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Macht von einem Ende zum andern (Weish. 8,1). Und dieser Dein eingeborener Sohn, o barmherzige Hand des Vaters, ist die zarte Berührung, mit der Du mich in der Kraft Deines Feuerbrandes getroffen und verwundet hast.

O zarte Berührung, Wort, Sohn Gottes, der Du in der Zärtlich­keit Deines göttlichen Seins in erhabener Weise das Wesen meiner Seele durchdringst! Und während Du sie ganz zart berührst, läßt Du sie vollkommen in Dir, in göttlicher Süßigkeit und Wonne auf­gehen, wie man sie weder im Lande Kanaan gehört, noch in Teman gesehen hat (Bar. 3,22). O überaus zarte und gegen mich ganz ein­zigartige Berührung des Wortes! Du hast durch den Schatten Dei­ner Macht und Kraft, der vor Dir herging, die Berge umgestürzt und die Felsen auf dem Berge Horeb zermalmt und ließest Dich in ganz sanfter und fühlbarer Weise vom Propheten im Säuseln eines gelinden Windes wahrnehmen! (3 Reg. 19,11-12) O zartes und gelindes Lüftchen, sag mir doch, wie Du ein zartes und gelindes Lüftchen warst; wie Du so zart berühren kannst, da Du, Wort, Sohn Gottes, so furchtbar und mächtig bist! O selig und überselig die Seele, die Du, der Du so furchtbar und mächtig bist, so sanft und milde berührst! Verkünde es der Welt – doch nein, sage es nicht, denn sie hat kein Verständnis für dieses sanfte Lüftchen.... O mein Gott und Leben! nur die werden Dich in Deiner sanften Be­rührung erkennen und wahrnehmen, die selber durch Losschälung von der Welt zart geworden sind, da das Zarte nur dem Zarten be­gegnet; und so können sie es empfinden und genießen.... O aber­mals und vielmals zarte Berührung, um so wirksamer und fühlbarer, je zarter Du bist! Denn durch die Kraft Deiner Zärtlichkeit befreist .... Du die Seele von allen Berührungen der Geschöpfe, einst sie mit Dir und nimmst sie für Dich allein in Besitz. Du läßt in der Seele eine so wohltuende Wirkung und Empfindung zurück, daß ihr jede Berührung der Geschöpfe .... plump und trügerisch vorkommt.... Schon ihr Anblick erregt in ihr Widerwillen, und es bereitet ihr Pein und große Qual, davon zu reden oder mit ihnen in Berührung zu kommen“.

Mit der Zartheit wächst die Fassungskraft, mit der Einfachheit und Feinheit die Fülle der Mitteilung. Das Wort ist unendlich ein­fach und zart, die Seele in diesem Stande durch ihre Lauterkeit und Reinheit ein Gefäß von großem Umfang und Inhalt. Und je feiner und zarter die Berührung ist, um so mehr Wonne bereitet sie. Diese göttliche Berührung ist ohne Form und Gestalt, weil das gött­liche Wort sich keiner Art einfügt. Sie ist wesenhaft, d.h. sie voll­zieht sich in der Seele durch Gottes einfaches Wesen und ist darum

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Edith Stein: Kreuzeswissenschaft. Editions Nauwelaerts, Louvain 1954, Seite 178. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Kreuzeswissenschaft.pdf/178&oldid=- (Version vom 7.1.2019)