Seite:Edith Stein - Kreuzeswissenschaft.pdf/081

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Läuterung des Willens

Süßigkeit und geistigem Ergötzen fehlt, zu denken, daß einem Gott fehle, oder wenn man solchen Genuß verspürt, daß man darum im Besitz Gottes sei; und noch törichter wäre es, wenn man diese Süßigkeit in Gott suchen und sich daran erfreuen würde, denn das hieße Gott nicht mit einem in der Leere des Glaubens begründeten Willen suchen, sondern in geistigem Genuß, der etwas Geschaffenes ist ...., und so würde Gott nicht mehr rein über alle Dinge geliebt: denn das heißt die ganze Kraft des Willens auf Ihn allein richten .... Darum kann der Wille unmöglich zur Süßigkeit und dem Ergötzen der göttlichen Vereinigung gelangen, wenn das Begehren nicht leer ist von jedem besonderen Genuß. Das will der Psalm sagen: Dilata os tuum et implebo illud („Öffne deinen Mund, und Ich will ihn füllen“. Ps. 80,11). Das Begehren ist der Mund des Willens; und dieser Mund öffnet sich, wenn ihn nicht der Bissen irgend eines Genusses daran hindert.... Der Mund des Willens muß immer für Gott offen gehalten werden, leer von jedem Bissen des Begehrens, damit Gott ihn fülle mit der Süßigkeit Seiner Liebe....“[1]

Das wird nun für die verschiedenen Arten von Gegenständen nachgewiesen, in denen das Begehren Befriedigung suchen kann. Die Freude kann sich auf zeitliche Güter richten: Reichtum, Ehre, Nachkommenschaft u.dgl. Sie müssen wohl nicht notwendig zur Sünde verleiten, führen aber doch in der Regel zur Untreue gegen Gott. Man darf sich nur daran freuen, wenn man Gott besser durch sie dienen oder sicherer zum ewigen Leben gelangen kann. Weil man aber „nicht klar wissen kann, ob man Gott so besser dient, so ist es Eitelkeit, einer bestimmten Freude an diesen Dingen Raum zu geben....[2] Der Hauptnachteil, den die Hinneigung des Willens zu diesen Dingen mit sich bringt, ist die Abwendung von Gott. Sie vollzieht sich in vier Stufen, die zusammengefaßt sind in dem Schriftwort: „Der Liebling (Israel) ward fett und schlug aus; er ward fett und dick und breit; da verließ er Gott, seinen Schöpfer, und wich ab von Gott, seinem Heil“ (Deut. 32,15). Das Fettwerden bezeichnet eine Abstumpfung des Verstandes Gott gegenüber. Sobald „die geistliche Seele nur im geringsten ihre Freude in etwas sucht ...., wird sie verfinstert gegenüber Gott, und es umwölkt sich die vorher ungetrübte Urteilskraft.... Vor diesem Schaden schützen weder die Heiligkeit noch das gesunde Urteil des Menschen, wenn er der Begierde und Freude an den zeitlichen Dingen Raum gibt“[3]. „Er


  1. a. a. O. B. III Kap. 46, E. Cr. I 406 (ebenfalls vorher nicht veröffentlicht).
  2. a. a. O. B. III Kap. 17, E. Cr. I 316 f.
  3. a. a. O. B. III Kap. 18, E. Cr. I 320 f.
Empfohlene Zitierweise:
Edith Stein: Kreuzeswissenschaft. Editions Nauwelaerts, Louvain 1954, Seite 81. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Kreuzeswissenschaft.pdf/081&oldid=- (Version vom 3.8.2020)