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wieder abnehmen wie früher, sondern mehrt ihre Verdienste. „.... Neben dem Bewußtsein der erhabenen Gnade, die sie emp­fangen hat, fühlt sie, daß Gott sorgfältig darauf bedacht ist, sie mit Seinen köstlichen, zärtlichen und liebevollen Worten zu beglücken und bald durch diese, bald durch jene Gnade zu erhöhen; und so kommt es ihr vor, als habe Er sonst keine Seele auf der Welt, die Er erfreuen wolle, und nichts anderes, womit Er sich zu beschäftigen hätte, sondern sei ganz für sie allein da. Aus diesem Gefühl heraus bricht sie in die Worte der Braut im Hohenliede aus: ,Mein Geliebter ist mein und ich bin sein’ (Cant. 2,16)“[1].


c) Im Strahlenglanz der göttlichen Herrlichkeit
O lichte Feuerlampen,
In deren Strahlenfluten
Des Sinnes abgrundtiefe Höhlen,
So blind einst und so dunkel,
In Schönheit sondergleichen
Wärme und Licht vereint weih’n dem Geliebten.

Die Seele strömt über von Dank für die Gnaden, die sie aus der Vereinigung empfangen hat. Ihr Sinn und ihre Vermögen, einst blind und in Finsternis, sind nun durch liebeglühende Erkenntnisse hellleuchtend und entflammt. So kann sie dem Geliebten Licht und Liebe zurückschenken; darüber ist sie hochbeglückt.

In der wesentlichen Vereinigung mit Gott erkennt die Seele die Herrlichkeiten und Kräfte aller göttlichen Eigenschaften, die im einfachen göttlichen Wesen eingeschlossen sind: Seine Allmacht, Weisheit, Güte, Barmherzigkeit usw. „Jede dieser Eigenschaften ist dasselbe Wesen Gottes in einer einzigen Person, .... im Vater, im Sohn oder im Heiligen Geist; und so ist auch jede dieser Vollkommenheiten Gott selbst. Und da Gott ein unendlich göttliches Licht und ein unermeßlich göttliches Feuer ist, .... so leuchtete und brennt jede dieser Seiner zahllosen Eigenschaften und Kräfte wie Gott selbst. So ist jede dieser Eigenschaften eine Lampe, welche die Seele erleuchtet und mit Liebesglut erfüllt“. In einem einzigen Akt der Vereinigung empfängt die Seele die Erkenntnis der verschiede­nen Eigenschaften, und so „ist für sie derselbe Gott eine Fülle von Lampen zugleich, die sie in verschiedener Weise mit Weisheit erleuchten


  1. Ende der Erklärung zu Str. 2, Obras IV 43 ff. u. 150 ff.
Empfohlene Zitierweise:
Edith Stein: Kreuzeswissenschaft. Editions Nauwelaerts, Louvain 1954, Seite 181. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Kreuzeswissenschaft.pdf/181&oldid=- (Version vom 7.1.2019)