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Die Seele im Reich des Geistes und der Geister

Vereinigung kann man nicht gelangen ohne gründliche Reinigung .... Wer sich daher weigert, in die Nacht einzugehen, um den Geliebten zu suchen, seinen Eigenwillen zu verleugnen und sich selbst abzusterben, wer Ihn nur im Bett der Bequemlichkeit suchen will, .... wird Ihn niemals finden....“[1]

In der beseligenden Nacht wurde die Seele mit ungestörter und verborgener Beschauung beglückt, die dem sinnlichen Teil so fremd und unverständlich ist, daß kein Geschöpf damit in Berührung kommen und sie vom Wege der Liebesvereinigung ablenken kann. Durch die geistige Finsternis dieser Nacht wurden alle Kräfte des höheren Teiles der Seele ins Dunkel versetzt. So vermag sie nichts mehr wahrzunehmen und gibt sich keiner Sache außer Gott hin, um zu Ihm zu gelangen. Sie wird frei von allen Formen, Bildern und Wahrnehmungen, die ein Hindernis für die dauernde Vereinigung mit Gott sind. Sie kann sich auf keine Erleuchtung des Verstandes und auf keinen äußeren Führer mehr stützen, um an ihnen Trost und Befriedigung zu finden. „Denn die dunklen Finsternisse haben sie alles dessen beraubt. So ist nun die Liebe allein, die in dieser Zeit entbrennt und das Herz dem Geliebten zuwendet, bewegende Kraft und Führerin der Seele und hebt sie, ohne daß sie weiß wie und auf welche Weise, auf einsamem Wege im Fluge zu Gott empor“[2].

Hier bricht die Abhandlung von der dunklen Nacht ab. Von den acht Strophen des Gesanges hat sie nur sechs erläutert. Diese Erläuterung hat für uns doppelte Bedeutung: sie gibt uns weitere Aufschlüsse über das Wesen des Geistes, und sie zeigt uns, daß die dunkle Beschauung zugleich Sterben und Auferstehung zu einem neuen Leben ist. Zu einer eigentlichen Darstellung und Klärung dieses neuen Lebens, des Lebens der Vereinigung, kommt es hier sowenig wie im Aufstieg.


b) Die Seele im Reich des Geistes und der Geister

Bau der Seele; Gottes Geist und geschaffene Geister

Die Seele steht als Geist in einem Reich des Geistes und der Geister. Sie selbst ist eigentümlich gestaltet: sie ist nicht mehr nur als


  1. a. a. O. Schluß der 2. Strophe, Kap. 24, E. Cr. II 131 f.
  2. a. a. O. Str. 3, Kap. 25, E. Cr. II 133.
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Edith Stein: Kreuzeswissenschaft. Editions Nauwelaerts, Louvain 1954, Seite 135. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Kreuzeswissenschaft.pdf/135&oldid=- (Version vom 7.1.2019)