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Läuterung des Willens

Im Gegensatz zu den äußeren, natürlichen und sinnlichen Gütern haben die sittlichen schon in sich einen Wert, der erfreut; darüber hinaus als Mittel und Werkzeug zu Gütern, die sie dem Menschen verschaffen. Die Tugenden verdienen um ihrer selbst willen Wertschätzung und Liebe; sie bringen überdies zeitliche Vorteile. Darum „kann der Mensch – menschlicherweise gesprochen – sich an ihrem Besitz freuen und sie üben um dessentwillen, was sie an sich sind, wie um des Guten willen, das sie ihm menschlich und zeitlich eintragen“. Das taten die Fürsten und Weisen des Altertums. Sie schätzten und übten die Tugenden und Gott lohnte es ihnen mit zeitlichem Segen, da sie „wegen ihres Unglaubens keinen ewigen Lohn empfangen konnten“. Der Christ aber, obwohl er sich in dieser ersten Weise der sittlichen Güter und der guten Werke erfreuen muß, die er in der Zeit vollbringt, weil sie ihm die erwähnten zeitlichen Güter verschaffen, darf doch nicht dabei stehen bleiben.... Weil er im Besitz des Glaubenslichtes auf das ewige Leben hofft und weil ohne dies für ihn nichts, weder hier noch dort, einen Wert hat, soll er vielmehr einzig und wesentlich in der zweiten Weise sich des Besitzes und der Ausübung der sittlichen Güter erfreuen, nämlich indem er seine Werke aus Liebe zu Gott vollbringt und dadurch das ewige Leben gewinnt. So soll er sein Auge immer allein darauf richten und sich daran freuen, Gott zu dienen und zu ehren durch ein gutes Leben und Übung der Tugenden. Ohne diese Absicht hat die Tugend vor Gott keinen Wert, wie wir an den zehn Jungfrauen des Evangeliums sehen....“ (Matth. 25, 1 ff.). „Der Christ darf nicht daran seine Freude finden, daß er gute Werke verrichtet und ein gutes Leben führt, sondern daß er das mit Ausschluß jeder andern Absicht allein aus Liebe zu Gott tut“[1].

Aus der verkehrten Freude an den eigenen guten Werken erwachsen Pharisäerhochmut und Prahlerei, Geringschätzung anderer, Verlangen nach menschlichem Lob, und dadurch verscherzt man den ewigen Lohn. Selbstgefällige Freude am eigenen Werk ist Ungerechtigkeit und Verleugnung Gottes, der der Urheber eines jeden guten Werkes ist. Solche Seelen kommen in der Vollkommenheit nicht voran. Wenn sie in ihren Übungen keine Befriedigung mehr finden, weil Gott ihnen das trockene Brot der Starken reicht, werden sie mutlos und sind nicht imstande, es zu essen: sie „verlieren die Beharrlichkeit, in der die Süßigkeit des Geistes und der innere Trost beruht“. Sie verfallen gewöhnlich auch der Täuschung, die Übungen und Werke, die ihnen gefallen, für besser zu halten als


  1. a. a. O. B. III Kap. 26, E. Cr. I 350 ff.
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Edith Stein: Kreuzeswissenschaft. Editions Nauwelaerts, Louvain 1954, Seite 87. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Kreuzeswissenschaft.pdf/087&oldid=- (Version vom 3.8.2020)