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Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit

Beethovenmiene an und sprach die Lormschen Verse:

Solang die Sterne kreisen
Am Himmelszelt,
Vernimmt manch Ohr den leisen
Gesang der Welt.

Dem seligen Nichts entstiegen,
Der ewigen Ruh,
Um ruhelos zu fliegen –
Wozu? Wozu?

Fassungslos, entgeistert starrte Baron Fink ihn an.

Allmählich glätteten sich Philippis Mienen, das düstere Beethovengesicht verschwand, die Haare flogen zurück. Mit ernsthaftem Lächeln saß wieder Kandidat Philippi vor dem verblüfften Junggesellen.

„Aber das ist ja ausgezeichnet!“ jappte der Baron. „Sie sind ja der geborene Schauspieler,“ fuhr er entzückt fort, „und so was nennt sich Kandidat der Theologie! Herr Philippi, Sie – Sie gehören ja auf eine große Bühne!“

„Ich stehe schon auf der Bühne des Lebens,“ sagte Philippi, „und zwar mit beiden Füßen. Und nun hören Sie, Baron Fink: Meinem Freunde, Pastor Berger, droht morgen von den Sängern der Kampfes- und Kriegslieder Gefahr. Sie wollen ihn während des Gottesdienstes überfallen. Dürfen wir das dulden, wir deutschen Männer? Ihre Nachbarn, der Rausuppensche Herr und Baron Reuter, haben mir ihre Hilfe bereits zugesagt. Darf ich morgen um zehn auch auf Ihre Anwesenheit rechnen, Baron? Pastor Berger weiß nichts davon.“

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Frances Külpe: Rote Tage : baltische Novellen aus der Revolutionszeit. S. Schottländers Schlesische Verlagsanstalt, Berlin 1910, Seite 76. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:FrancesKuelpeRoteTage.pdf/76&oldid=- (Version vom 1.8.2018)