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Kreuzesnachfolge

von Rom ausgestattet, führte er eine zentralistische Verfassung ein: einen Generalrat, der Prioren, Prediger und Beichtväter zu ernennen hatte. Mit Teresias großen Töchtern Anna von Jesus und Maria vom hl. Joseph und mit den alten Freunden der Reform Luis de Leon Dominicus Bañez kämpfte Johannes für das Erbe der hl. Stifterin. Es waren ja auch seine Töchter, um deren inneres Leben es ging. In Avila, in Beas, in Caravaca, Granada und Segovia war unter seiner sorgsamen Pflege, seiner zugleich zarten und festen Hand in so vielen Seelen eine Blütenpracht entsprossen, wie er sie in seinem Brautgesang geschildert hat. Mußte es ihm nicht wie ein Scheitern seines Lebenswerkes vorkommen, wenn jetzt der Hagelschauer der Verfolgung auf diese Paradiesgärten niederfiel?

Er ist auf dem Kapitel zu Madrid dem Provinzial mit aller Bestimmtheit entgegengetreten, getreu seinem Grundsatz: „.... Wagt es niemand, die Oberen aufmerksam zu machen noch Einwendungen vorzubringen, wenn sie fehlen, .... trauen sich jene, die Einfluß haben und durch das Gesetz der Liebe und Gerechtigkeit dazu verpflichtet sind, nicht...., Einsprache zu erheben...., dann halte man den Orden für verloren....“ Dafür wurden ihm alle Ämter genommen und damit jede Macht, durch äußeres Eingreifen zu helfen. Man ging darauf aus, seine persönliche Ehre anzutasten und Handhaben zu bekommen, um ihn aus seinem Orden auszustoßen. Er bewahrte die vollkommenste Seelenruhe. Jetzt zeigt es sich, daß es echt war als er die Bitte aussprach, leiden zu dürfen und für nichts geachtet zu werden um des Herrn willen; daß es keine leeren Worte waren, als er schrieb, Christus habe am meisten gewirkt, da Er am Kreuz hing[1]. Nach dem Zeugnis des P. Elisäus von den Martyrern hat er einst bei der Auslegung der Paulusstelle: „Die Erweise meines Apostelamtes sind doch unter euch erbracht durch alle Geduld, durch Zeichen und Wunder und Kraft“ (2 Cor. 12,12) angemerkt, daß der Apostel die Geduld vor den Wundern anführe. „Damit wollte er sagen, daß die Geduld ein viel sichereres Zeichen des apostolischen Mannes sei als die Erweckung der Toten. Und ich kann versichern, daß Johannes vom Kreuz in dieser Tugend ein apostolischer Mann gewesen ist; denn er hat die Beschwerden, die über ihn kamen, mit unvergleichlicher Geduld und Ergebung getragen; und sie waren doch so empfindlich, daß sie die Zedern des Libanon stürzen konnten“[2].

Einen klaren Einblick in die Seelenverfassung des Heiligen gewähren


  1. Aufstieg, B. II Kap. 6, E. Cr. I 124.
  2. E. Cr. III 64, 13.
Empfohlene Zitierweise:
Edith Stein: Kreuzeswissenschaft. Editions Nauwelaerts, Louvain 1954, Seite 269. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Kreuzeswissenschaft.pdf/269&oldid=- (Version vom 9.3.2019)