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Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit

Aber er wußte: weder nächsten Sonntag, noch überhaupt jemals würde es sein, wie es gewesen.

Am Sonntag um acht Tage erhielt er ein Briefchen von Wally. Nur wenige Worte mit Blei hingekritzelt:

„Wir machen heute einen gemeinsamen Ausflug. Ich hoffe, Sie sind darum nicht böse Ihrer Freundin Wally.“

Er und böse! Er lächelte traurig und steckte den Zettel in seine Brusttasche.

Nach vierzehn Tagen kam er zaghaft abermals. Fräulein Wally errötete als sie ihn begrüßte, war lebhaft und unruhig und hatte viel vom Hause des Barons zu erzählen. Von deutschen Stunden war nicht mehr die Rede. Die Stimmung im Hause des Veterinärarztes war merklich kühler geworden.

Wie ein Verbannter schlich Stepan Nikolaitsch stumpf und müde in seine Behausung.

Stundenlang pflegte er jetzt untätig vor sich hinzustarren. Er war wortkarg und unzugänglich geworden und wich allen Miteinwohnern, besonders Vater Nikiphor scheu aus.

Ein trüber naßkalter Herbst war auf die Sommertage gefolgt. Oktoberwinde heulten rauh und kläglich um den kleinen Flecken, laublos streckten die kahlen Bäume ihre dürren Äste in den grauen Himmel.

Die Zeitungen brachten schlimme Nachrichten. Die Unruhe im Lande wuchs. Pöbelhafte Ausschreitungen des aufgehetzten Volkes waren an der Tagesordnung. Jedes Blatt brachte spaltenlange Berichte von Raubüberfällen und Mord, von

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Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit. S. Schottländers Schlesische Verlagsanstalt, Berlin 1910, Seite 161. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:FrancesKuelpeRoteTage.pdf/159&oldid=- (Version vom 1.8.2018)