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Abschnitt III

ist ihnen nicht gegeben, denn dazu bedarf es – mindestens – der Fähigkeit, zu spüren und von einem seelischen Inneren her, frei oder triebhaft, zu agieren.

Die unbeseelte Kreatur also vermag nicht sich zu bewahren, sondern muß bewahrt werden, sie kann nicht aktiv an ihrem Schöpfungsgedanken festhalten, dessen ungehemmte Verkörperung muß ihr von außen sichergestellt werden. Es muß ein Herr über die Schöpfung gesetzt sein, ein freies und vernunftbegabtes Wesen. Das Tier kann durch die blinden Reaktionen, deren es fähig ist, wohl sich bewahren, aber nichts anderes. Es bedarf einer Einsicht in die Zusammenhänge der Natur über den Umkreis des eigenen Lebens hinaus und einer Voraussicht möglichen Geschehens, um regelnd eingreifen zu können. Es ist nicht im einzelnen Falle notwendig, daß dieses Durchschauen und Vorausschauen die Form rationaler Erkenntnis annimmt. Es gibt ein rationales Erfassen der Zusammenhänge, das als Grundlage für das helfende Eingreifen genügt, und alles rationale Begreifen baut sich darauf auf. Aber die Möglichkeit, ins Licht der Erkenntnis erhoben zu werden, gehört dazu. Und für einen endlichen Geist, der größere Zusammenhänge nicht zu überschauen, sondern nur durch begriffliche Fixierung sich zu eigen machen kann, ist der Weg der Erkenntnis der gegebene.

Die Wirkungszusammenhänge in der Natur fortschreitend rational zu begreifen und damit eine Grundlage zu schaffen für eine Vorausbestimmung künftiger Geschehensmöglichkeiten und ein regelndes Eingreifen, das ist die ursprüngliche Aufgabe der Naturwissenschaft. Die auf die Erkenntnis begründete Beherrschung der Natur ermöglicht es dem Menschen, die Kreaturen bei dem ihnen eingeschriebenen Seinssinne festzuhalten. Die moderne Technik, soweit sie ihre Aufgabe darin sieht, die Natur dem Menschen zu unterwerfen und in den Dienst seiner natürlichen Begierden zu stellen, unbekümmert um den Schöpfungsgedanken und eventuell im schroffsten Gegensatz dazu, stellt den radikalen Abfall von dem ihr ursprünglich vorgezeichneten Dienst dar. Für alles, was in der Natur nicht so ist, wie es sein sollte, ist der Mensch verantwortlich, ihre Entfernung vom Schöpfungsplane ist seine Schuld.

Einsichtig zu machen ist hierbei wieder, daß der Mensch seiner Struktur nach fähig ist, eine solche Verantwortung zu tragen. Ob die Schöpfung tatsächlich seiner Obhut und ihr allein anvertraut

Empfohlene Zitierweise:
Edith Stein: Die ontische Struktur der Person und ihre erkenntnistheoretische Problematik. Editions Nauwelaerts, Louvain 1962, Seite 171. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Edith_Stein_-_Welt_und_Person.pdf/171&oldid=- (Version vom 31.7.2018)