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V. Jahrgang          1896          Nr. 4.


Von diesen Blättern erscheinen jährlich 4 Nummern im Umfange von 1½ bis 3 Bogen. Bestellpreis für den Jahrgang 3 Mark. Die Vereinsmitglieder erhalten die Blätter unentgeltlich zugesandt.


Meister George Bährs Tod.
Von
Dr. Otto Richter.

Von dem Erbauer unsrer herrlichen Frauenkirche, dem Rathszimmermeister George Bähr, geht die Sage, daß er sich, des fortwährenden Kampfes um die Durchführung seines Werkes müde, durch Herabstürzen vom Baugerüste selbst den Tod gegeben habe. Wer das qualvolle Ringen kannte, zu dem der große Künstler durch die Mißgunst seiner Neider und den Kleinmuth seiner Gönner verurtheilt war, dem mochte ein solches ergreifendes Ende seines mühereichen Lebens nicht von vornherein unglaubhaft erscheinen. Da aber nie Jemand auch nur das geringste zur Begründung dieser Sage hatte beibringen können, würde sie allmählich doch wohl in Vergessenheit gerathen sein, wäre sie nicht aufgefrischt worden durch das Ergebnis der am 12. und 14. Juli 1854 erfolgten Aushebung der Gebeine Bährs auf dem Johanniskirchhofe. In der Absicht, seine irdischen Reste in die Katakomben der Frauenkirche überzuführen, öffnete man damals ein Grab, das als das seinige galt, und fand darin ein Gerippe, von dem der Schädel über der rechten Augenhöhlung einen vier Centimeter breiten Bruch zeigte und auch drei Rippen gebrochen waren. Es schien also mit dem Sturze seine volle Richtigkeit zu haben.

Demgegenüber hat aber bereits unser einstiges Vereinsmitglied Advokat Karl Gautsch in einem Vortrage am 8. Januar 1875 (s. Dresdner Anzeiger vom 18. Juni 1875) ausgeführt, daß die Nachricht von dem Sturze Bährs nichts als eine Sage sei, die erst hundert Jahre nach seinem Tode auftauche, während die gleichzeitigen Nachrichten eines solchen Ereignisses mit keiner Silbe gedächten. Die „Dresdnischen Merkwürdigkeiten“, eine Zeitschrift, die sich einen so aufsehenerregenden Fall sicher nicht hätte entgehen lassen, berichten in der Märznummer des Jahres 1738 ganz einfach: Den 16. Mart. starb allhier der bekannte Architectus und Raths-Zimmermeister, Herr George Bähr, im hohen Alter, welcher Baumeister von hiesiger neuen Frauen-Kirch gewesen.“ Die Inschrift auf dem Grabdenkmale lautet auch nur dahin, daß er „seelig“ gestorben sei, und ebenso giebt die amtliche Nachricht im Thurmknopfe der Frauenkirche den Todestag ohne jede Andeutung eines außergewöhnlichen Vorfalles an. Wenn nun sogar auch der Chronist Hasche, der doch sonst gern auf Grund mündlicher Ueberlieferung berichtet, 1784 in seinem „Versuch einer Dresdner Kunstgeschichte“ (Magazin der sächs. Geschichte I, 158) Bährs Leben kurz erzählt und ihn als einen der größten Baumeister feiert, ohne auch nur ein Wort von einem unnatürlichen Tode zu sagen, so ist dies der sicherste Beweis dafür, daß damals die Fabel von dem Sturze noch nicht erfunden war. Erst im Jahre 1834 taucht sie sonderbarerweise in den vom Stadtrath K. A. Friedrich verfaßten „Nachrichten über die Erbauung der Frauenkirche“ (S. 26) auf, die doch im Uebrigen aktenmäßig und zuverlässig sind. Schon 1841 bemächtigt sich ein Novellist (J. P. Lyser) und 1857 ein zweiter (Fr. Lubojatzky) des dankbaren Stoffes. Gegenüber jenem Ausgrabungsergebniß aber warf Gautsch mit Recht die Frage auf, ob denn die gefundenen Gebeine wirklich diejenigen Bährs waren?

Trotz alledem hat Richard Steche, auf weiter nichts als den von dem Maler Professor Bähr, einem Nachkommen des Meisters, aufgenommenen Ausgrabungsbericht gestützt, die Sage von dem Sturze Bährs für


Empfohlene Zitierweise:
Dr. Otto Richter (Hrsg.): Dresdner Geschichtsblätter Band 1 (1892 bis 1896). Wilhelm Baensch Dresden, Dresden 1892–1896, Seite 281. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dresdner_Geschichtsbl%C3%A4tter_Erster_Band.pdf/292&oldid=- (Version vom 13.5.2024)