos von


  1. Geschichte des Hoftheaters zu Dresden 1878. S. 296 und flg.
Empfohlene Zitierweise:
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 1 (1892 bis 1896). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1892–1896, Seite 225. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Erster_Band.pdf/236&oldid=- (Version vom 26.4.2024)